Die Börsenweisheit «Sell in May and go away» hat sich nicht bewahrheitet, doch die Lage ist weiterhin von Unsicherheiten behaftet. Dennoch bieten sich interessante Anlagechancen.
Text: Adriano B. LucatelliAuf Jahresbasis liegen die meisten Aktienmärkte weiterhin im Minus. Lediglich der US-Index S&P 500 und die Schwellenländer notieren im Plus. Obschon sich die Börsenweisheit «Sell in May and go away» nicht bewahrheitet hat, bleibt die Lage angespannt und die Aktienmärkte sind weiterhin korrekturanfällig.
Die jüngsten Aktivitätsdaten aus China und die schwächeren Produktionszahlen aus den USA mahnen zur Vorsicht. Auch in Europa ist nicht alles zum Besten bestellt. Doch dürfte Draghis Aktivismus – im Gegensatz zur Strategie der US-Notenbank – die Börsenmärkte in der Eurozone nach unten absichern («Draghi Put»). Wenn man in diesem Umfeld, trotz der Unsicherheiten, eine interessante Anlage sucht, dann könnten defensive Aktien aus der Nahrungsmittel- und Pharmabranche für gute Laune sorgen.
Bei den (erdölproduzierenden) Schwellenländern gibt es dank der Stabilisierung des US-Dollars und der Ölpreise wieder Licht am Ende des Tunnels. Gelder aus den Industrieländern fliessen wieder vermehrt in die aufstrebenden Märkte und helfen so, die dortigen Fremdwährungsreserven aufzubauen. Die Fundamentaldaten bleiben aber schwächlich, und Aktien erfahren immer wieder Rücksetzer. Allenfalls macht ein langfristiger Einstieg mittels einer Minimum-Varianz-Strategie Sinn.
Ebenfalls im Marktfokus stehen politische Faktoren wie der «Brexit». Ein Austritt Grossbritanniens scheint aber unwahrscheinlich. Wer sich trotzdem gegen einen Austritt absichern möchte, tut dies am besten mit einem Put auf die Währungspaare Pfund gegen US-Dollar bzw. dem Schweizer Franken. Auf jeden Fall ist eine «Währungsstrategie» effektiver, als aus dem Aktienmarkt auszusteigen.
Bei den Anleihen raten wir schon länger von hochverzinslichen Titeln ab. Nun hat auch die Ratingagentur Moody’s vor steigenden Ausfallraten bei «Schrottpapieren» gewarnt. Wer trotzdem in dieses Segment einsteigen möchte, sollte sich auf die Eurozone konzentrieren. In den USA drohen nach dem Ölpreiszerfall grössere Ausfälle im Rohstoffbereich.
Vorsichtig sollte man auch mit ultralangen Obligationen, den sogenannten «Methusalem-Bonds», sein. Die Eidgenossenschaft emittierte beispielsweise am 11. Mai eine Obligation mit Laufzeit bis 2058 und einem Coupon von 0,5%. Der bei der Auktion erzielte Preis war 110%, was einer Rendite von lediglich 0,25% p.a. entspricht. Hier sind Enttäuschungen vorprogrammiert, denn die meisten Privatkäufer werden die Papiere kaum bis zur Rückzahlung in 42 Jahren halten.
Das internationale Währungsgefüge wird weiterhin von der Geldpolitik (US-Dollar, Yen, Euro, Schweizer Franken) und den Rohstoffpreisen (kanadischer Dollar und norwegische Krone) geprägt. Die Schweizer Valuta tendiert angesichts der Verunsicherung an den Märkten zur Stärke, während die anstehende Zinserhöhung dem US-Dollar Auftrieb geben dürfte.
Beim Rohöl werden die Preisavancen verhalten bleiben. Einerseits ist das OPEC-Kartell am Bröckeln. Andererseits haben Ölförderer die jüngste Erholung dazu genutzt, sich gegen einen Preiszerfall abzusichern – wie dies seit mehr als vier Jahren nicht mehr der Fall war. Somit dürften sich die Notierungen künftig um 50 US-Dollar pro Fass bewegen.
Im aktuellen Tief- bzw. Negativzinsumfeld bleibt Gold attraktiv. Man darf aber nicht die Risiken vergessen. Die Preisschwankungen sind vergleichbar mit denen von Aktien. Und für Schweizer Investoren kommt noch das Währungsrisiko des US-Dollars hinzu.
Der Ökonom Adriano B. Lucatelli ist Unternehmer, hält verschiedene Verwaltungsratsmandate und ist Dozent an der Universität Zürich. Lucatelli verfügt zudem über langjährige Erfahrung in verschiedenen Bereichen von Schweizer Grossbanken und hat mit Erfolg ein Schweizer Wertpapierhaus auf- und ausgebaut. Neben der Fliegerei nennt der lizenzierte Helikopterpilot Tennis und politische Literatur zu seinen Hobbys.
Disclaimer: Die gemachten Prognosen und Aussagen über die Finanzmärkte widerspiegeln die persönliche Meinung von Adriano B. Lucatelli zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und können sich jederzeit verändern. Verweise auf bestimmte Wertpapiere, Vermögensklassen oder Finanzmärkte dienen nur zu Illustrationszwecken und sollten nicht als Beratung oder Empfehlung in Bezug auf den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren verstanden werden.