Aktien? Aktienquote? «100 Prozent»

Das Nullzinsniveau macht es für Anleger immer schwieriger, attraktive Renditen zu erzielen. Da liegt der Weg zu Aktien nicht weit. Für Alfons Cortés, Experte für Behavioral Finance, sind sie sogar das einzig Wahre.

Text: Barbara Kalhammer

Herr Cortés, für Sie sind Aktien die einzig wahre Anlage, richtig?

ALFONS CORTÉS_  Ja, ich will nichts anderes als Aktien.

Warum?

Es gibt zahlreiche Gründe. Wichtig ist, dass ich mich mit Aktien freier fühle als mit den anderen Anlagen. Ich kann mich  bewegen, Fehler korrigieren, habe eine hohe Liquidität und kann schneller auf Marktentwicklungen reagieren. Es gibt sicherlich noch andere interessante Anlagen wie beispielsweise Immobilien an Toplagen, doch diese setzen sehr hohe Vermögen voraus. Aktionär kann man hingegen schon mit wenig Kapital werden und dank ETF kann das Portfolio einfach diversifiziert werden.

Braucht es Mut, Aktien treu zu bleiben und schlechte Phasen auszusitzen?

Es ist nicht unbedingt eine Frage des Mutes, sondern der Strategie. Strategie bedeutet die Wahl der Mittel, wie ich zu den  Entscheidungen komme. Aber auch das Zeitfenster ist wichtig. Für mich ist dieses sehr flexibel. Ich kaufe und verkaufe an Brennpunkten. Das sind die klassischen Contrarian-Situationen, die entstanden sind, nachdem sich Aktienkurse weit von ihren Gleichgewichtspreisen wegbewegt haben.

Was zählt noch dazu?

Die Identifikation des Brennpunktes und die Schwankungstoleranz, die entscheidend ist für die Allokation. Man sollte immer eine Reserve haben für den täglichen Gebrauch, damit man nicht Aktien verkaufen muss, um seine Ausgaben zu decken.

Viele Anleger haben weder Nerven noch eine passende Strategie, um schwache Phasen auszusitzen. Doch das Hin und Her macht eigentlich nur die Taschen leer.

Das ist der springende Punkt. Daher ist es wichtig, Schwankungstoleranz zu definieren und sich der Tatsache sicher zu sein, dass Tagesereignisse keine Bedeutung für Trends haben. Eine Trendwende ist ein Prozess und kein Ereignis oder eine Reaktion auf eine Nachricht. Das muss man verinnerlichen, damit man etwas gelassener wird und sich emotional nicht mitreissen lässt.

Was zeichnet Aktien als unverzichtbaren Teil eines Portfolios aus?

Zunächst muss man bedenken, dass man eines Tages kein Geld mehr verdienen wird und von seinem Vermögen leben muss. Gerade heute haben aber viele ältere Leute das Problem, dass sie sich von ihren Sparanlagen Zinsen erhofft haben. Bei Aktien ist das Bild anders. Im Gegensatz zu Zinsen haben Dividenden nämlich die Tendenz zu steigen. Das ist eine  Überlegung wert.

Sind Aktien im Vergleich mit anderen Assetklassen auf längere Sicht nicht risikoreicher?

Ich denke, Obligationen sind risikoreicher als man ihnen zugesteht. Lange sprach man von «risikofreien Anlagen in  Staatsobligationen». Das Risiko bestand jedoch nicht darin, dass der Nominalwert bei Verfall nicht zurückbezahlt worden wäre, sondern darin, dass man keine Ahnung hatte, was die Nominale bei Verfall noch für eine Kaufkraft hat.

Die Inflationsentwicklung wird also zu wenig miteinbezogen?

Ja. Und selbst wenn man dies gerne täte, kann man die Inflationsentwicklung nicht mit einbeziehen. Denn mehr als die Hälfte der Prognosen liegt traditionell daneben, auch bei der Inflation.

Worauf kann man sich dann verlassen?

Der Ausgang eines komplexen Systems ist immer offen. Man kann ihn nicht prognostizieren. Ich stimme mit Philostratus  überein, der sagte «Die Götter erkennen die Zukunft, gewöhnliche Leute die Gegenwart, aber die Weisen erkennen die Dinge, die im Begriff sind einzutreten.» Ich bin schon glücklich damit, die Gegenwart zu erkennen. Und die Gegenwart an der  Börse ist ein Trend oder eine Trendwendephase – und beide dauern lange.

Was beinhaltet die von Ihnen erwähnte passende Strategie?

Dazu zählt eben die Wahl der Mittel. Wertorientiertes Anlegen, sogenanntes Value Investing, wie Warren Buffet es macht, ist das Beste, wenn man die Ressourcen dafür hat. Man muss in der Lage sein, Primär- Research zu betreiben. Sobald ich mich auf Sekundär-Research abstützen muss, bin ich bereits weit weg von der Realität. Denn Information verändert sich mit der Weitergabe.

Wie sieht es im Vergleich dazu mit Wachstumstiteln aus?

Es gibt Phasen, in denen die Wachstumstitel die Nase deutlich vorne haben. Diese können auch lange anhalten, beispielsweise von April 1998 bis März 2000. In solchen Perioden gibt es sicherlich viele Leute, die die Phase mit Qualitätsaktien nicht durchhalten und zur Unzeit auf Wachstum umschwenken. Der wesentliche Informant ist für mich der Markt selber. Ich meide ein im Voraus festgesetztes Dogma, nur in Qualität oder Wachstum zu investieren. Ich wähle, was im Marktprozess die höchsten Präferenzen aufzuweisen verspricht.

Wie hoch sollte der Aktienanteil im Portfolio sein?

100 Prozent. Wenn ich aber der Meinung bin, dass ein Bärenmarkt begonnen hat, dann verkaufe ich Indexfutures leer. Das  ist meine Methode, um das Marktrisiko aus dem Port folio herauszunehmen und nur das Selektionsrisiko zu behalten.

Wie soll die Titelauswahl erfolgen?

Jeder muss selber eine Strategie haben. Ich arbeite mit der relativen Stärke. Ich kaufe Aktien, die relativ schwach waren,  wahrscheinlich sogar übertrieben schwach und dann zur relativen Stärke gedreht haben. Aber es gibt natürlich auch andere Methoden, die Erfolg haben. Mein Zeitfenster, bis sich der Erfolg einstellen sollte, beträgt zwölf Monate. Erfolg bedeutet,  einen gewählten Index zu schlagen.

Das schaffen nur wenige.

Ja, wenn man die veröffentlichten Zahlen betrachtet, dann ist das durchaus so, aber das betrifft vor allem Fonds. Sie haben eine ungünstige Kostenstruktur und durch die ständigen Zu- und Abflüsse müssen Zukäufe in steigenden und Verkäufe in fallenden Märkten getätigt werden, wodurch deutliche Nachteile entstehen.

Welche weiteren, für die Zukunft wichtigen Erkenntnisse können Sie aus Ihrer langen Erfahrung ziehen?

Die wichtigste Erkenntnis ist, dass Wirtschaft und Börse zwei verschiedene Systeme sind. Sie können nicht die Wirtschaft analysieren, um Entscheide an der Börse zu treffen. Das heisst nicht, dass die Börse alles richtig vorwegnimmt. Jedoch beeinflusst die Börse durchaus die Wirtschaft, wie George Soros mit seiner Reflexivitätstheorie festgestellt hat. Von der  Wissenschaft wurde diese Theorie aber nie überprüft. Ich verstehe nicht, warum das nie getan wurde. Insgesamt habe ich ein Problem mit der Wissenschaft.

Warum?

Ein Herzchirurg, der nicht operiert, kann auch nicht Professor für Herzchirurgie werden. Sehr viele Finanzwissenschafter haben noch nie ein Portfolio gemanagt, ausser vielleicht das eigene, und trotzdem gelten sie als Experten.

Wenn Wirtschaft und Börse zwei verschiedene Systeme sind, welche Auswirkungen hatte dann die Ausweitung der Geldmengen?

Die Frage ist, ob die Börsenhausse wirklich die Folge der Geldschwemme ist. Teilweise ja, weil es bei diesen Zinsen kaum  eine Alternative zu Aktien gibt. Jedoch führten frühere Geldschwemmen dazu, dass Kredite aufgenommen wurden, um im grossen Stil Aktien zu kaufen. Mit solchen Krediten steht auch die Bildung von Blasen in Zusammenhang. Das ist momentan nicht der Fall. Es zeichnet sich in den USA ab, dass viele Kredite für Aktienkäufe aufgenommen werden. Das ist eine Gefährdung der Hausse, aber es ist noch nicht so dramatisch wie in früheren Phasen. Ansonsten ist die Geldschwemme nicht in die Wirtschaft und die Kapitalmärkte geflossen, sondern ist im Bankensystem verblieben.

Welche Rolle spielen die Zinsen für die Aktienmärkte?

Steigende Zinsen drücken nicht immer die Aktienmärkte. Es gibt keine stabile Korrelation zwischen Aktienpreisen und dem Finanzsystem, also den Zinsen. Wenn nun die Zinsen steigen, könnte es durchaus sein, dass die Aktien zurückfallen. Ich erwarte unabhängig von der Zinsentwicklung einen Rückschlag, aber keinen Bärenmarkt. Es bleibt abzuwarten, ob die Zinsen steigen werden. Ich denke aber nicht, dass die Zinswende schon gekommen ist.

Wie viel Beachtung sollte dem geschenkt werden? Auf lange Sicht geht es doch sowieso aufwärts.

Es macht sicherlich Sinn. Wenn man einen Blick auf den S&P 500 und seine über 80-jährige Entwicklung wirft, dann waren die Korrekturen nur kleine Störungen in einem langen Aufwärtstrend. Aber wer investiert für 80 Jahre und weiss, ob nicht einmal auf das investierte Kapital in seiner Notsituation zurückgegriffen werden muss? Man muss also versuchen, die Wertverluste möglichst tief zu halten. Daher ist es ratsam, etwas Timing zu betreiben und sich in Bärenmärkten abzusichern.

Wie viel Mut braucht es nun zum Investieren?

Anleger benötigen nur den Mut, ihrer eigenen Strategie treu zu bleiben. Gelegentlich bekommt man Zweifel, aber wenn die Strategie intellektuell gut durchdacht und auf empirische Kenntnisse abstützt, sollte man ihr treu bleiben, auch wenn sie nicht immer die beste ist.

Alfons Cortés ist geschäftsführender Partner der Unifinanz Trust reg.
sentifi.com

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