Hier erklären wir Ihnen, warum im zweiten Teil der bekanntesten aller Börsenweisheiten aus marktpsychologischer Sicht viel Wahres steckt – und Sie den ersten Teil mit «Sell in May…» getrost vergessen können.
Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Jedes Jahr bei Anbruch des Sommers diskutieren Börsianer wieder den Sinn von «Sell in May and go away…». Die Statistik gibt der bekanntesten aller Börsenweisheiten recht: Während der Herbst-, Winter- und Frühlingsmonate performen die Aktienmärkte leicht besser. Warum? Weil Sommerzeit ist Ferienzeit, die Volumen an den Märkten sind kleiner, was wiederum zu grösseren Schwankungen führt und Investoren zu Fehlentscheidungen verleitet.
Die Marktpsychologie hinter diesem Phänomen hat der französische Philosoph Michel de Montaigne wunderbar auf den Punkt gebracht: «Wir werden viel weniger durch das verletzt, was uns geschieht als durch unsere Meinung darüber.»
Stellen wir uns zwei Investoren vor, Urs und Peter. Beide sind in Aktien investiert, Urs schaut sich sein Depot täglich an und erlebt eine emotionale Achterbahn. Wogegen Peter sein Depot nur alle paar Monate prüft und nachts ruhig schlafen kann.
Die empirische Verhaltensforschung belegt, dass Anleger bei Gewinnen weniger stark Freude empfinden als Verluste sie schmerzen. Die Verlustaversion ist eine der fundamentalen Erkenntnisse der Marktpsychologie – und die Folgen dieser Aversion führen mitunter zu starken Börsenbewegungen in den Sommermonaten.
Das liegt an Leuten wie Urs. Wie jeder andere Investor auch empfindet er Verluste stärker als Gewinne. Unterm Strich summiert sich bei Urs dieser Verlustschmerz – wodurch er an heissen Sommertagen mit wenig Börsenvolumen schon mal Strategie und Disziplin vergisst und sich zu unbedachten Aktionen hinreissen lässt – mit vielfach fatalen Folgen. Das Phänomen, dem Urs erliegt, heisst «myopic loss aversion» – kurzsichtige Verlustaversion. Sie lässt Anleger, die jede Bewegung im Depot mitverfolgen, den Überblick verlieren. Sie führt zu übertriebenem Aktivismus, zu voreiligen und unkontrollierten Verkäufen, zum Eingehen zu hoher Risiken – und noch höheren Verlusten.
In diesem Sinne ist «weniger» hier «mehr». Und das «go away» ein bewusstes Abwenden vom täglichen, ja stündlichen Auf und Ab an den Börsen und der andauernden Konfrontation mit den Gefühlsschwankungen.
Ich möchte keineswegs falsch verstanden werden. Natürlich bestimmen hauptsächlich die wirtschaftlichen Fakten und Unternehmensentwicklungen das Börsengeschehen. Auch in den Sommermonaten kontrollieren und verwalten wir bei AGFIF International diszipliniert stets anhand objektiver Informationen die uns anvertrauten Kundengelder und reagieren bei Bedarf – doch weder myopisch noch kurzsichtig. Zudem ist es unsere Aufgabe, unseren Kunden zu erklären, warum und wann sie sich ängstlich oder unsicher fühlen.
Während wir das «go away» begrüssen, indem wir Emotionen bei unseren Anlageentscheiden vollkommen ausschliessen, sind wir keine Freunde des «Sell in May». Halten wir uns die langfristige Situation vor Augen: Weltweit sind die Zinsen im tiefen oder gar negativen Bereich, das Wachstum der Weltwirtschaft setzt sich fort und die Stimmung an den Märkten ist schlechter als die Faktenlage. Daraus resultiert eine Alternativlosigkeit der Aktien.
Halten wir es doch wie der geniale Mark Twain mit seiner Meinung über die Sommerzeit: «Sommer ist die Zeit, in der es zu heiss ist, um das zu tun, wozu es im Winter zu kalt war.» Sprich: Beim Investieren spielen Saisonalitäten keine Rolle, ganz im Gegensatz zur Vernunft, die uns zu jeder Jahreszeit abhält, überhastet Aktien zu verkaufen.
Mojmir Hlinka ist Direktor bei AGFIF International AG.
Ich halte von den sogenannten Börsenweisheiten nicht all zuviel und auch der Markttrend interessiert mich nur insofern, als dass ich auf günstige Einstiegskurse oder Gelegenheiten zum nachzukaufen warte. Es hat mich etwa 7 Jahre und einiges an Lehrgeld gekostet, um eine für mich passende Investmentstrategie zu entwickeln. Wenn eine Aktie nicht den Kurs aufweist, den ich als Einstieg ansehe, dann warte ich auf meine Gelegenheit, die mit Sicherheit kommt. Es ist eine Frage der Zeit und der Disziplin und ich gebe zu, dies ist mitunter unheimlich schwer einzuhalten, aber für mich geht es bisher auf. Wenn die Aktie dann einen Wert erreicht hat, bei dem ich glaube, es geht nicht mehr viel weiter nach oben, dann verkaufe ich sie. Auch andere Mütter haben schöne Töchter und ich denke, man sollte sich nicht in seine Aktien verlieben… Das kann ins Auge gehen. Der Markt ist lebendig und „frisst“ gern seine ängstlichen, aber auch seine selbstverliebten Kinder. Emotionen sind eher hinderlich, aber wer kann sich ganz davon frei machen?