«China kämpft mit einer riesigen Kreditblase»

Wie weiter am chinesischen Aktienmarkt? Setzt sich der Aufwärtstrend langfristig weiter fort oder droht die Blase entgültig zu platzen? Der Asienexperte Thomas Hugger zeigt die Chancen und Risiken auf.

Der chinesische Aktienmarkt hat im letzten Jahr mehr als 100 Prozent zugelegt. Wo liegen die Gründe für diesen enormen Anstieg?

Vor genau einem Jahr wurden chinesische Aktien mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 6.3x bewertet. Damals war China neben Griechenland mit einem KGV von 3.4x und Russland mit 5.3x einer der «billigsten» Aktienmärkte der Welt. In der Zwischenzeit hat die chinesische Regierung ihre Rhetorik geändert und Millionen von Kleinsparer indirekt ermuntert, ihre riesigen Ersparnisse in die lokalen Aktienmärkte zu investieren, statt Bargeld zu halten oder in Immobilien anzulegen. Ausserdem wurden im vergangenen Jahr die Zinsen für Sparguthaben gesenkt und im November wurde der A-Aktienmarkt von Shanghai für Investoren aus Hong Kong zugänglich gemacht.

Wie wird sich der Aktienmarkt langfristig weiter entwickeln?

Längerfristig sollte der chinesische Aktienmarkt seinen Aufwärtstrend aus verschiedenen Gründen fortsetzen, aber kurzfristig war nach dem massiven Kursanstieg eine Korrektur überfällig, vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmungen. Dies gilt vor allem für den Aktienmarkt von Shenzhen, für Ausländer noch immer schwierig zu investieren, wo das Segment der Klein- und Mittelunternehmen beheimatet ist.

Was spricht für China?

China ist das bevölkerungsreichste Land der Welt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es die USA als das Land mit dem grössten Bruttosozialprodukt ablöst. Die Wirtschaft befindet sich zurzeit in einer Transformationsphase von einer exportabhängigen Wirtschaft, die vor allem günstige und arbeitsintensive Massenprodukte herstellt, hin zu einer Wirtschaft, die sich auf den Binnenkonsum und die Fertigung von technologisch innovativen Produkten fokussiert. Diese Entwicklung, haben Japan in den 1960er-, Hongkong, Südkorea und Taiwan in den 1970er- und 1980er-Jahren erfolgreich bewerkstelligt.

Wie sah dieser Prozess aus?

Als in den 1970er-Jahren die ersten Produkte von Toyota und Canon in die Schweiz kamen, dachte niemand, dass japanische Firmen einmal Weltmarktführer werden könnten. Dann kamen Hyundai, Lucky Goldstar und Samsung aus Südkorea und bald werden wir uns an Alibaba, BYD, Dongfeng, Haier, Huawei, Lenovo oder Xiamoi gewöhnen müssen.

Mit welchen Schwierigkeiten hat die Volkswirtschaft in China zu kämpfen?

Mit einer riesigen Immobilien- und Kreditblase. Vor allem die Kreditblase ist ein gewaltiges Problem, das die chinesische Parteiführung in Peking lösen muss. Der Vorteil von China ist, dass der Kapital- und Kreditmarkt immer noch sehr geschlossen ist. Daher sollte es für die kommunistische Partei möglich sein, dieses Problem während der nächsten Jahre zu bewältigen.

Wie und wo sollten sich Anleger, die von Chinas Wachstum profitieren wollen, am besten engagieren?

Investoren sollten langfristig in Aktien von Firmen aus den Bereichen Konsum, Logistik, Infrastruktur, Pharma, Internethandel und Technologie investieren.

Warum funktionieren ETF in China schlechter als anderswo?

Wie in den meisten Schwellenländern sind die Unternehmen in den Aktienindizes nicht sorgfältig ausgesucht. Die chinesischen Aktienindizes werden dominiert von riesigen staatsnahen Firmen (SOE), die meistens nicht effizient geführt werden und Verluste schreiben. Daher hinken die Entwicklungen der chinesischen Aktienindizes der Realwirtschaft hinterher. Schwellenländer-Investoren sollten darum besser in Aktienfonds investieren, die einen aktiven Ansatz verfolgen und dadurch nicht in die schlechten Firmen investieren.

Welche Investitionsmöglichkeiten haben ausländische Anleger in China?

Seit der Wiederaufnahme des offiziellen Aktienhandels in China Ende der 1990er-Jahre können ausländische Investoren B-Shares erwerben, in Shanghai gegen US-Dollar, in Shenzhen gegen HK-Dollar. Diese Wertpapiere stammten zuerst überwiegend von Firmen, bei denen der Staat Mehrheitsaktionär war. Ihre Kursentwicklung war daher zumeist sehr enttäuschend.

Wie sieht es mit A-Shares aus?

Sie waren lange nur für chinesische Staatsbürger handelbar, erst seit etwa zehn Jahren vergibt die Volksrepublik Qualified Foreign Institutional Investor-Lizenzen an grosse institutionelle Anleger. So können diese in bestränkten Kontingenten direkt in den chinesischen Aktienmarkt investieren. Seit November 2014 können nun auch ausländische Investoren diese Aktien ohne grosse Schwierigkeiten durch einen Broker in Hongkong erwerben (HK-Shanghai stock-connect). H-Shares sind Aktien aus China, die aber in Hongkong gehandelt werden und je nach Interesse mit einem Diskont oder einer Prämie zu A-Shares in China gehandelt werden.

Welche weiteren Aktientypen sind in China erhältlich?

Zusätzlich gibt es noch S-Chips, chinesische Aktien, die in Singapur gehandelt werden, P-Chips, die in Hongkong gehandelt werden (auch «red-chips» genannt), N-Chips, die in New York oder USA gehandelt werden, und L-chips aus London. Als Chips werden Firmen bezeichnet, die ihren Rechtssitz fast immer ausserhalb von China haben, meistens in Bermuda oder den Cayman Islands, und von Chinesen geführt werden. Es gibt auch vereinzelte chinesische Firmen, die in Deutschland oder an anderen Börsen gehandelt werden.

Mittlerweile gibt es ETF auf A-Aktien – ist das bezüglich Liquidität, Abbildungsgenauigkeit eine gute oder riskante Entwicklung?

Mit der Öffnung des A-Markets durch Hong-Kong-Connect im November sind diese beiden Probleme massiv reduziert worden und sollten in Zukunft noch unbedeutender werden.

Welche Rolle spielen die Indexentscheide zur Aufnahme von A-Shares von MSCI und FTSE Russell?

Deren Entscheide ist sehr wichtig, da bis heute nur die B-Shares und H-Shares im MSCI Emerging Market Index vertreten waren. Eine Aufnahme der A-Shares würde Investitionen von etwa 400 Milliarden Dollar auslösen. Zudem würde sich die Gewichtung Chinas im MSCI Emerging Market Index von zurzeit etwa 25 auf geschätzte 40 Prozent erhöhen.

Spricht das für aktive Fonds?

Kleinere illiquide Aktien können durch Käufe von passiven Investoren und ETF deutlich an Wert zulegen und Bewertungen erreichen, die nicht mehr realistisch geschehen mit der Hanergy Thin Film Power Group, die in kurzer Zeit um 600 Prozent zulegen konnte. Ausgelöst wurden die Käufe unter anderem durch Akquisitionen von Solar-ETF. Der starke Kursanstieg hatte zu Spekulationen über Marktmanipulationen geführt. Zudem litt das Anlegervertrauen unter Medienberichten, wonach das Unternehmen nicht in der Lage sei, Auftraggeber und Zinsen auf Bankkredite zu bezahlen. Die Aktie verlor 50 Prozent ihres Wertes, bevor der Handel ausgesetzt wurde. Davor war das KGV mit 68x bewertet.


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