Kolumne
Availability Bias
Mojmir Hlinka  Direktor von AGFIF International in Zürich

Corona-Krise: Alles anders

Trotz Corona-Krise steigen die Aktienmärkte, als ob es kein morgen gäbe. Die Märkte deshalb als «irrational» abzutun, wäre verfehlt. Im Gegenteil: Sie demonstrieren lediglich die Ausweglosigkeit der gegenwärtigen Geldpolitik.

«Wenn die Krise alles verfinstert hat, werden Kinder des Lichts die Sterne anzünden.» Ob der belgische Schriftsteller und Seelsorger Phil Bosman eine Krise vor Augen hatte, wie sie die Menschheit gerade durchlebt, als er diesen Satz schrieb, wissen wir nicht.

Aber heute wissen wir: Ein Kind des Lichts sind die Notenbanken mit ihren «What ever it takes»- Rettungspaketen. Der blanken Panik, welche die Börsen im Februar und März gepackt hatte, folgte eine rasante Aufholjagd, die zu von der Wirtschaft entkoppelten Bewertungen führte.

Wenn die Aktienmärkte derzeit als völlig ausser Rand und Band erscheinen: Sie sind es nicht. Denn diese Coronakrise ist tatsächlich anders als alle anderen Wirtschafts- und Finanzkrisen der Neuzeit. Zwar suchen und finden wir die Referenzpunkte anderer Krisen, deren Ausmass noch schlimmer war und deren Folgen noch verheerender. Wir tappen dabei in die Psychofalle des Availability-Bias, des Verfügbarkeitsfehlverhaltens.

Die aktuelle Pandemie rief sofort Bilder der Spanischen Grippe hervor, die zig Millionen Tote forderte. Und die Covid-19-Mortalitätsprognosen orientierten sich an den Opferzahlen der Spanischen Grippe. Der Availability Bias schlug auch zu, um das drohende Ausmass der wirtschaftlichen Folgen eines Lockdowns zu illustrieren.

Herhalten muss die Mutter aller Krisen, die Grosse Depression, welche die USA in den 1930er Jahren heimgesucht hatte. Sofort sehen wir die Bilder von Bank Runs, von Zehntausenden Arbeitslosen, von hungernden Menschen und Kinder, die Schuhsohlen kochen. Wir fallen weiter dem Availability Bias zum Opfer, wenn wir uns zu wenig fragen, was an der derzeitigen Krise anders ist. Die Antwort: Es sind die Notenbanken.

In der Grossen Depression oder in der Weimarer Republik haben die Geldpolitiker verheerende Fehler begangen, heute sind sie die Kathedralen der Stabilität und des Vertrauens. Ihren Einfluss demonstrierten sie bereits nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Bretton-Woods-System. Der Monetarismus wurde in den 1970er Jahren vollends zum anerkannten Steuerinstrument des Wirtschaftsablaufs. Alan Greenspan leitete als Chef der US-Fed nach Ausbruch der Dotcom-Krise mit Zinssenkungen den nächsten Börsenzyklus ein. Nach dem Lehman-Kollaps – und in der Eurokrise – erwiesen sich die Notenbanker als Retter des Finanzsystems.

Inzwischen scheint das Vertrauen in die Zins- und Geldpolitik unerschütterlich. Das zeigen uns die Märkte mit aller Deutlichkeit. Aber die Börsen streben nicht alleine wegen des Vertrauens in die Notenbanker in immer höhere Sphären. Das herausragende Merkmal dieser Krise ist, dass es ausser den Aktienmärkten keine liquiden Anlagealternativen gibt.

Früher konnten Investoren bei Börsencrashes das Geld vom Tisch nehmen und eine AAAStaatsanleihe kaufen. In der Regel verdoppelte man alle zehn Jahre sein Geld, wenn man die Coupons reinvestierte. Heute ist dies nicht mehr möglich.

Die Notenbanken haben eine neue Ära eingeläutet. Jetzt werden mit negativen Zinsen Sparer und Käufer von Staatsanleihen enteignet. Doch gibt es auch hier Kinder des Lichts, welche die Sterne im Depot anzünden: Dividendenstarke Aktien und ausgewählte Unternehmensanleihen sind bei uns bereits seit Jahren die renditestarken Alternativen.

*Mojmir Hlinka ist Direktor von AGFIF International in Zürich, dem einzigen Schweizer Vermögensverwalter, der seine Anlagestrategie konsequent auf der Behavioral-Finance-Theorie abstützt. Hlinka ist Eidg. dipl. Finanz- und Anlageexperte AZEK und Mitglied der Swiss Financial Analysts Association.


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