«Der Anlagenotstand ist keine leere Floskel»

Ernst Mäder verwaltet knapp 50 Milliarden Franken für die Schweizer Unfallversicherung Suva. Trotz anspruchsvoller Marktlage konnte er eine beachtliche Rendite erzielen. Im Interview gibt er Einblicke in seine Strategie und spricht über die Folgen von Negativzinsen und dem starken Franken.

Text: Barbara Kalhammer

Herr Mäder, Sie haben über die vergangenen fünf Jahre eine durchschnittliche Rendite von 5,2 Prozent erzielt. Damit schnitten Sie deutlich besser ab als beispielsweise Pensionskassen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Unser Schlüssel zum Erfolg ist die langfristige Anlagestrategie. Diese legen wir mittels systematischer Asset/Liability-Analysen bedarfsgerecht fest. Unsere wesentlichen strategischen Vorteile sind, dass unsere Verbindlichkeiten einen Zeithorizont von über zehn Jahren haben und wir dank der erfolgreichen  Anlagetätigkeit sowie einem systematischen Risikomanagement eine hohe Risikofähigkeit erreicht haben. Dadurch ist es der Suva möglich, in Anlagen mit höheren Risikoprämien zu investieren, insbesondere in Realwerte wie Aktien.

Gibt es neben der Langfristigkeit noch weitere strategische Eckpfeiler?

Ebenso wichtig ist die Diversifikation. Wir verteilen unser Vermögen über ein breites Spektrum von Anlageklassen und Märkten, in der Schweiz und weltweit. Das schliesst insbesondere Alternativanlagen mit ein. Dadurch erreichen wir ein ausgeglichenes Risiko-/Ertragsprofil, das uns vor ungünstigen Entwicklungen in
einzelnen Märkten schützt.

Hält das Konzept auch schwierigen Zeiten stand?

Ja, denn wir können längere Markteinbrüche aushalten, ohne Verluste realisieren zu müssen. Wir verhalten uns antizyklisch. Von der Strategie weichen wir nur  ab, wenn wir basierend auf fundierten Erkenntnissen Abweichungen von den strategischen Annahmen sehen. Das Umfeld ist derzeit aber sehr anspruchsvoll.

Wie gehen Sie mit den Veränderungen um?

In der Regel treffen uns solche anspruchsvollen Entwicklungen nicht unvorbereitet, da wir in Szenarien denken und mögliche Handlungsalternativen bereits  kennen. Das hilft uns, nicht einem naiven Aktionismus zu verfallen. Wir halten weiterhin an der langfristigen Strategie fest. Auf kurzfristige Entwicklungen reagieren wir auf der taktischen und operativen Ebene.

Welche Auswirkungen haben Negativzinsen, wie wir sie derzeit erleben?

Wir haben mit höheren Kosten zu kämpfen. Grund dafür ist, dass wir zur Sicherstellung unserer Zahlungsfähigkeit liquide Mittel halten. Die Suva ist mit einem finanziellen Deckungsgrad von 134 Prozent jedoch sehr solid finanziert. Der Finanzierungsbedarf ist moderat. Die Sicherheit unserer Leistungsverpflichtungen  ist nach wie vor hoch, auch wenn die Erwartungen für zukünftige Anlageerträge nun tiefer ausfallen.

Wie sieht es hinsichtlich der unterschiedlichen Anlageklassen aus?

Die Ertragsaussichten auf den festverzinslichen Anlagen in Franken reduzieren sich deutlich. Ferner – und das ist wohl am gravierendsten – erhöhen sich die Kosten für die strategische Währungsabsicherung. Der Einfluss auf Schweizer Aktien und Immobilien ist bislang nicht klar einzuschätzen. Der weiter  akzentuierte Anlagenotstand wird eventuell die Nachfrage noch erhöhen. Umgekehrt können mögliche konjunkturelle Verwerfungen zu tieferen Bewertungen  führen.

Bereitet Ihnen auch der starke Franken Sorgen?

Unmittelbar sind für uns vor allem die Negativzinsen ein Problem. Bezüglich des Frankens denken wir in erster Linie an die Schweizer Industrie, für die wir  arbeiten. Sie steht durch den starken Franken vor enormen Herausforderungen. Wie gross diese sind, wird davon abhängen, wohin sich der Franken bewegt. Im Moment ist das schwer abzusehen. Jedenfalls wird man hart an der Produktivität arbeiten müssen.

Halten Sie somit an Ihrem für eine Versicherung hohen Aktienanteil von über 20 Prozent fest?

Ja, und auch an den Investitionen in den Schweizer Aktienmarkt. Wir investieren direkt und aktiv in den Heimatmarkt. Hier nehmen wir unsere Verantwortung  auch durch eine konsequente Ausübung unserer Stimmrechte wahr. Im Sinne einer guten Diversifikation investieren wir aber ebenso substanziell in den internationalen Märkten.

Welche sind dies?

Das sind einerseits die traditionellen Aktienmärkte USA, Europa und Asien, andererseits aber auch die Emerging Markets. In diesen haben wir unsere  Fähigkeiten in den letzten Jahren stark ausgebaut.

Gerade die Schwellenländer haben 2014 enttäuscht. Halten Sie dennoch an der langfristigen Positionierung fest?

Ja, denn für unseren Anlagehorizont sind die langfristigen Ertragsaussichten entscheidend. Und diese sind nach wie vor intakt. Wir passen unsere  Anlagestrategie nicht wegen eines negativen Jahres an. Solche kommen in den Aktienmärkten immer wieder vor.

Wie wichtig sind Renditebringer, also Dividendenwerte?

Entscheidend ist letztlich die Gesamtrendite, welche neben den Dividenden auch Kursgewinne umfasst. Ein stetiger Dividendenstrom kann ein Zeichen von  Solidität sein. Hier muss man aber aufpassen: Es gibt aus aktuellem Anlass die Tendenz, Dividendenaktien quasi als bessere Obligationen zu betrachten. Aber es sind immer noch Aktien mit der entsprechenden Volatilität.

Gibt es spezielle «Perlen», die in Ihren Portfolios zu finden sind?

Es gibt immer Anlagen, die eine besonders gute Wertentwicklung vorweisen. Aber über einzelne Anlagen geben wir natürlich keine Auskunft. Im institutionellen Asset Management geht es sowieso nicht darum, einzelne spektakuläre Erfolge zu suchen. Was zählt, ist in den strategischen Aktienmärkten wohlbalancierte  Portfolios zu halten.

Anleihen, die einen 30 Jahre langen Boom erlebten, haben in Ihrer Strategie das grösste Gewicht. Doch nun müssen wir mit einer zinslosen Welt leben.

In der Tat haben auch wir von den hohen Bewertungsgewinnen in den Obligationenmärkten profitiert. Die Zitrone ist aber nun wirklich ausgepresst und die Zeit der Bewertungsgewinne insbesondere bei Eidgenossen ist vorbei. Die Ertragsaussichten für festverzinsliche Anlagen sind derzeit mehr als ungünstig, auch auf  längere Sicht. Das beschäftigt uns auch auf der strategischen Ebene, und zwar nicht erst seit dem 15. Januar.

Was bedeutet das für Ihre Anlagen? Haben Sie Anpassungen vorgenommen?

Das Problem ist, dass die Handlungsalternativen begrenzt sind. Der vielzitierte Anlagenotstand ist keine leere Floskel. Man kann auf Realwerte ausweichen, doch dabei geht man naturgemäss höher Risiken ein. Zudem sind auch die Bewertungen der Aktien- und Immobilienmärkte nun eher hoch. Im Übrigen kann man ein Portfolio von fast 50 MilliardenFranken nicht einfach umschichten. Das ist, als würde man einen Supertanker in eine neue Richtung lenken wollen.

Weichen Sie auf High Yield Bonds aus?

Kreditrisikoprämien können wertvolle Zusatzrenditen bringen. High Yield Bonds sind eine Möglichkeit, aber es gibt auch andere. Unsere normalen Investment-Grade-Portfolios enthalten erhebliche Anteile an Unternehmensanleihen. Ausserdem gibt es zum Beispiel auch Private Debt in Analogie zu Private Equity.

Gibt es weitere Alternativen?

Durchaus, man sollte auch bei den Obligationen die Augen nicht vor der «Emerging World» verschliessen. Dort zu investieren ist anspruchsvoll, auch operativ. Aber jenen, die sich diese Fähigkeit erarbeiten, erschliessen sich so attraktive Renditen.

Ohne Risiko kann aktuell kaum Ertrag erzielt werden. Wie riskant sind Ihre Investitionen insgesamt?

Die Unsicherheit in den Märkten ist und bleibt hoch, und die zu erwartenden Erträge sind gesunken. Unser Anlageportfolio hat insgesamt ähnliche Risiko- und Ertragscharakteristiken wie eine sehr gut finanzierte Pensionskasse. Wir haben zwar mehr Alternativanlagen, dafür aber einen eher tieferen Aktienanteil. Aufgrund der rechtzeitigen Senkung des technischen Zinssatzes und der erarbeiteten hohen Risikofähigkeit ist unser Ertragsbedarf heute im unteren Bereich dessen, was Pensionskassen erwirtschaften müssen. Grundsätzlich gilt aber, dass auch der langfristige Investor heute gezwungen ist, höhere Anlagerisiken einzugehen, um eine bestimmte Zielrendite zu erwirtschaften.

Alternativanlagen verfügen ebenfalls über höhere Risiken. Vor denen schrecken Sie aber nicht zurück. Warum auch?

Alternativanlagen haben für den professionellen Investor, der mit den Methoden und Instrumenten in diesem Bereich vertraut ist, gar nichts Schreckliches an sich. Im Gegenteil: Sie erschliessen Ertragspotenziale, zu denen man mit klassischen Anlageinstrumenten keinen Zugang hat.

Welche setzen Sie gezielt ein?

Konkret investieren wir in Hedge Funds und Private Markets. Letztere schliessen neben nichtkotierten Aktien auch nicht gehandelte festverzinsliche Werte ein.

Nutzen Sie auch Dachfonds?

Nein, wir brauchen keine Dachfonds und können dadurch Kosten sparen. Denn aufgrund unserer Grösse, unseres über Jahre erarbeiteten Know-hows und unseres langen Anlagehorizontes haben wir direkten Zugang zu den besten und etabliertesten Fonds in diesen Anlageklassen. Unsere Spezialisten suchen die Investitionen gezielt aus und überwachen diese.

Private Equity und Hedge-Funds-Investitionen sind sehr umstritten. In der Vergangenheit lieferten sie nicht immer den erhofften Ertrag. Wie gehen Sie mit diesen Risiken um?

Wir investieren seit rund zehn Jahren in solche Anlagen. In dieser Zeit konnte das Risiko-/Ertragsprofil unsere Erwartungen durchaus erfüllen oder sogar übertreffen. In den Märkten für Alternativanlagen tummeln sich aber jede Menge «Experten» unterschiedlicher Qualität. Entscheidend ist daher eine geschickte Selektion. Nur so findet man die kompetentesten und talentiertesten Profis, und genau zu diesen suchen wir den Zugang.

Worauf achten Sie bei der Auswahl?

Auch hier ist eine gute Diversifizierung entscheidend. Und bevor wir investieren, wird in jedem Fall eine gründliche Due Diligence gemacht, die ökonomische, operative und rechtliche Aspekte umfasst. In Manager, deren Geschäftsmodell wir nicht verstehen oder die mangelnde Transparenz aufweisen, investieren wir erst gar nicht. Und auch nach erfolgter Investition wird jede Position laufend überwacht und wir scheuen uns nicht, Beziehungen zu beenden, wenn sie uns nicht mehr passen.

Auch Währungsrisiken geht die Suva nicht ein. Sind all Ihre Positionen abgesichert?

Wechselkursrisiken werden nicht nachhaltigentschädigt, daher ist eine weitgehende Absicherung seit langem Bestandteil unserer Strategie. Im Übrigen war die Absicherung für die wichtigsten Währungen in den letzten Jahren fast gratis. Mit den Negativzinsen steigen die Kosten nun aber wieder. Bei einigen Währungen mit kleineren Expositionen gibt es ausserdem keine Absicherung, weil sie zu teuer ist oder keine entsprechenden Instrumente erhältlich sind.

Blieben Sie durch die Absicherungen vor den Auswirkungen der Aufhebung des Euro-Mindestkurses verschont?

Weitgehend, doch die gewaltige Kursbewegung bei den Schweizer Aktien haben natürlich auch wir zu spüren bekommen. Und bei den Fremdwährungen waren wir aus praktischen Gründen nicht ganz zu 100 Prozent abgesichert, so dass ein Restrisiko blieb. Aber im Vergleich zu dem, was ohne Absicherung passiert wäre, waren unsere Verluste am 15. Januar gering. Und per Ende Februar ist unser Anlageresultat wieder positiv.

Ein wichtiger Aspekt Ihrer Investitionen ist der Fokus auf nachhaltige Anlagen. Tragen Sie damit Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung Rechnung?

Absolut. Als Sozialversicherung mit einer langfristigen Orientierung tragen wir eine besondere Verantwortung. Wir berücksichtigen bei unseren Finanzanlagen nebst finanziellen auch soziale, ethische und ökologische Gesichtspunkte (ESG, Environmental-, Social- and Governance; die Red.) sowie die gute Corporate Governance. Normative Grundlage ist die Schweizer Gesetzgebung und der UN Global Compact. Die Suva hat die UN Principles of Responsible Investment unterzeichnet und engagiert sich als Gründungsmitglied bei der Initiative Swiss Sustainable Finance.

Sie nennen als Grundlage die Prinzipien von UN Global Compact. Was ist darunter zu verstehen?

Der UN Global Compact umfasst zehn Grundprinzipien. Diese bilden die wesentlichsten Grundlagen des internationalen Rechtes ab. Dazu gehört zuallererst die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Weiter zählen dazu unter anderem die UN-Konvention gegen Korruption oder auch die Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit. Gerade letztere ist für uns als sozialpartnerschaftliche Institution besonders bedeutsam.

Wie wird das Ziel – verantwortungsvoll zu investieren – im Anlageprozess umgesetzt?

Wir verzichten grundsätzlich auf gewisse potenziell problematische Investments. Zudem überwachen wir einzelne Unternehmen oder Gegenparteien bezüglich Widersprüchen zu unseren ESG-Prinzipen. Zu einem Ausschluss führen kann beispielsweise die Produktion kontroverser Waffen wie Streubomben. Weitere Gründe können die Verletzung grundsätzlicher Menschenrechte oder Arbeitsnormen sein.

Was passiert, wenn es bei einem Unternehmen «Ungereimtheiten» gibt?

Bei Schweizer Unternehmen üben wir unsere Stimmrechte konsequent aus. Hier können wir – zusammen mit anderen Investoren – durchaus und ganz konkret eine Wirkung erzielen. Als Grossaktionärin haben wir oft auch Zugang zur Geschäftsleitung und können uns so direkt einbringen. Bei ausländischen Unternehmen ist diese direkte Einflussnahme in der Regel jedoch nicht möglich. Dann wird auf Beschluss der Geschäftsleitung von Investitionen in Wertschriften der betroffenen Firma Abstand genommen, sofern die Umsetzung nicht mit übermässigen Kosten verbunden ist.

Gibt es auch Investitionen, die für Sie absolut nicht in Frage kommen?

In Zeiten des Anlagenotstandes muss man für vieles offen sein, auch für unkonventionelle Anlageklassen. Aber es muss eben eine nachhaltige Wertschöpfung gewährleistet sein. Und grobe Widersprüche zu unseren Wertvorstellungen wollen wir auch nicht tolerieren. Diese Überlegungen haben beispielsweise dazu geführt, dass wir auf Agrarrohstoffe verzichten.

Von welchen weiteren Anlageprodukten lassen Sie die Finger?

Bei den Anlageprodukten bevorzugen wir einfache und transparente Vehikel, die ein hohes Mass an Rechtssicherheit und Eigentumsschutz bieten. Derivate sind ein unverzichtbares Mittel für die effiziente Portfoliosteuerung. Auch hier bevorzugen wir bewährte Grundformen. Komplexe und intransparente Strukturen meiden wir.

Dass Sie insgesamt einen aktiven Anlagestil bevorzugen, ist klar. Verwendet die Suva daneben auch indexierte Lösungen?

Wir schliessen die Produkte nicht aus, aber wir sind durchaus der Ansicht, dass man mit einem aktiven Anlagestil auch nach Abzug aller Kosten Geld verdienen kann. Jedoch sind wir nicht dogmatisch. Ist keine überzeugende aktive Lösung verfügbar, dann ist eine effiziente passive Abbildung immer eine valable Alternative.

Sie machen also der Diskussion über aktive und passive Produkte einen Strich durch die Rechnung.

Ja, denn die Diskussion ist kurzsichtig. Sie fokussiert auf einen kleinen Teil des Anlageprozesses. Durch die Auswahl des einen oder des anderen Benchmarks hat man oft viel mehr Einfluss auf Risiko und Ertrag als durch die Auswahl zwischen aktiver oder passiver Umsetzung.

Ernst Mäder ist Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter des Departements Finanzen bei der Schweizer Unfallversicherung Suva. In dieser Funktion ist er Finanzchef und auch verantwortlich für das Asset Management der Suva. Das Anlagevermögen ist zweckgebunden und hat die gesetzlich vorgegebenen finanziellen Verpflichtungen der Suva gegenüber ihren Versicherten zu decken.
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