Der künftige Renditetreiber

Aus dem Modewort ist eine Anlagephilosophie geworden. Nachhaltiges Investieren wird zum Mainstream – und das sei gut so, meint Martin Thommen von Lombard Odier. So würden gute Firmen belohnt, schlechte bestraft.

Text: Rino Borini

Herr Thommen, nachhaltige Kapitalanlagen verzeichnen ein überdurchschnittliches Wachstum. Ein nachhaltiger Trend oder derzeit einfach Mode?

Ich bin fest überzeugt, dass wir es hier mit einer tiefgreifenden Veränderung zu tun haben, die nicht nur das Asset Management betrifft, sondern generell einen umwälzenden Effekt haben wird. Der Begriff Nachhaltigkeit wird am häufigsten mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Die aktuelle Revolution geht jedoch weit über dieses, wenn auch sehr wichtige, Thema hinaus. Wir glauben, dass es jeden Winkel der Welt tangiert und Auswirkungen auf jede Anlageklasse haben wird.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung?

Der Digitalisierung kommt eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Sie ist einer von vier Megatrends, durch welche die Nachhaltigkeitsrevolution vorangetrieben wird. Ebenfalls dazu zählen: demografische Verschiebungen, Umwelt und Klimaveränderungen sowie die steigende Ungleichheit in den sozialen Strukturen. Der technologische Fortschritt bietet eine aussergewöhnliche Gelegenheit, nachhaltigere Geschäftsmodelle zu schaffen und die nicht nachhaltigen auszumustern. Ich denke da zum Beispiel an das Konsumverhalten.

Gibt es eine Signalwirkung an die Unternehmen, wenn immer mehr Anleger, insbesondere institutionelle Investoren, auf diesen Trend setzen?

Auf jeden Fall. Der Druck auf Unternehmen, nachhaltig zu arbeiten, nimmt zu. Institutionelle Investoren – vor allem Pensionskassen – tragen mit den grossen, ihnen anvertrauten Vermögen eine besondere Verantwortung und kommen nicht umhin, sich mit dem Thema zu befassen. Es geht um langfristig solide Renditen, aber auch darum, sich an der öffentlichen Diskussion um nachhaltiges Verhalten und Investieren zu beteiligen.

Wie sieht ein solche Beteiligung konkret aus?

Eine aktuelle Studie von McKinsey zeigt auf, dass rund 26 Prozent der globalen Vermögen inzwischen nach Umwelt-, Sozial- und Governance Grundsätzen angelegt sind. Der Einfluss grosser institutioneller Investoren auf die Geschäftspolitik von Unternehmen ist folglich nicht zu unterschätzen. Die Kräfte nehmen aber aus mehreren Richtungen zu. Dazu zähle ich neben der bereits erwähnten Digitalisierung das steigende soziale Bewusstsein der Konsumenten, die immer besser informiert sind. Die politische Agenda auf globaler und nationaler Stufe ist ebenfalls ein sehr wichtiger Katalysator. Das UNO-Klimaabkommen von Paris 2015 hat der Entwicklung enormen Schub verliehen. Neue staatliche Regeln tangieren die Unternehmen direkt und somit indirekt Investoren und Konsumenten.

Was, wenn Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit dem Trend nicht folgen?

Investoren verstehen zunehmend, welche Rolle Nachhaltigkeitsfaktoren auf den Geschäftserfolg und damit auch die Performance einer Aktie spielen können. Deshalb richten sie ihre Investments auf nachhaltige Unternehmen aus. Firmen, die dem nicht folgen können oder wollen, werden langfristig auf der Strecke bleiben und zunehmend Mühe bekunden, am Kapitalmarkt Geld zu gewünschten Konditionen zu erhalten. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Nachhaltigkeit der Treiber für zukünftige Returns sein wird.

Hand aufs Herz: Wie nachhaltig ist die Finanzbranche wirklich?

Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass es hier Licht und Schatten gibt. Ich kann nur für unser Unternehmen sprechen. Seit 222 Jahren orientieren wir uns an langfristigen strukturellen Trends – und das mit Erfolg. Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Teil unserer Unternehmens-DNA. Sie tangiert das gesamte Unternehmen, von der Vermögensverwaltung bis hin zur Unternehmensführung.

Immer wieder wird behauptet: Wer nachhaltig investiere, erleide keine Renditeeinbussen. Stimmt das wirklich?

Wir haben ein globales Portefeuille von 1700 Aktien untersucht und festgestellt, dass sich die Akteure an der Börse seit zwei Jahren anders verhalten als früher. Wendepunkt war die UNO-Klimakonferenz in Paris 2015. Anleger investieren zurückhaltender in Firmen, die ihre Mitarbeiter schlecht behandeln, Wasser verschwenden oder zweifelhafte Führungsstrukturen aufweisen. Der Best-in-Class-Ansatz führt über die Zeit dazu, dass Firmen mit den schlechtesten Standards höhere Kapitalkosten haben.

Rendite ist das Eine, Kosten das Andere. Einige Anbieter bieten nachhaltige Anlageformen an, die teurer sind als herkömmliche Produkte. Ist das noch zeitgemäss oder sollten Anleger nicht erwarten können, dass ESG Kriterien automatisch berücksichtigt werden?

Sie können als Anleger heute erwarten, dass Sie ein nachhaltiges Anlageprodukt zu kompetitiven Preisen erhalten. Was Sie aber berücksichtigen sollten, ist der Aufwand, der mit der Selektion der Unternehmen verbunden ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir verwenden ein Sustainability-Bewertungsraster mit 115 Datenpunkten. Dazu kommt, dass die Transparenz seitens der Firmen sehr unterschiedlich ist, was mit zusätzlichem Research-Aufwand verbunden ist.

Der Wildwuchs bei nachhaltigen Anlagevehikeln ist immens. ETF-Anbieter wie auch aktive Fondshäuser bieten eine Fülle an Produkten an. Worauf soll ein Anleger achten, wenn auf der Etikette Nachhaltigkeit steht?

Er sollte schauen, welche Haltung der Anbieter zu diesem Thema verfolgt. Gehört es zu seiner DNA oder sind nur einzelne Produkte mit der Etikette Nachhaltigkeit versehen und werden diese in den Mittelpunkt gerückt? Offene Information und Kommunikation sollten gewährleistet sein.

Es gibt diverse Arten von Strategien. Einigen genügt es, die grössten Sünder auszuschliessen. Greift ein solcher Ansatz nicht zu kurz?

Moderne Investment-Ansätze in diesem Bereich gehen heute viel weiter, als nur gewisse Sektoren oder Unternehmen auszuschliessen. Vielmehr geht es darum, diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die von den durch die Nachhaltigkeitsrevolution entstehenden Chancen am meisten profitieren.

Was ist für Sie ein richtiger, intelligenter und nachhaltiger Anlageansatz?

Der Unsrige beruht auf einem Drei-Säulen-Prinzip: Ausgangspunkt ist die wirtschaftliche Tragfähigkeit eines Unternehmens. Es muss kapitaleffizient, liquiditätsstark und solide finanziert sein. Bei der Beurteilung von Anleihen analysieren wir auch die Kreditqualität. Die zweite Säule befasst sich mit der Nachhaltigkeit der Geschäftspraktiken. Das Unternehmen und seine Stakeholder müssen verpflichtet sein, langfristig Werte zu schaffen. Wie ein Unternehmen im Kontext seines weiteren Umfelds geführt wird, hat direkte Auswirkungen auf seine finanzielle Leistung. Schliesslich berücksichtigen wir als dritte Säule die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Sie bemisst die Fähigkeit eines Unternehmens, die Chancen des Wandels zu nutzen und Trends zu identifizieren, die den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmen der Zukunft prägen werden.

* Martin Thommen, Leiter Third Party Distribution Europa, Lombard Odier Investment Managers.


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