Alle Welt kennt den Dow Jones Industrial Index, dabei ist er gänzlich unwichtig. Die Musik spielt woanders: beim S&P 500. Dass letzterer die wichtigere Rolle spielt, zeigt sich bei der Anzahl der passiven Produkte, die auf die beiden Indizes aufgelegt sind.
Text: Rino Borini
Wer die Medienberichterstattung verfolgt, könnte meinen, der Dow Jones Industrial Index (DJIA) sei das Mass aller Dinge. Doch das ist falsch: Er ist zwar der älteste Index auf amerikanische Aktien, doch als Barometer für die US-Wirtschaft taugt er nur bedingt, schliesslich beinhaltet er nur 30 Einzeltitel. Weder Profis noch clevere Privatanleger kaufen Finanzprodukte auf den DJIA.
Die zu geringe Streuung ist nicht der einzige Kritikpunkt. So werden die 30 Mitglieder subjektiv bestimmt, vom Wall Street Journal. Dazu kommt, dass die Überprüfung der Zusammensetzung nicht zu fixen Zeitpunkten erfolgt, sondern nach Bedarf der Kommission. In den letzten zwei Dekaden kam es nur zwei Mal zu einem grösseren Umbau, der letzte vor drei Jahren.
Damals wurden mit dem Computerhersteller HP, der Bank of America und dem Aluhersteller Acoa gleich drei namhafte Konzerne aus dem Index geworfen. Aufnahme fanden dafür Nike, Goldman Sachs und der Kreditkarten-Primus Visa.
Die Kritiker konnte dies nicht beruhigen. Denn just in dieser Zeit wurde Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt – die Aufnahme in den Index erfolgte jedoch erst im März 2015. Seltsam ist auch das Fehlen von Googles Muttergesellschaft Alphabet, Amazon oder Facebook. Immerhin verkörpern diese Unternehmen die massiven Veränderungen der Wirtschaft: Mit dem Internet und der Digitalisierung haben sich komplett neue Geschäftsmodelle entwickelt, die bestehende Strukturen und Regeln auf den Kopf stellen.
Und je stärker die Wertschöpfungskette weiter digitalisiert wird, desto wichtiger werden digitale Plattformen, über welche die Wertschöpfung organisiert wird. Da diese Unternehmen nicht nur die Plattform selber, sondern auch den Kundenzugang und viele Prozesse kontrollieren, spricht man von der Plattform-Ökonomie.
Der bessere Index
Das für die Praxis wichtigere Pendant zum DJIA ist der S&P 500, der die 500 grössten US-Unternehmen abbildet. Das amerikanische Aktienbarometer ist nicht nur für US-Investoren zentral, sondern für alle: Es ist der global am häufigsten verwendete Aktienmassstab und weist die höchste Anzahl an Indexprodukten auf, die das Barometer 1:1 abbilden.
Für eine Aufnahme müssen die Titel eine Marktkapitalisierung von mindestens vier Milliarden Dollar aufweisen. Der S&P 500 repräsentiert damit rund 75 Prozent des gesamten US-Marktes. Aufgrund seiner Marktbreite und der immer noch wirtschaftlich dominanten Rolle der USA gilt der S&P 500 als Leitindex für den globalen Aktienmarkt. Die Ursprünge des Barometers gehen zurück auf das Jahr 1923, als das Standard Statistic Bureau -wöchentlich einen Index mit 233 Aktienwerten herausgab. In seiner heutigen Form wurde der Index 1957 von Standard & Poors etabliert. Im März 2017 wird er sein 60-jähriges Bestehen feiern.
Über die Zeit haben sich die Indexkomponenten und die Branchengewichtung stark verändert. So waren Finanzwerte noch vor zehn Jahren mit 21 Prozent am stärksten gewichtet, der zweitstärkste Sektor war das Gesundheitswesen. Heute ist die Finanzbranche mit 16 Prozent nur noch an zweiter Stelle. Die Spitzenposition gebührt der Informations- und Telekommunikationsbranche, sprich: Apple, Amazon, Facebook, -Microsoft & Co.
Natürlich kann es sein, dass ein Titel nur kurz im Index verweilt – doch das sind Ausnahmen. Noch heute befinden sich im Index rund 80 Firmen, die seit der Gründung dabei sind. Die anderen Gründungsmitglieder sind entweder Konkurs gegangen – Kodak oder Lehman Brothers –, erfüllten die Richtlinien nicht mehr oder sind aufgrund von Fusionen oder Übernahmen verschwunden.
Kein Spiel für Verlierer
Dass der erste Indexfonds überhaupt auf den S&P 500 lanciert wurde, kann bei dessen Geschichte nicht überraschen. Erfinder war John C. Bogle, Gründer des amerikanischen Vermögensverwalters Vanguard Group, Ende August 1976 kam das Produkt auf den Markt. Mit seiner Innovation demokratisierte er die Geldanlage für Privatanleger. Der Index erlaubte eine breite Diversifikation im Aktienmarkt – und das zu minimalen Kosten.
Bogle liess sich bei seiner Innovation von diversen wissenschaftlichen Artikeln inspirieren. Unter anderem von «The Loser’s Game» von Charles D. Ellis, Gründer von Greenwich Associates. Schon damals, also vor über vierzig Jahren, hielt dieser fest, dass die Rendite von 85 Prozent der amerikanischen institutionellen Anleger der Performance, nach Kosten, des S&P 500 Index nachhinke.
Er zog sogar einen Vergleich zum Spielkasino: «Gambling in a casino where the house takes 20 percent of every pot is obviously a Loser’s Game.» Wenn das Kasino von jeder Wette 20 Prozent einbehalte, könne man ja nur verlieren. Trotzdem musste sich Bogle lange gedulden, bis sein Indexfonds den Durchbruch schaffte.
Statt der gewünschten 150 Millionen Dollar erreichte er im ersten Jahr nur gerade elf Millionen. Bis zum Durchbrechen der 100-Millionen-Marke dauerte es weitere zehn Jahre. Inzwischen verwaltet der Fonds 253 Milliarden Dollar, die Verwaltungsgebühr beträgt 0,05 Prozent.
Heute gehören Indexfonds und deren Weiterentwicklung, die Exchange Traded Funds, zu den erfolgreichsten Finanzprodukten. Insgesamt verwalten sie über fünf Billionen Dollar. Da sie im breiten Markt noch nicht gänzlich angekommen sind, wird die Erfolgsgeschichte andauern. Um unschöne Überraschungen zu vermeiden, sollten Anleger den zugrundeliegenden Index genau prüfen. Der Dow Jones ist nicht der einzige Index mit grossem Ruf – und wenig dahinter.