Der Schweizer Aktienmarkt hinkt im Vergleich zum S&P 500, aber auch zum Weltindex, hinterher. Es fehlen Tech-Werte, doch es gibt sie. Wir haben mit Peter Bänziger über die Aussichten 2021 gesprochen.
Trotz einem heftigen Dämpfer im Frühling und unsicherer Aussichten konnten viele Aktienmärkte die Kursverluste teilweise wett machen. Der Dow Jones erreichte im November sogar eine neue Höchstmarke. Wie lassen sich die trotz Corona stark steigenden Kursnotierungen erklären?
Peter Bänziger Die Aktienmärkte haben die Auswirkungen der Pandemie im laufenden Jahr abgehakt und schauen in eine Zukunft nach Corona. Sie nehmen zudem einen Teil der zu erwartenden Erholung der Unternehmensgewinne vorweg. In diesem Sinne diskontieren die Märkte klar eine positive Konjunkturentwicklung für 2021 und 2022. Ein weiterer zentraler Faktor sind die tiefen Zinsen. Mit der Coronakrise ist die Verzinsung auch beim Dollar in den Nullprozent-Bereich gefallen. Diese Tatsache führt zu einem höheren Wert aller zukünftigen Zahlungsströme wie Gewinne und Dividenden. Die steigenden Aktienkurse reflektieren diese Tatsache.
Werden die Aktienmärkte mangels Alternativen weiter steigen und besteht die Gefahr einer Überhitzung?
Immerhin liegt eine ganze Dekade steigender Aktiennotierungen hinter uns. Alternativen gibt es tatsächlich wenige. Zentral ist aus unserer Sicht, dass es den risikofreien Zinssatz für Schweizer Anleger nicht mehr gibt – er wurde abgelöst vom zinslosen Risiko. Am Aktienmarkt gibt es kurzfristig immer Phasen der Überhitzung, aber für unsere Beurteilung sind die langfristigen Entwicklungen zentral. Dabei gehen wir davon aus, dass uns tiefe Zinsen noch lange begleiten werden, da das System substanziell höhere Zinsen nicht tragen kann. Zudem ist die Kursentwicklung von Aktien in der letzten Dekade durch das Gewinnwachstum breit abgestützt und die Bewertungsexpansion teilweise mit dem gesunkenen Zinsniveau erklärbar. Alles in allem ist die Risikoprämie von Aktien positiv, was bedeutet, dass Aktieninvestoren für die eingegangenen Risiken entschädigt werden.
Wie sieht Ihr wahrscheinlichstes Szenario aus?
Unser Basisszenario für die nächsten 6 bis 12 Monate geht von einer schrittweisen Rückkehr zur Normalität aus und basiert auf einer Drei-Säulen-Strategie zur Bekämpfung der Coronakrise. Erstens: Verfügbarkeit und Wirksamkeit eines Impfstoffes, also die «Durchimpfung» einer breiten Bevölkerung während der Sommermonate. Zweitens: die Verfügbarkeit von Schnelltests und/oder Massentests zur raschen Erkennung von Infizierten und zeitnahen Ergreifung von Massnahmen, ohne dass weitere Lockdowns notwendig werden. Und drittens: die Aufrechterhaltung der bisherigen Schutzmassnahmen in einem vernünftigen Ausmass, sodass kein JoJo-Effekt von Verschärfungen und Lockerungen stattfindet.
Was erwarten Sie den von den Zentralbanken?
Wird sich bei den Zinsen etwas tun? Die Zentralbanken werden die Zinsen tief halten, um erstens das Wiederanlaufen der Wirtschaft nicht zu gefährden und zweitens die Tragbarkeit der erhöhten Staatsschulden sicherzustellen. Die wichtige Rolle der Zentralbanken seit der Finanzkrise und auch während der Pandemie bleibt uns erhalten. Die amerikanische Notenbank hat klar signalisiert, dass sie eine höhere Inflation temporär tolerieren wird, sprich die Zinsen erst später zu erhöhen gedenkt. Die EZB ist auf dem gleichen Pfad und die SNB hat keine andere Wahl, als ebenfalls mitzumachen. Die tiefen und teilweise negativen Renditen lassen für die privaten Anleger eine seit Jahrzehnten «klassische» Anlage – die Obligationen – praktisch von der Menükarte verschwinden. Die Politik der Zentralbanken hat zweifellos die Aktienkurse gestützt und teilweise auch in die Höhe getrieben.
Blicken wir auf die Schweiz. Wie wird sich unsere Wirtschaft im 2021 entwickeln?
In unserem Basisszenario gehen wir von einer raschen und deutlichen Erholung der Schweizer Wirtschaft aus. Dies deckt sich mit den offiziellen Schätzungen für das BIP-Wachstum der OECD von 4,7 Prozent im Jahr 2021 nach einem Einbruch 2020 von 3.7 Prozent. Es bestehen jedoch beträchtliche Risiken, welche diese Schätzungen torpedieren könnten, wie die aktuelle Verschärfung der Lage zeigt. Der soeben in Grossbritannien zugelassene Impfstoff ist der erste, der auf der neuen mRNA-Technologie basiert. Rückschläge in Form von Nebenwirkungen oder mangelnde Impfbereitschaft könnten die Erholung rasch abschwächen und verzögern.
Der Schweizer Aktienmarkt hinkt im Vergleich zum S&P 500, aber auch zum MSCI World, hinterher. Beide Barometer sind von Technologiesektor getrieben. Fehlen uns solche Tech-Firmen?
Der MSCI World ist natürlich durch den hohen Anteil an US-amerikanischen Aktien geprägt, die 2020, in der Landeswährung gerechnet, deutlich über der Entwicklung des Schweizer Aktienmarktes liegen, wobei der technologielastige Nasdaq die Nase vorn hat. Aber auch einige asiatische Märkte liegen im Plus. Auf Stufe der Indizes SPI und SMI ist der Schweizer Markt dominiert von den defensiven Schwergewichten Nestlé, Novartis und Roche – Technologiewerte dagegen haben nur kleine Indexgewichtungen. In der Schweiz gibt es trotzdem einige vielversprechende Industrie-beziehungsweise Tech-Aktien, sie sind aber eher bei den Small- und Mid Caps zu finden.
Was erwarten Sie für den Schweizer Aktienmarkt im Jahr 2021?
Generell ist zu sagen, dass der Schweizer Aktienmarkt eine attraktive Risikoprämie aufweist. Weil uns die Negativzinsen weiter begleiten, erwarte ich längerfristig eine Fortsetzung der Bewertungsexpansion. Eine Prognose für 2021 zu geben, ist schwierig. Wir sind für unsere Kunden in einer guten Mischung aus den grossen Blue Chips wie Roche, Novartis, Nestlé, Qualitätswerten mit attraktiver Dividendenrendite wie beispielsweise Zurich, Swiss Life, SGS und Wachstumswerten wie Sonova oder VAT investiert.
Wovon raten Sie ab?
Kurzfristig würde ich dem Hype um Impfstoffproduzenten nicht folgen. Zudem bin ich seit längerem kein Fan von Grossbank-Aktien, obwohl die UBS grosse Fortschritte erzielt hat. Bei der CS kann ich immer noch keine, für Aktionäre langfristig attraktive Strategie erkennen.
Der Bitcoin konnte in diesem Jahr stark zulegen. Sinnvolle Ergänzung im Portfolio oder eher Spielerei?
Ich sehe die mögliche Funktion bei Bitcoin eher als Wertaufbewahrungs- und Zahlungsmittel denn als wertgenerierende Anlage, weil ich keinen Grund für eine nachhaltige Wertsteigerung sehe. Die Ausnahme bildet die Hoffnung, dass jemand Bitcoins wieder zu einem höheren Preis kauft.
*Peter Bänziger ist Partner & CIO bei Belvalor AG