Der Kryptowinter ist vorbei, doch diese Eiszeit hatte auch ihre guten Seiten, schreibt Blockchain-Experte Johannes Schweifer.
Vor nicht allzu langer Zeit – vor etwa zwanzigtausend Jahren – ging die letzte Eiszeit zu Ende. Eine solche Kälteperiode ist allem Vernehmen nach eine ungemütliche Sache. Mehr als nur arschkaltes Wetter. Aber so widerlich es auch war, wir verdanken diesen Umständen unser verhältnismässig protziges Gehirn mit enormer Hashrate. Geeignet, um so etwas Geniales wie eine Blockchain zu ersinnen und zu entwickeln.
Eine Eiszeit wirkt wie eine Art Sieb. Alles, was mit den niedrigen Temperaturen nicht zurechtkommt, purzelt unten raus. Der Starke und Gerissene bleibt im Sieb hängen, gedeiht und entwickelt sich trotz fieser Kälte. Bei allen bisherigen Eiszeiten wurde gesiebt und sortiert: Die Guten wurden besser, die Starken stärker. Natürliche Selektion nennt man das. Bis nach etlichen bitterkalten Epochen der stärkste und gerissenste Zweibeiner im Sieb lag, den die Welt bis dato gesehen hat: der Mensch.
Faszinierenderweise haben wir so etwas Ähnliches wie eine natürliche Selektion gerade wieder hinter uns. Ein weiterer harter Kryptowinter ist erst vor ein paar Monaten zu Ende gegangen. Unter den Bäumen, in denen wieder die Vöglein zwitschern, liegen die ausgebleichten Gebeine von Krypto-Start-ups, die vom Winter dahingerafft wurden. Die niedrigen Kryptopreise haben so manchen eiskalt erwischt. Sind die Reserven, gebildet aus den Initial Coin Offerings, erst einmal dahingeschmolzen, vergeudet oder bei manchem sogar geklaut, dann wird es schnell frostig.
Während so manchem der Atem noch vor Anbruch des Tauwetters ausging, scheint nun die Sonne wieder für jene, die ihrem Bitcoin treu geblieben sind, sparsam mit den Reserven umgingen und nicht mehr riskiert haben, als sie verlieren konnten. Es ist aber nicht nur eine Frage der Reserven. Beim Begriff «Eiszeit» kommt mir unweigerlich der Zeichentrickfilm «Ice Age» in den Sinn. In diesem gibt es einen possierlichen Charakter: Scrat, das Säbelzahn-Eichhörnchen.
Von der Mission eine Nuss zu vergraben getrieben, geht Scrat bis an den Rand der Erschöpfung, legt sich mit Viechern an, die grösser sind als er selbst, und löst Katastrophen aus, die ganze Landstriche verwüsten. Manche Start-ups sind wie dieses tapfere Säbelzahn-Eichhörnchen. Ihr Geschäftsmodell: «Versenke die Nuss!». Und die Nuss, das ist die Blockchain.
Es geht offenbar darum, diese Nuss in so ziemlich jeden Geschäftsprozess reinzuhämmern, den man mit den kleinen Knopfaugen erspäht. Auch wenn sich die Nuss da gar nicht reinklopfen lässt. Ihre Gegner: richtig grosse Tiere – Banken und Regulatoren. Mittlerweile wissen wir jedoch: Bei manchen Dingen braucht es einfach keine Blockchain. Wo sie aber Sinn macht, da versenkt einer seine Nuss an der richtigen Stelle und löst möglicherweise eine Lawine aus. So wie Satoshi seinerzeit mit der ersten – und immer noch erfolgreichsten – Blockchain aller Zeiten: dem Bitcoin.
Was wir diesen Kryptowintern verdanken, ist eine natürliche Selektion, die dafür sorgt, dass alles, was diese Zeiten übersteht, hinterher stärker ist. In diesem Sinne mag es der Eine oder Andere beklagenswert finden, wenn es ein paar karge Jahre gibt. Einem guten Geschäftsmodell und einer soliden Finanzierung sollte die Eiszeit aber nichts anhaben können. So freuen wir uns jetzt erstmal auf eine üppige Sommerwelle – der nächste Kryptowinter kommt bestimmt.
*Johannes Schweifer ist Co-Gründer und CEO der CoreLedger AG.