Banking Wallets sind auf dem Vormarsch. Oftmals sind diese vielmehr als nur eine Bezahl-App. Doch Revolut, Venmo und Co. sehen sich bereits wieder durch die nächste Welt an Innovation herausgefordert: Dezentralisierte Krypto-Projekte.
Text: Pascal HügliDas Anlageuniversum ist so divers wie nie, unzählige Vermögensverwalter und Investmentfirmen balzen um die Gunst der Kunden. Im Kampf um Margen werden immer neue Investitionsmöglichkeiten beworben – in der Hoffnung, möglichst als erster eine neue Sau durchs Anlagedorf zu jagen. In beeindruckender Kurzlebigkeit fokussieren sich Finanzbroschüren, Investmentrundbriefe und Anlageprospekte dabei oft auf einzelne Sektoren, kurzfristige Erfolgs-zahlen und gegenwärtige Preisbewegungen.
Heute, wo sich fundamentaler Wandel durch Digitalisierung immer mehr abzeichnet, hat sich auch manch ein Vermögensverwalter innovative Disruption auf die Fahnen geschrieben. Zu den am häufigsten propagierten Bereichen, in denen sich über die nächsten Jahre lukrative Investitionsmöglichkeiten auftun sollten, gehören Deep Learning, Energiespeicherung, autonomes Fahren und Genom-Sequenzierung.
Die Finanzindustrie selbst dürfte durch den digitalen Umbruch signifikant umge-krempelt werden. Das relevante Stichwort hier klingt zuerst einmal eher harmlos: «Banking Wallets», oder auf Deutsch digitale Bank-Brieftaschen. Diese können mehr als eine gewöhnliche Bezahl-App und dürften daher nicht bloss den Zahlungsverkehr nachhaltig verändern. Banking Wallets dürften in Zukunft alle möglichen Finanzdienstleistungen wie die Vermögensverwaltung, die Vorsorge, Versicherungen, Sofortzahlungen, Kreditgeschäfte sowie Privat- und Sparkonto abdecken. Die Kreditkarte dürfte verschwinden und die Bank, die Versicherung und der Vermögensverwalter – sie alle wandern dank der Wallet App in die eigenen Hosentaschen.
Aufstieg der Hosentaschenbanken
Wie schnell das Wachstum voranschreitet, zeigen die neusten Zahlen. 2015 verzeichneten die sieben grössten digitalen Wallet-Banken Europas noch 200 000 Kunden. Heute, drei Jahre später, sind es weit über acht Millionen. In den USA befinden sich Venmo und Square Cash App – zwei weitere digitale Wallet-Apps für Peer-to-Peer-Sofortzahlungen – mittlerweile unter den zehn Finanzinstitutionen mit den meisten Kunden. Nur Wells Fargo, Bank of America und JP Morgen haben noch einen grösseren Kundenpool als Venmo.
Auch die Versicherungs-App Lemonade ist in den USA auf dem Vormarsch. In den ersten zwei Jahren haben bereits über 250 000 Kunden eine Versicherungspolice über das Start-up abgeschlossen. Auch in der Schweiz hat eine digitale Wallet-App in der Vor-sorge für etwas Bewegung gesorgt: Seit der Lancierung von VIAC – einer digitalen Säule 3a – im Oktober 2017 konnte die Vorsorge-App bereits fast 9000 Neukunden gewinnen.
Für die traditionelle Finanzindustrie sind diese digitalen Wallet-Apps eine Konkurrenz – auch wenn viele es noch immer nicht wahrhaben wollen. Ein Vergleich aus Deutschland veranschaulicht die Situation: Die Deutsche Bank beschäftigt heute 97 000 Mitarbeiter und verfügt über 20 Millionen Kunden. Mit N26 wurde 2013 eine der ersten digitalen Wallet-Banken auf deutschen Boden ins Leben gerufen. Heute nutzen 2,3 Millionen Menschen die Wallet-App – und das mit nur 750 Angestellten –, bewertet wird das Start-up mit 2,4 Milliarden Euro. Der Aktienkurs der Deutschen Bank dagegen ist gegenüber seinem Höchst-stand von 87 Euro pro Aktie auf klägliche siebeneinhalb Euro gefallen, was eine Gesamtmarktkapitalisierung von 14,4 Milliarden Euro ausmacht.
Die Schlinge zieht sich immer enger zu. Insbesondere die Kundeakquisitionskosten der traditionellen Akteure sind aufgrund ihrer physischen Infrastruktur um ein Vielfaches höher. Laut ARK Investment liegen sie durchschnittlich zwischen 350 und 1500 Dollar pro Person. Digitale Wallet-Apps dagegen benötigen im Durchschnitt nur gerade 20 Dollar, was sie auch für Banken selbst zu einem effektiven Vertriebskanal zur Gewinnung von Kunden macht. Doch selbst wenn traditionelle Banken – wie heute bereits der Fall – eine digitale Wallet-Applösung auf den Markt bringen, werden sie sich damit zwangsweise bis zu einem gewissen Grad kannibalisieren. Traditionelle Bankzweigstellen dürften beträchtlich an Relevanz verlieren.
Die Revolution der Revolution rollt bereits an
Digitale Wallets sind nicht zuletzt mit dem Hype um Kryptowährungen Ende 2017 in den Fokus der Finanzwelt gerückt. In echter Form handelt es sich dabei um eine Art digitales Asset, das Bestandteil eines de-zentralisierten Krypto-Netzwerkes ist, auch Blockchain genannt. Das eigentlich Revolutionäre daran: Das sogenannte Krypto-Asset bedarf keinerlei Kontrollinstanz, sondern existiert und funktioniert dank der Blockchain unabhängig. Auch im Fall der Krypto-Assets ist die Währungs- und Zahlungsfunktion aber nur eine von vielen Applikationen, die sich auf einer Blockchain bilden lassen.
Moderne digitale Wallet-Provider wie Robinhood, Revolut oder Metal Pay haben diese Krypto-Assets in ihre App-Lösung integriert. Doch das eigentliche Ziel der Krypto-Bewegung ist es, genau diese Intermediäre möglichst auszuschalten. Rund um die grösste Kryptowährung Bitcoin – aber auch bei anderen Krypto-Assets – entsteht deshalb gerade ein Ökosystem an dezentralisierten Apps und weiteren Open-Source-Software-Applikationen. Diese wurden teils von anonymen Akteuren gegründet und müssen daher teils ohne Team oder Unternehmen dahinter auskommen. Und doch versuchen sie, gewöhnliche Finanzdienstleistungen zu ermöglichen.
Was spricht dafür, dass solche «herrenlose» digitale Wallet-Apps je massentauglich werden? Die kommende Generation. Sie versteht es heute schon, virtuelle Güter in In-App-Käufen zu er-werben. Gamer-Kids kennen zudem Fortnite V-bucks und Wow Gold. Auch Kinder verdienen gerne Geld, nur haben sie heute kaum Möglichkeiten dazu. Kryptowährungen – besonders anonyme – könnten das Blatt wenden. Im Gegensatz zu Venmo oder Robinhood erfordern Krypto-Wallets kein Bankkonto und in gewissen Fällen auch KYC-Prozedere. Ist Benutzerfreundlichkeit einmal gegeben, dürften Kinder diese Welt schnell entdecken. Und wenn sie diese erstmal betreten haben und damit aufwachsen, wer weiss, ob sie ihr Geld noch zentralisierten Finanzdienstleistern anvertrauen. Immerhin geben digitale Natives heute auch nicht mehr viel auf Fernseher und TV, sondern benutzen Twitch, YouTube oder Netflix.