«Die TER ist wenig aussagekräftig.»

Die Selektion von ETF wird aufgrund des kontinuierlich wachsenden Angebots immer anspruchsvoller. Paul Gerhard Schulz von der Notenstein Privatbank nennt wichtige Aspekte die bei der Auswahl berücksichtigt werden sollten.

Text: Barbara Kalhammer

Herr Schulz, angesichts der wachsenden ETF-Vielfalt fällt die Produktauswahl immer schwerer. Wie sollte bei der Selektion vorgegangen werden?

Die aus unserer Sicht wichtigsten Fragen bei der ETF-Selektion sind die folgenden: Ist der Index geeignet? Wie hoch ist die Replikationsqualität gemessen an der realen Abweichung der  ETF-Performance von der Index-Performance über verschiedene Zeiträume? Welches Replikationskonzept wird verwendet (Voll- oder Teilreplikation, Swap-Nachbildung oder physische Unterlegung) und welche Besonderheiten sind dabei zu berücksichtigen? Welche Kosten fallen tatsächlich an? Welche Risiken bestehen für den Anleger? Schliesslich spielen bei der Produktauswahl auch Handelbarkeit und Liquidität sowie steuerliche Gesichtspunkte eine wichtige Rolle.

Was muss beim ersten Schritt, der Indexwahl, beachtet werden?

Zuerst stellt sich die fundamentale Frage: Bildet der Index wirklich das gewünschte Anlageuniversum ab und ist er ausreichend diversifiziert? Hierzu drei Beispiele: Der SMI weist eine  hohe Konzentration von fast 60 Prozent in den drei Unternehmen Nestlé, Novartis und Roche auf. Ein ETF auf einen Subindex des SWB Bond Index enthält nur zwei Anleihen und der  vielleicht bekannteste Russland-ETF ist mit über 63 Prozent in Energie-Firmen investiert.

Welche weiteren Aspekte gilt es zu berücksichtigen?

Dem Indexkonzept, also nach welchen Kriterien die Indexbestandteile zu gewichten sind, wird derzeit noch wenig Beachtung geschenkt. Das bekannteste und am stärksten verbreitete  Indexkonzept ist die Marktkapitalisierungsgewichtung, bei dem Firmen in Abhängigkeit ihres Marktwertes alloziert werden. Dies hat den Nachteil, dass kleinere Unternehmen  untergewichtet sind, obwohl sie eventuell bessere Fundamentaldaten aufweisen.

Insbesondere bei Obligationenindizes, deren Gewichtungskonzept üblicherweise auf Emissionsvolumina  basiert und stark verschuldete Emittenten somit höher gewichtet werden als solidere, bietet es sich an, Alternativkonzepte wie fundamentaldatenbasierte Methoden in Erwägung zu  ziehen.

Bei der Indexart bevorzugen wir Net Total Return Indices, da hier beispielsweise Dividendenerträge nach Abzug von Quellensteuern wieder angelegt werden können. Je illiquider ein Index respektive die Handelbarkeit seiner Bestandteile, desto teurer ist normalerweise die Verwaltung und desto höher ist seine Geld/Brief-Spanne.

Was muss bei den Replikationsarten berücksichtigt werden?

Es existieren drei empfehlenswerte Verfahren, bei denen aber die jeweiligen Ausgestaltungsdetails entscheiden. Bei der direkten Replikation unterscheidet man die Voll- und die  Teilreplikation, bei der nur ein Teil oder andere Bestandteile als der Index verwendet werden. Insbesondere in Stressphasen sind teilreplizierende ETF nicht immer in der Lage, eine hohe Replikationsqualität zu gewährleisten.

Das zweite bedeutende Verfahren verwendet einen Swap, bei dem die Rendite des Träger- beziehungsweise Sicherheitenportfolios mit der Rendite  des Index getauscht wird. Dieses Verfahren ist von der Replikationsqualität her grundsätzlich mit der Vollreplikation gleichwertig. Bei beiden Verfahren sind jedoch Gegenparteirisiken  zu beachten, etwa bei Wertpapierleihe-Geschäften.

Bei swapbasierten ETF bestehen die Risiken aus Forderungen gegenüber der Swap-Gegenpartei (oder mehreren Parteien). Die Überprüfung des Besicherungskonzepts ist wichtig, da zum Beispiel einzelne Anbieter die Vermögensgegenstände nicht im Sondervermögen ETF, sondern in eigenen Depots halten und  verpfänden.

Im Konkursfall des Anbieters könnte die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals sehr langwierig ausfallen, da die Sicherheiten zur Konkursmasse zählen. Das dritte bei Edelmetallen eingesetzte Verfahren ist die physische Unterlegung, bei der direkt in ein Edelmetall investiert wird, das auf den Namen des Fonds in Tresoren hinterlegt wird.

ETF werden wegen ihrer tiefen Kosten geschätzt. Doch sind sie überhaupt bekannt?

Mit dem Ausweis der Gesamtkostenquote werden pauschal insbesondere die Verwaltungsgebühren und regulatorisch bedingte Kosten ausgewiesen. Im Prospekt erfolgt eine  Aufgliederung vieler Kostenbestandteile, sie ist jedoch nicht vollständig.

Ist die TER ein gutes Vergleichsmass?

Aus unserer Sicht ist die Gesamtkostenquote irreführend, da sie nicht alle Kosten berücksichtigt und auch keine Erträge – wie beispielsweise aus Wertpapierleihe – ausgewiesen werden. Eine optisch niedrige Gesamtkostenquote kann darauf zurückzuführen sein, dass ein Anbieter diese künstlich tief erscheinen lässt, indem Wertpapierleiherträge mit den Kosten verrechnet werden, während andere Anbieter diese ebenfalls dem ETF gutschreiben, sieaber nicht mit den Kosten verrechnen.

Welche Kosten sind unberücksichtigt?

Vor allem solche, die aus Umschichtungen bei Index-Rebalancierungen entstehen, sind in der TER nicht erfasst. Weiterhin werden etwaig anfallende Swap- und Indexgebühren nicht  berücksichtigt. Indexgebühren werden selten erhoben, können aber im Einzelfall die ausgewiesenen Gesamtkosten deutlich übersteigen.

Nach welchen Kostenpunkten wählen Sie ein Produkt aus?

Da wir der Meinung sind, dass Gesamtkostenquoten wenig aussagekräftig sind, fokussieren wir auf die Abweichung der Gesamtrendite des ETF im Verhältnis zur Benchmark und  vergleichen, wie stark sie ist. Wir beachten hingegen Geld/Brief-Spannen verschiedener ETF auf dieselbe Benchmark an derselben Börse. Idealerweise vergleicht man die Spannen zu verschiedenen Tagen und Tageszeiten.

Gibt es noch weitere Aspekte, die bei der Selektion eine Rolle spielen?

Das Volumen kann von Bedeutung sein. Bei sehr kleinen ETF besteht – abhängig von der Politik des jeweiligen Anbieters – möglicherweise ein Schliessungsrisiko, wobei ein Anleger in der Schliessungsphase erhöhte Kosten und Replikationsrisiken in Kauf nehmen muss. Steuerliche Aspekte sind ebenfalls von Bedeutung: Besteht zum Beispiel steuerliche Transparenz für das Domizilland des Kunden? Beeinflusst das Domizil des ETF die Möglichkeiten zur Steueroptimierung bei Dividenden?

Ist die Schlussfolgerung, dass der günstigste ETF der Beste ist, richtig?

Bei ETF verhält es sich mit dieser Frage ähnlich wie bei Konsumgütern, die Antwort ist meistens Nein. Der beste ETF ist der, der den für den Anleger geeigneten Index am exaktesten  nachbildet, oder sogar eine Überrendite erzielt. Er muss günstig zu handeln sein, ein ausreichendes Volumen aufweisen, für den Anleger steuerlich effizient sein und darf keine zu hohen Gegenparteirisiken aufweisen.

Paul Gerhard Schulz, Leiter Fonds-Research im Investment Centre der Notenstein Privatbank AG.
sentifi.com

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