Die Welt ist nicht schwarz-weiss

Zwischen ertragsschwachen Staatsanleihen und schwankungsanfälligen Aktien gibt es ein breites Spektrum an festverzinslichen Wertpapieren aus dem In- und Ausland. Der globale Anleihenmarkt ist riesig und bietet interessante Ertragsquellen.

Text: Gastbeitrag: Jacques-Etienne Doerr, Leiter Institutional Sales Schweiz, PGIM Fixed Income

TINA ist eines der beliebtesten Akronyme an der Wall Street. TINA steht für «There Is No Alternative» zum ­Investieren in Aktien und erfreute sich grosser Beliebtheit, nachdem der S&P 500 Index bis Ende 2021 drei Jahre in Folge zweistellige Zuwächse verzeichnet hatte.

Schaut man jedoch auf das aktuelle Jahr, fällt der Start denkbar schlecht aus. So ging der Index seit Anfang 2022 um etwa 13 Prozent zurück. Nach der Kursrallye im vergangenen Jahr fiel die Dividendenrendite des S&P 500 auf ein 20-Jahres-Tief von etwa 1,50 Prozent.

Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen, reagieren Schweizer Anleger empfindlich auf grosse, tägliche Schwankungen ihrer Ersparnisse. Sollten sie aber deswegen ihre gesamten Rücklagen in den Eidgenossen investieren? Zwar lässt sich der Betrag abschätzen, der am Ende der Laufzeit zurückbezahlt wird, die Erträge sind jedoch bescheiden.

Die Welt ist nicht schwarz-weiss

Zwischen ertragsschwachen Staatsanleihen und schwankungsanfälligen Aktien gibt es ein breites Spektrum an festverzinslichen ­Papieren aus dem In- und Ausland. Aus verschiedenen Gründen sind die Zinsen auf diese Anleihen seit Jahresbeginn stark gestiegen. Sie weisen zwar ebenfalls einen festen Rückzahlungsbetrag bei Fälligkeit auf, bieten jedoch eine deutlich höhere Rendite als die 1,00 Prozent einer zehnjährigen Staatsan­leihe.

Ausserdem sind solche festverzinslichen Anlagen über Fonds erhältlich, welche in der Schweiz registriert und reguliert sind. Dies bietet den Vorteil einer erhöhten Sicherheit. Konkret gibt es im aktuellen Umfeld auch für Privatanleger drei spannende Ansätze bei Obligationen.

Ansatz 1: Unternehmensanleihen bringen höhere ­Erträge

Unternehmensanleihen liefern im Vergleich zu Staatspapieren oftmals höhere Renditen. Ende Mai erzielten in Euro denominierte Investment-Grade-Anleihen 2,58 Prozent Zinsen pro Jahr, während in US-Dollar denominierte Investment-Grade-Anleihen auf eine Verfallrendite von 4,22 Prozent kamen.

Unternehmensanleihen mit langer Laufzeit weisen zudem eine höhere Rendite auf als solche mit kurzer Laufzeit. Für Nestlé gibt es beispielsweise nur einen Typ Aktie, aber mehr als 40 verschiedene Anleihen. Aufgrund ihrer Laufzeit bis zum Jahr 2051 erhält der Anleger in US-Dollar eine jährliche Rendite von 4,33 Prozent (Stand 6. Juni). Zudem haben die Anleihenrenditen weltweit ihre historischen Tiefststände hinter sich gelassen und die Erträge aus Unternehmensanleihen steigen wieder tendenziell.

Ansatz 2: Wirtschaftliches Umfeld stützt High-Yield-Anleihen

Investitionen in hochverzinsliche Unternehmensanleihen sind eine weitere Möglichkeit, die Erträge zu steigern. Europäische High-Yield-Anleihen liefern aktuell im Durchschnitt 5,82 Prozent pro Jahr, bei US-amerikanischen High-Yield-Anleihen sind es 7,17 Prozent. Diese Anleihen bieten höhere Renditen, da Rating-Agenturen bei Emittenten wie z. B. Lufthansa oder Rolls-Royce die Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen als erhöht einschätzen.

Dieses Risiko von Zahlungsausfällen bleibt aktuell nahe dem historischen Tiefstand – trotz Verlangsamung der Weltwirtschaft. Für 2022 gehen Rating Agenturen wie etwa Moody’s von Ausfallraten bei High Yield von höchstens 2,7 Prozent aus. Ein diversifiziertes Portfolio an Hochzinsanleihen dürfte also selbst nach einem möglichen Zahlungsausfall etwa 5,66 Prozent im Falle europäischer Anleihen bzw. etwa 6,98 Prozent Rendite bei US-amerikanischen Anleihen einbringen.

Ansatz 3: Schwellenländeranleihen sind ­stabiler und gehören mittlerweile dem ­Mainstream an

Noch immer hält sich das Vorurteil, Schwellenländer seien überwiegend «arme» Länder. Dabei betrachtet der Internationale Währungsfonds Schwellenländer seit Anfang des Jahres als grössten Teil der Weltwirtschaft (58 Prozent des globalen BIP nach Kaufkraftparität) und das am schnellsten wachsende Segment der globalen Wirtschaft (4,4 Prozent Wachstum im Jahr 2023, verglichen mit 2,4 Prozent in den Industrieländern).

Die durchschnittliche Rendite von Schwellenländer-Staatsanleihen (EM-Anleihen) lag Ende Mai bei 7,45 Prozent pro Jahr in US-Dollar. Zwar ist keines dieser insgesamt 71 Länder mit einem AAA-Rating wie die Schweiz bewertet, es ist aber davon auszugehen, dass sie nicht alle auf einmal in Schwierigkeiten geraten. Einige Ratings kommen dem der Schweiz nahe, zum Beispiel Tschechien (AA-) oder China (A+). Andere, wie der (nicht bewertete) Tschad, verfügen über beträchtliche Ölreserven, mit denen sie ihre Schulden begleichen könnten.

Diversifizierung ist auch bei EM-Anleihen das A und O. Selbst wenn ein ungewöhnlich hoher Anteil von beispielsweise 5 Prozent dieser Länder einen Zahlungsausfall zu verzeichnen hätte, würde ein gut diversifiziertes Portfolio von EM-Staatsanleihen immer noch eine jährliche Rendite von 7,08 Prozent bis zum Ende der Laufzeit erzielen. Neben US-Dollar-Staatsanleihen können Anleger zudem auch in EM-Unternehmensanleihen oder EM-Lokalwährungsanleihen anlegen.

2022 ist ein radikaler Wendepunkt

Die meisten Finanzmärkte legten 2021 gleichermassen zu. Doch die steigende Inflation, der Einmarsch Russlands in der Ukraine und die anhaltenden Versorgungsengpässe haben das Jahr 2022 zu einem radikalen Wendepunkt für Investitionen gemacht. Dennoch bleibt «Diversifikation», wie der amerikanische Nobelpreisträger Harry Markowitz einst sagte, «the only free lunch» beim Investieren».

Für viele Portfolios bleiben globale Aktien eine langfristig wertvolle Ergänzung. Aber nur Aktien zu besitzen oder ausschliesslich inländische Staatsanleihen zu halten, sind sicherlich extreme Ansätze. Stattdessen können globale Unternehmensan­leihen, hochverzinsliche und EM-Anleihen zusätzliche Ertragsquellen sein, um ein Portfolio insgesamt zu stabilisieren und weiter zu diversifizieren


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