E-Sports: ein E sportlicher

Ist E-Sports eine Chance für die zunehmend unter Druck geratende Marketing- und Sponsoringbranche? Nach grossen internationalen Unternehmen erhält die Disziplin nun auch prominenten Zuspruch aus der Schweiz: Hans Ulrich Siber, ehemals Marketingchef der Migros, glaubt an das Potenzial von E-Sports.

Text: Pascal Hügli / Pressebild: Daimler
E-Sports Sponsoring

Youtube ist noch immer das berühmteste, beliebteste und vor allem grösste Videoportal der Welt: Rund 1,5 Milliarden Menschen nutzen den Videodienst. Die Seite ist nach Google – der Eigentümerin von Youtube – die zweitmeistbesuchte Webseite überhaupt. Die meistgenutzte Funktion des Videoportals ist – keine Überraschung – der «Skip-Button». Youtube-Nutzer haben wie alle anderen keine Lust auf Werbung, sie wollen ihre Videos sehen.

Der Werbeindustrie bläst generell ein immer rauerer Wind entgegen. Das Missbehagen gegenüber Facebook und Google, die Schwergewichte dieser Industrie, steigt. Neben angezweifelten Akteuren hat die Werbeindustrie ein weiteres sehr grundsätzliches Problem: Die Aufmerksamkeit von Kunden und Nutzern schwindet mit jedem weiteren Klick.

«Effektive Aufmerksamkeitsbewirtschaftung ist gegenwärtig tatsächlich die grösste Herausforderung im Marketing», sagt Hans Ulrich Siber. Als ehemaliges Mitglied der Generaldirektion und Marketingchef des Migros-Genossenschafts-Bund sollte er wissen, wie man Kunden möglichst lange bei bei Stange hält. Aber auch der Experte muss zugeben, dass dies in Zeiten sinkender Aufmerksamkeitsspannen in der Tat immer schwieriger wird.

Den Job bei der Migros hat Siber 2019 aufgegeben. Nicht weil er die Branche für todgeweiht wähnt, sondern weil er ihr aktiv neue Möglichkeiten schaffen möchte. Um das zu erreichen, hat Siber die Branche gewechselt und amtet nun als Verwaltungsratspräsident der Home of eSports AG. Das 2019 in der Schweiz gegründete Unternehmen hat sich der Förderung von E-Sports verschrieben.

Mit E-Sports-Treffpunkten in verschiedenen Städten will man zum relevantesten Ansprechpartner für Spieler werden – und zwar für Profis und Freizeitspieler gleichermassen. Unternehmen, die sich als Sponsoren oder Investoren in den Bereich E-Sports vorwagen wollen, bietet Home of eSports eine 360-Grad-Beratung in Form von Betreuung, Beratung und Möglichkeiten für konkrete Engagements.

Wissenschaft statt Glaubensfrage

«Das Marketingpotenzial von E-Sports ist riesig, da es sich um eine sehr aufmerksamkeitsstarke Angelegenheit handelt», so Quereinsteiger Siber. Fans und Gamer aller Art seien intrinsisch motiviert – und das oft täglich und erst noch über mehrere Stunden. Werbung lasse sich dem Umfeld gerecht platzieren  und werde daher weniger als Störung wahrgenommen. Das fördere das Engagement der Spieler. Dass die kommerzielle Kraft von E-Sports verlockend ist, zeigen vermehrte Engagements bekannter Marken. Die jüngsten Zugänge sind unter anderem Nike, Jack&Jones, BMW, McDonalds und Philips (lesen Sie dazu auch mehr hier: «Banken sind in der Gamingwelt untervertreten»).

E-Sports bringt Bewegung in die Marketing- und Sponsoringlandschaft. Erst kürzlich sei eine der grössten klassischen Sponsoringagenturen für Sport auf Home of eSports zugekommen. Es müssten neue, komplementäre Marketingkanäle gefunden werden, so der Auftrag, da eine immer grössere Zielgruppe mit mehr vom Gleichen nicht mehr erreicht würde. Eine anhaltende Verschiebung der Kommunikations- und Sponsoringbudgets weg vom Analogen und hin zum Digitalen ist die Konsequenz.

Digitales Marketing respektive Sponsoring sei dem traditionellen Ansatz in entscheidenden Aspekten überlegen. So lasse sich das Engagement beim digitalen Marketing auf mehrere Kommastellen genau messen. Zudem lassen sich Kunden leichter lenken – und letztlich wohl einfacher «aktivieren». Sponsoring könne somit auf einer wissenschaftlichen Basis ausgeführt und optimiert werden und basiere nicht mehr nur auf dem Prinzip persönlicher Präferenz, Glaube und Hoffnung. «Unsere Aufgabe ist es, Firmen aufzuzeigen, dass sie ein Teil ihres Marketinggeldes effektiver und besser einsetzen können – E-Sports bietet hierfür die optimale Plattform», ist Siber überzeugt.

Es braucht Strukturen und solide Geschäftsmodelle

Der frühere Migros-Marketingchef investiert einen Teil seiner Zeit in E-Sports, weil er überzeugt ist, damit in Zukunft Geld verdienen zu können. Daraus macht er keinen Hehl. Doch als visionärer Protagonist dieser neuen E-Sports-Welt stehe man unter Zugzwang. «Wir müssen schnell sichtbare Resultate liefern», so die Devise des 53-Jährigen.

Neben den eigenen E-Sports-Pro-Teams, die man aufbaue, betreue und vermarkte, gehe es auch darum, Turniere sowie Informations- und Aufklärungsveranstaltungen zu organisieren. Dazu gehöre: Suchtprävention, Beratung und Unterstützung für Eltern. Aber auch gezielte Förderung junger Talente in Kombination mit Bildung, Gesundheit und Social-Media-Kompetenz. Auf diese Weise soll die Schweizer E-Sports-Szene ein Gesicht erhalten.

Noch sei die Schweiz eine E-Sports-Wüste. Dass Postfinance zusammen mit Helix 2019 ein eigenes E-Sports-Team aufgebaut und unterstützt hatte, sei pionierhaft und löblich gewesen. Dass man das Projekt ohne wirkliche Begründung nach nur einem Jahr – und trotz guter sportlicher Resultate – wieder auf Eis gelegt habe, zeige, dass in der Schweiz noch keine soliden Geschäftsmodelle für eine profitable E-Sports-Industrie gäbe.

Aber Siber weiss aus eigener Erfahrung, dass viele Investoren und Topmanager zunehmend Respekt davor hätten, etwas zu verpassen. Nicht wenige haben die erste Internetblase, den Krypto- und Blockchain-Hype, Cloud-Computing, Sharing-Economy oder Elektromobilität verschlafen.

Darauf gibt es zwei Reaktionsmuster: Die einen stecken den Kopf ganz in den Sand, die anderen machen Schnellschüsse und experimentieren oft planlos mit neuen Technologien. Auch er habe, als er für das Marketing der Migros verantwortlich war, Themen wie E-Sports keine Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Jahr später muss er eingestehen: «Das war der falsche Ansatz. Offenheit und Neugier sind äusserst wichtig, gerade in der Teppichetage.»

Für den frischgebackenen E-Sports-Enthusiasten, der erst kürzlich erstmals an einer LAN-Party teilnahm, ist sein Vorhaben unternehmerische und intellektuelle Herausforderung zugleich. Obwohl Siber keine Gamer-Erfahrung hat, glaubt er an das idealistische Ziel von E-Sports: die Demokratisierung von Wettbewerb und Wettkampf – denn im E-Sports sind die Eintrittshürden tiefer.

Natürlich gibt es technische Voraussetzungen, doch heute hat fast jeder einen Computer oder ein Smartphone, zudem seien viele der kompetitiven Games kostenlos. Da die Spiele online stattfinden, könne man sogar von zuhause aus an internationalen Turnieren teilnehmen. Für Siber ist daher klar: «E-Sports steht eine grossartige Zukunft bevor.»


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