Der Schweizer Aktienindex für Small- und Mid-Caps ist besser aus dem coronabedingten März-Tief gekommen als der SMI. Zu seinen Top-Titeln gehören familiengeführte Unternehmen, die von Agilität und einem nachhaltigen Stakeholder-Management profitieren. Birgitte Olsen im Gespräch über Nebenwerte und familiengeführte Firmen.
Text: Rino BoriniBirgitte Olsen, die Corona-Krise belastet die Wirtschaft stark, die Börse hingegen zeigt der Krise die kalte Schulter. Können Anleger beruhigt in die Zukunft schauen?
Birgitte Olsen: Beruhigt ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich bin der Meinung, dass es nicht so dramatisch und aussichtslos ist, wie es manchmal angesichts der Newslage erscheinen mag. Man muss auch sehen, dass in der Vergangenheit Krisen auch immer zu Innovation geführt haben. Und letztlich ist das Unternehmertum aus Krisen entstanden.
Dennoch erleben wir beim Bruttoinlandprodukt einen historischen Rückgang. Ich frage mich, ob die Börsen nicht zu viel vorwegnehmen?
Es wird immer auf die bekannten Börsenindizes wie den SMI geachtet. Doch dieser widerspiegelt nicht die reale Welt. Ein Index ist letztlich nur eine Zusammensetzung einzelner Firmen aus unterschiedlichen Branchen, gewichtet nach deren Marktkapitalisierung. Im SMI ist die Verteilung zwischen den besten und den schlechtesten Aktien enorm breit. Der beste Titel ist knapp 60 Prozent im Plus, der Schlechteste liegt mit 30 Prozent im Minus. Verglichen mit den letzten Jahren ist diese Dispersion sehr hoch. Anleger sollten viel besser auf den breitgefächerten SPI Extra Index achten, der liefert aus meiner Sicht ein diversifizierteres Bild.
Höre ich hier eine kritische Note zum SMI – beziehungsweise eine kleine Liebeserklärung an den SPI Extra?
Ich finden den SPI Extra das interessantere Barometer für den Schweizer Aktienmarkt. Angenommen, ich als Investorin müsste für einen Fondsmanager bezahlen, dann würde ich nicht einen Stockpicker wählen, der sich auf SMI-Titeln konzentriert. Sondern einen, der aus dem SPI Extra die spannenden Werte raussucht. Denn eine Nestlé, Roche oder Novartis kann jeder gleich selber kaufen. Dazu braucht es keinen Fondsmanager. Bei den mittel- und kleinkapitalisierten Werte ist es deutlich schwieriger, die zukunftsträchtigen Unternehmen zu selektieren. Der Mix aus beiden Welten ist eine exzellente Kombination, wobei die kleineren Werte für die Würze im Portfolio sorgen. Sie haben die Eigenschaft, dass sie schneller wachsen können, als die grossen Tanker im SMI. Deswegen sollten Anleger auch nur die Manager bezahlen, die sich in einem Universum bewegen, in dem sie selber wenig Erfahrung haben.
Eines ihrer Spezialgebiete sind familiengeführte Unternehmen. Kommen diese besser durch die Krise?
Auf jeden Fall. Ein gemeinsamer Nenner von eigentümer- beziehungsweise familiengeführten Firmen liegt in der viel geringeren Schuldenlast. Sie weisen im Durchschnitt eine Eigenkapitalquote von 70 Prozent auf, was sehr hoch ist. Lange Zeit wurden starke Bilanzen nicht als wichtig angeschaut, heute ist das sehr «en vogue». Denn in Krisenzeiten sind gesunde Bilanzen sehr wichtig und damit sind diese Firmen viel resistenter. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich diese Firmen nicht um neue Kreditlimite kümmern müssen, sondern ihre Zeit und Kapital ungestört in neue Innovationen stecken können, auf der Suche nach Opportunitäten. Ihr Vorteil ist ihre Agilität, die in Krisenzeiten ganz wichtig ist. Übrigens sind nicht nur die Bilanzen besser, auch die Margen sind im Schnitt höher und stabiler.
Gibt es weitere Eigenschaften von familiengeführten Unternehmen, die sich bezüglich Corona als Vorteil erweisen?
Das Stakeholder-Management ist bei familiengeführten Firmen viel ausgeprägter. Sie haben über Jahre hinweg langfristige Beziehungen zu Mitarbeitern, Kunden und vor allem auch Lieferanten aufgebaut. Und just in Krisenzeiten zahlen sich diese guten Beziehungen aus. Beim Ausbruch von Covid-19 und dem globalen Lockdown ist ja mehr oder weniger die ganze internationale Lieferkette eingebrochen. In solchen Extremsituationen nützen gute Verbindungen zu den Lieferanten.
Familiengeführte Firmen haben einen positiven Cashflow, auch das ist ein wichtiges Investitionsargument. Doch der digitale Wandel führt dazu, dass sie Investitionen tätigen müssen – und dadurch durchaus Verluste schreiben.
Natürlich können wir uns, wenn es opportun ist, von unseren strikten Selektionskriterien lösen. Wir haben beispielsweise im Januar erstmals in die Online-Apotheke Zur Rose investiert. Das Unternehmen schreibt noch keine Gewinne, aber es hat das Potenzial im Bereich Online-Vertrieb von Medikamenten eine führende Stellung einzunehmen, was es letztlich schon in Deutschland und in der Schweiz hat und die Investitionen sind nötig, damit das Unternehmen richtig erfolgreich sein kann.
Es wird zunehmend schwierig, Firmen einer Branche zuzuordnen. Nehmen wir Swissquote, auch eines ihrer Investments: Ist Swissquote eine Bank oder ein Technologieunternehmen?
Swissquote ist zuallererst eine erfolgreiche Plattform mit einer Banklizenz. Ja, es ist wird teilweise schwieriger, einen Titel einer klaren Branche zuzuordnen, insbesondere wenn man eine Plattform betreibt. Swissquote betreibt aus unserer Sicht ein sehr spannendes Geschäftsmodell, deswegen sind wir auch investiert. Denn ihr Geschäftsmodell ist nicht allein auf den begrenzten Markt Schweiz fokussiert, ihr Produkt ist exportierbar. Das bringt Swissquote in eine ganz neue Liga und kann beispielsweise in Asien mit dem Siegel «Swiss made» auftrumpfen.
Familiengeführte Unternehmen verlieren manchmal die Gunst der Anleger, weil sie – insbesondere im Wachstum oder in Krisen – investieren, statt zu sparen.
(unterbricht) Entrepreneurs denken in Jahren und nicht in Quartalen. Sie gehen bewusst durch die Wüste, investieren jetzt für den Erfolg von Übermorgen. Das sieht man sehr gut auch bei Lindt & Sprüngli. Natürlich ist deren Umsatz eingebrochen, aber dennoch investieren sie weiterhin in Marketing. Ihr Ziel ist es vorne dabei zu sein um die verlorenen Umsätze wettmachen zu können, und natürlich nutzen sie die Chance, auch neue Marktanteile zu erobern. Sie können ein, zwei oder drei Quartale Einbussen hinnehmen, denn diese haben auf den langfristigen Wert der Aktien keinen Einfluss.
*Birgitte Olsen ist seit 2008 bei Bellevue Asset Management als Senior Portfolio Manager verantwortlich für die Entrepreneur-Strategien und institutionelle Mandate. Sie ist seit über 28 Jahren in der Finanzindustrie tätig und hat bereits für Bank Vontobel, Generali und GVO gearbeitet. Olsen ist CFA Charterholder, in ihrer Freizeit fährt sie Ski, spielt Schach oder geht angeln.