Das Jahr 2014 ist Vergangenheit. Ali Masarwah von Morningstar wirft einen kritischen Blick zurück und zeigt die wichtigsten Trends der ETF-Branche auf.
Text: Barbara KalhammerHerr Masarwah, die ETF-Industrie war 2014 geprägt von Kostensenkungen. Was haben diese den Anlegern effektiv gebracht?
Mehr, als ich zunächst befürchtet hatte. Investoren setzen sehr stark auf die ETF, die günstige Kosten aufweisen. Dass das so kommen würde, war mitnichten klar.
Warum?
Weil die Kosten zwar bei etlichen ETF gesenkt wurden, aber eben nicht bei allen. Vor allem iShares und db x-trackers führen bei den grossen Asset-Klassen häufig mehrere ETF auf absolut identische Basiswerte, die unterschiedliche Kosten aufweisen. Häufig waren die kleinen ETF am günstigsten. Viele institutionelle Investoren können jedoch wegen mangelnder Liquidität nicht in grossem Umfang in kleine Fonds investieren, und Privatanleger sind häufig nicht besonders reaktionsschnell. Dennoch sind die Volumina der günstigen Fonds sehr schnell gestiegen. ETF-Anleger sind also wachsam, und das ist gut so.
Haben die Gebührensenkungen auch einen Haken?
Mitunter. Ich habe nämlich den Verdacht, dass bei den vielen sehr billigen ETF Quersubventionierungen im Spiel sein könnten. Kann ein Aktien-ETF mit 5 Basispunkten an Gebühren profitabel sein, zumal dann, wenn er nicht 20, 40 oder 50 Milliarden Euro in die Waagschale werfen kann? Ich finde Quersubventionierungen deshalb nicht gut, weil das in letzter Konsequenz bedeutet, dass jemand an anderer Stelle für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu viel bezahlt.
Welche weiteren markanten Entwicklungen gab es 2014?
Den rasanten Aufschwung von Strategic-Beta-ETF. Bei dieser Entwicklung weiss ich allerdings nicht, ob sie der Branche beziehungsweise den Anlegern gut tut. Im Gegensatz zu klassischen ETF arbeiten diese Produkte mit Annahmen über bestimmte Risiko- beziehungsweise Renditefaktoren. Der Anteil dieser börsenkotierten Indexfonds am gesamten ETF-Markt ist mit rund sechs Prozent bislang noch klein, aber er wächst inzwischen recht deutlich.
Widersprechen die Produkte nicht der Grundphilosophie der Branche?
Darüber scheiden sich die Geister. Ich würde dem nicht widersprechen, für den Anleger wird es in jedem Fall komplizierter – mit nicht feststehendem Erfolg. ETF–Investoren sind ja mitnichten passiv. Sie sind gezwungen, sehr aktive Entscheidungen mit Blick auf ihre Vermögensaufteilungzu fällen und dann noch ihre Wahl unter den rund 800 gängigen Indizes zu treffen.
Was bewirken Strategic-Beta-Produkte in diesem Zusammenhang?
Hier müssen sich Anleger nicht nur für einen bestimmten Markt entscheiden. Wer mit Strategic-Beta-ETF liebäugelt, muss die Annahme treffen, dass das Prinzip der Markt- beziehungsweise Schuldenkapitalisierung schlecht ist. Im nächsten Schritt müssen sie erkennen, welches der «richtige» Faktor für die Zukunft ist beziehungsweise welcher risikominimierende ETF sein Portfolio in welcher Marktphase am besten schützt. Das sind viele Annahmen, die der Anleger treffen muss. Er muss also immer aktiver werden; genau das bewirkt die ETF-Branche, die immer neue Faktor-Investments auf den Markt bringt. Und wir alle wissen, dass Annahmen falsch sein können.
Was hat Sie persönlich im ablaufenden Jahr überrascht?
Dass nicht mehr Anbieter lösungsorientierte Produkte anbieten. Gemischte ETF sind in der Lage, die Vorteile- von ETF 1:1 widerzugeben: Strategisch aufgesetzte Misch-Indizes dürften – ähnlich den zahlreichen Misch-Benchmarks, die wir bei Morningstar aufsetzen – unabhängig von der jeweiligen Marktphase 60-75 Prozent der aktiv verwalteten Fonds hinter sich lassen. Doch offenbar wollen ETF-Anbieter ihre besten Kunden, also aktive Dachfondsmanager und Vermögensverwalter, nicht verprellen.
Welche Produkte standen bei Anlegern hoch im Kurs?
In diesem Jahr wurden in Europa vor allem ETF auf den S&P 500 gekauft. Hier liefern sich der Vanguard S&P 500 und der iShares Core S&P 500 ein Kopf-an-Kopf-Rennen. ETF auf Euro-Unternehmensanleihen und EUR-Staatsanleihen sowie ETF für globale und für europäische Aktien wurden ebenfalls stark nachgefragt.
Wo waren die grössten Abflüsse zu verzeichnen?
ETF auf den DAX 30 verbuchten sehr hohe Abflüsse, was auf den starken Abverkauf bei iShares Core DAX seit September zurückgeht. Hier dürften etliche Anleger von der Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft überrascht worden sein und verkauft haben. Wenig überraschen indes die relativ hohen Abflüsse aus Gold-ETF und -ETP sowie aus Sektor-ETF auf Rohstoff- und Industrieaktien.
Wie sieht die Bilanz der passiven Anlagen im Vergleich zu aktiven insgesamt aus?
Sie wachsen wieder stärker in diesem Jahr. Während nicht-börsenkotierte Fonds per Ende Oktober ein organisches Wachstum von 6,5 Prozent aufwiesen, war die marktperformancebereinigte Wachstumsrate bei ETF mit 13,5 Prozent mehr als doppelt so hoch. Das war 2013 noch anders. Im vergangenen Jahr litten ETF nicht nur unter hohen Abflüssen aus Rohstoffprodukten, auch bei Aktien und Bonds legten sie nicht so stark zu, wie man es eigentlich bei einer noch jungen Wachstumsbranche erwarten würde.
Werden die von Ihnen erwähnten «Smart Beta» das Wachstumsfeld 2015?
Vermutlich ja. Das Interessante dabei ist, dass Strategic-Beta-Ansätze, die das Risiko minimieren, heute an Fahrt gewinnen. Das meiste Vermögen in Strategic-Beta-ETF ist derzeit noch in Dividenden-Aktien-Produkte investiert. Das ist gewissermassen die -alte Welt. Ich vermute, dass der Trend hin zu risikominimierenden Ansätzen 2015 weiter anhalten wird.
Spielen die niedrigen Zinsen diesen Produkten in die Hände?
Ja, denn angesichts des Niedrigzinsumfelds dürften die meisten Investoren auf Aktien setzen wollen – ohne jedoch das volle Marktrisiko eingehen zu müssen. Spannend wird sein, ob Minimum-Variance- und Minimum-Volatility-ETF, die rege emittiert werden, halten, was sie versprechen.
Wo ist weitere Kritik angebracht?
Etwas mehr Zurückhaltung würde der Branche vermutlich gut tun. Vieles sieht nach Schnellschüssen aus. Doch sobald ein Anbieter ein neues Produkt lanciert, springen die Konkurrenten sogleich auf.
Worauf müssen sich Anleger einstellen?
Sie müssen mit einer immer komplexeren ETF-Realität zurechtkommen. Privatinvestoren würde ich das Motto zurufen wollen: Keep it simple! Bei Profi-Investoren bin ich mir sicher, dass sie auch komplexe Faktor-Modelle besser verstehen als Private. Allerdings führen ihre Dienstleistungen – Funds of Funds oder anders gestaltete Vermögensverwaltungen – zu höheren Kosten, und wir alle wissen ja, dass hohe Kosten eine Quelle für unbefriedigende Renditen sind.