«Europa als Ganzes macht durchaus Sinn»

Der europäische Aktienmarkt wurde zu Jahresbeginn von zahlreichen Anlageprofis als der zu favorisierende Markt genannt. Wo sich Chancen bieten, erklärt Jeffrey Taylor von Invesco im Interview.

Text: Rino Borini

Zu Beginn des Jahres lautete der Tenor der meisten Experten: Aktien Europa. Wie ist Ihre Meinung?

Jeffrey Taylor  Wir sind für den europäischen Aktienmarkt weiterhin positiv eingestellt. Das ist übrigens seit zwei bis drei Jahren unsere Meinung. Die Gründe sehen wir beispielsweise in  einer förderlichen Geldpolitik. Die ganzen Reformen, insbesondere in den Peripherieländern, haben zudem dazu geführt, dass die systematischen Risiken zurückgegangen sind. Die  Reformbemühungen wirken also und all dies führt letztlich dazu, dass die Volkswirtschaften anspringen. Die Situation in Europaist eine ganz andere als noch vor drei oder vier Jahren.  Die nächste Phase wird von den Unternehmen eingeläutet.

Wie meinen Sie das?

Ein wichtiger Treiber für den europäischen Aktienmarkt sind die Gewinnzahlen der Unternehmen. Wenn das Gewinnwachstum bestätigt wird, sehe ich nicht ein, warum ein Plus von 13  bis 15 Prozent, exklusive Dividenden, nicht möglich sein soll. Steigen die Gewinne weiter, verleiht das den Märkten neuen Schub.

In den letzten Monaten ist viel Kapital in den  europäischen Aktienmarkt geflossen. Kommt die Euphorie nicht zu früh?

Ich würde dies nicht als Euphorie bezeichnen. Es geht vielmehr um eine gerechtfertigte Gegenbewegung. Die  Märkte und derenTeilnehmer waren vor einigen Jahren extrem pessimistisch eingestellt. Dies führte dazu, dass viele Anleger stark untergewichtet waren und dies nun korrigieren.

Der Risikoaspekt darf  nicht vergessen werden. Wo sehen Sie mögliche Gefahrenherde?

Gefahrenherde lauern überall und dürfen nicht ausgeblendet werden. Derzeit werden die globalen Märkte von der  Reduzierung des Quantitativen Easing (QE) in den USA geprägt. Der Markt nimmt diese schrittweise Reduzierung des wirtschaftlichen Stimulus sehr gut auf. Zwar besteht die Gefahr, dass  sich dies künftig ändert, doch sie ist meines Erachtens eher theoretisch. Eine weitere Gefahr könnte im Weltwirtschaftswachstum liegen. Sollte dies enttäuschend ausfallen, ist das natürlich auch eine Gefahr für Europa. Und zuletzt sind auch die  geopolitischen Risiken nicht ausser Acht zu lassen. Der Markt ist aber derzeit sehr stabil.

Eine Eurostärke könnte als weitere Gefahr betrachtet werden. Wie sehen Sie das?

Das ist richtig. Ein rascher weiterer Anstieg des Euros wäre natürlich Gift für die europäische Volkswirtschaft und damit für die Unternehmensgewinne. Aber ich bin hier positiv   eingestellt, denn wenn man die Aussagen und Handlungen der EZB genauer unter die Lupe nimmt, nehmen die Risiken einer weiteren Eurostärke eher ab. Der Gesamtmarkt erlebte ein  Nullsummenspiel, nachdem 2013 ein starkes Jahr war. Ist das Pulver verschossen? Ich würde eher von einer Verdauungsphase, auf Stufe Gesamtmarkt, sprechen. Eine solche ist nichts  als logisch, wenn man die Performance des letzten Jahres betrachtet. Die Tücken liegen in den Details.

Wie meinen Sie das?

Einzelne Länder und Sektoren haben sich sehr gut entwickelt. Italien machte ein Plus von rund 13 Prozent, während Grossbritannien aktuell ein Minus von 2 Prozent verzeichnet. Der  Versorgersektor weist ein Plus von 10 Prozent auf, der Technologiesektor notiert im Minus.

Deutschland gilt als wichtiger Markt. Wie ist Ihre Meinung?

In der Krise war Deutschland der  «brave Bube» und profitierte davon. Mittlerweile sind deutsche Aktien eher teurer. Unsere Antwort: Wir haben Deutschland in unserem grössten Europafonds untergewichtet.

Wie sieht es mit den Krisenstaaten aus?

Heute würde ich diese Volkswirtschaften Peripheriestaaten nennen und vielleicht können wir in der Zukunft von Aufschwungstaaten sprechen. Ich bin überzeugt, dass sie sich erst in  einem Anfangsstadium befinden. Die vielen Reformen in Spanien, Italien, Portugal oder Irland zeigen langsam Wirkung.

Somit haben Sie diese Märkte übergewichtet?

Richtig. In den Peripherieländern finden wir sehr viele attraktiv bewertete Aktien. Wir fokussieren Spanien, Italien und Irland. Aber natürlich steigen die Märkte nie gradlinig.

Ist Osteuropa ein Thema?

Unsere Quote ist momentan sehr klein. Natürlich finden wir immer wieder vereinzelt attraktive Einzeltitel. Grundsätzlich haben wir es nicht so eilig, in grösserem Umfang in Osteuropa zu investieren.

Wie investieren in Europa?

Ich würde Basiskonsumgüter untergewichten. Die aktuelle Bewertung gefällt mir nicht, und oft weisen die Firmen eine zu hohe Exponierung in Schwellenländern auf. Ich würde einen  Fokus auf Medien und die Autobranche setzen. Bei Finanz- und Industrieaktien rate ich im aktuellen Umfeld zu einem Übergewicht. Europa als Ganzes macht derzeit viel Sinn in einer  Vermögensallokation. Langfristig muss man dabei sein, taktisch kann ein geübter Anleger gewisse Sektoren und Länder flexibel über- oder untergewichten.

Jeffrey Taylor ist seit 2001 Leiter des europäischen Aktienteams bei Invesco Perpetual. In dieser Funktion ist er verantwortlich für alle europäischen Aktienfonds aus dem Hause Invesco Asset Management.
sentifi.com

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