Geteilte Zukunftserwartungen

Wie ticken Millennials? Diese Frage stellt sich dieser Tage so gut wie jedes Finanzinstitut weltweit. Klar ist, dass Digital Natives andere Bedürfnisse und Werte haben als ihre Eltern. Aber welche? Eine anekdotische Bestandsaufnahme.

Text: Pascal Hügli

Es ist eines der Schlagworte unserer Zeit: die Millennials. Auf der einen Seite werden sie für kurze Aufmerksamkeitsspannen, überrissenen Narzissmus sowie eine übermässige Anspruchshaltung getadelt. Auf der anderen Seite werden sie für grösseres Nachhaltigkeitsbemühen, weniger stark ausgeprägtes Besitzbewusstsein und ein grösseres Empfinden für Fairness gewürdigt. Ob Generation Y, Z, Google Kid oder Digital Native: Sie sind die Generation(en) der Zukunft und sind eben erst dabei, Vermögen aufzubauen.

Doch in der digitalen Welt, in der Entwicklungen oft exponentiell voranschreiten und Zukünftiges schon bald Gegenwärtiges wird, wollen Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister möglichst genau in Erfahrung bringen, wie diese Jungen denken. Immerhin sind sie die Kunden von morgen.Doch anders, als es der Kollektivbegriff Millennials vermuten lässt, denken nicht alle Millennials gleich, auch die Rolle der Banken interpretieren sie unterschiedlich. Nichtsdestotrotz sind einige Muster erkennbar.

Kakophonie der Krise

Ein Mantra, das jüngere Generationen fast ihr ganzes Leben begleitet, ist das der Krise: Finanzkrise, Umweltkrisen, Gesellschaftskrise. Insbesondere die Jüngsten – die Generation Z – werden in einer Zeitperiode gross, in der sie latent vom Hintergrundgeräusch der längst überfälligen nächsten Finanzkrise beschallt werden. Gleichzeitig sieht sich die jüngere Garde heute vor allem mit hohen Immobilien-, aber auch mit durchschnittlich teuren Aktien- und Anleihepreisen konfrontiert.

Nicht selten liest man in Blogs und Zeitungen davon, wie ein Eigenheim, immer öfter aber auch das An-legen an den Finanzmärkten mehr und mehr jungen Menschen unerreichbar erscheint. Dass eine viel zitierte Studie der Boston Consulting Group ein pessimistisches Zukunftsszenario zeichnet, ist daher kaum verwunder-lich: Gemäss dem Beratungsunternehmens glauben gerade einmal noch 13 Prozent der Befragten, dass es der nachfolgenden Generation besser gehen wird als ihr selbst.

Mit dem Bankrott von Lehmann Brothers hat sich dann auch tatsächlich eine handfeste Krise materialisiert. Wirklich einschneidend war diese Rezession von 2008 allerdings nicht – zumindest nicht in der Schweiz. Doch auch dort, wo die Krise hart einschlug, erholte sich die Wirtschaft wieder, und Finanzmärkte setzten gar zu neuen Höhenflügen an.

Glorreiche Zukunft

Zaniyar Sharifi sieht es positiver. Die Aussichten für junge Menschen seien in vielerlei Hinsicht so gut wie nie zuvor, meint der stellvertretende Vorsitzende des Think Tanks Redesigning Financial Services an der Universität St. Gallen. Im Rahmen seiner Arbeit für den Think Tank kommt er immer wieder mit Millennials und ihren Zukunftsvorstellungen in Berührung. Eine diffuse Angst vor einer sich verschlechternden Welt scheint er aus deren Voten kaum herauszulesen. Und auch er selbst hat keine Angst. «Natürlich ist die Gefahr einer Rezession, eines Handelskrieges oder von politischem Ungemach durch populistische Strömungen real, doch Angst ist stets ein schlechter Ratgeber. Solche Erschütterungen ändern nichts daran, dass wir nach einem Rückschritt wieder drei Schritte vorwärts gehen».

In ein ähnliches Horn bläst Pascal Caversaccio. Er ist Co-Founder und Präsident von Alethena, einem Krypto-Startup, das sich auf die Tokenisierung von Aktien konzentriert. Dass junge Menschen ob der überteuerten Preise  künftig kaum mehr erfolgreich an den Finanzmärkten partizipieren können, glaubt er nicht. Caversaccio sieht vor allem in der Digitalisierung des Kapitalmarktes eine grosse Chance zur Demokratisierung und Erweiterung des Anlageuniversums.

Investieren wird einfacher

Das unter Jungen immer mal wieder geäusserte Bedenken, wonach die traditionelle Finanzbranche zu verschlossen sei, teilweise schon fast etwas elitär, sei heute nicht ganz von der Hand zu weisen, so der 29-jährige Unternehmer Caversaccio. Hier würde die eben erst einsetzende Tokenisierung von Wertschriften Abhilfe schaffen, dank der Anlagen aller Art wie KMU-Aktien oder Start-up-Investitionen für den Normalbürger investierbar würden. Das habe eine signifikante Ausweitung des Anlageuniversums zur Folge und ermögliche jedermann, ohne die Hilfe von grossen Intermediären an den Finanzmärkten zu investieren.

Ihren Anfang nahm die Demokratisierung der Finanzwelt mit dem Aufkommen von passiven Anlageprodukten wie Indizes und ETF. Dank dieser Vehikel können Investoren so preisgünstig wie nie zuvor an verschiedensten Finanzmärkten partizipieren, mit ein paar wenigen ETF ist man zudem global diversifiziert. Die Möglichkeit des passiven Investierens hat diese erste Welle der Demokratisierung angestossen. Heute seien Fintech-Start-ups, die sie mittels Robo-Advisor, Banking-, Trading- und Vorsorge-Apps weiter vorantreiben, so Forschungsassistent Sharifi.

Wie er aus eigener Erfahrung weiss, erlauben es diese neuen Innovationen – Robin Hood in den USA und Viac in der Schweiz – bereits ab 100 Franken zu investieren, und das zu unschlagbar tiefen Gebühren. Selbst Kleinanleger – zu diesen gehören die Jungen vorwiegend – könnten somit in die komplexesten Anlageprodukte investieren. «Hier stehen wir erst am Anfang», denkt Sharifi. «In zehn Jahren werden Sie als einfacher Arbeiter in 99 Prozent der Anlagen investieren können, die heute nur Milliardären offenstehen.»

Das Anlageuniversum der Zukunft

Eines dieser Fintechs, welches sich die Vereinfachung des Investierens auf die Fahnen geschrieben hat, ist Simplewealth. Für Gründer Jeremy Cohen ist klar: «Die Finanzdienstleistungen für die nächste Generation müssen schnell, transparent, zugänglich, kostengünstig und digital sein – Karten, Kartenleser und sonstige physischen Finanzutensilien sind Auslaufmodelle.» Seine Interaktion mit jungen Kunden hat ihn zur Überzeugung geführt: Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit – also das gesamte Kundenerlebnis – seien heute entscheidend. Das beinhalte auch, dass eine Finanzdienstleistung keine willkürlichen Gebühren, sondern klar ausgewiesene Preise aufweise.

Auch Pascal Caversaccio träumt von einer solchen Welt, die er mehr und mehr Realität zu werden glaubt: «Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon heute ein globales, digitalisiertes und effizientes Anlageuniversum, das es mir erlaubt, über mein Handy in ein Unternehmen z. B. in Papua-Neuguinea zu investieren. In dieser neuen Finanzwelt werden Primär- und Sekundärmarkt signifikant angewachsen sein und das Thema Nachhaltigkeit wird eine viel wichtigere Rolle spielen. Jeder Investor wird seinen eigenen, kostengünstigen und Finanz-markt-konformen Ich-Fonds besitzen.»

Werte im Wandel

Diese Entwicklung dürfte auch vom Wertewandel profitieren, der von den Jungen vor-angetrieben wird. Dass Millennials eher auf Portfolios mit möglichst kleinem ökologischen Fussabdruck setzen, stellt auch Jeremy Cohen von Simplewealth fest. Es werde zwar nach wie vor auf hohem Niveau konsumiert, aber es geschehe heute umweltbewusster. Ähnliches stelle man auch bei Redesigning Financial Services fest: «Die junge Generation ist stark wertegetrieben. Wir investieren nicht gerne in Glencore oder Nestlé. Wir arbeiten auch nicht gerne für solche Unternehmen. Die talentierteren Jobeinsteiger haben zu viele Möglichkeiten, als dass sie solche Jobs annehmen müssen.»

Dass tiefe Gebühren heute eines der wichtigsten Entscheidungskriterien darstellen, mag durchaus als Widerspruch zum Nachhaltigkeitsgedanken gedeutet werden. Oder ist die hohe Kostensensitivität der digitalen Generation vielleicht einfach die Folge der Gratiskultur, die sie im Internet tagtäglich erleben?

Für den Think-Tank-Vorsitzenden Sharifi stimmt es nicht, dass junge Semester nichts bezahlen wollen. Abgesehen davon, dass nachhaltige Anlageprodukte nicht weniger Rendite bedeuten müssen, dürften viele Junganleger bereit sein, für Nachhaltigkeit einen Aufpreis zu bezahlen: «Uns geht es zu gut, als dass wir für ein wenig Rendite unsere Prinzipien über Bord werfen», spekuliert Sharifi. Sinkend ist dagegen die Ausgabefreude bei Dienstleistungen, die aufgrund veralteter Technologie überteuert sind – während andere Angebote nicht bloss kundenfreundlicher, sondern günstiger oder gar kostenlos sind. «Eine Bank muss mir da schon eine geniale Story erzählen können, damit höhere Gebühren gerechtfertigt erscheinen», so das Fazit des jungen Akademikers.

Genau wie Jeremy Cohen und Pascal Caversaccio blickt also auch Zaniyar Sharifi positiv in die Zukunft. Nullzinsumfeld, harziges Wirtschaftswachstum, weltweite Überschuldung: den Kopf in den Sand zu stecken, ist für keinen der drei Experten eine Lösung. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein: Was, wenn der eigene Optimismus zu stark blendet? Was, wenn die Fülle an Start-ups und der Trend in Richtung Nullkosten vor allem auch eine Folge der geldpolitischen Interventionen der vergangenen Jahre sind?

So gibt es das Argument, wonach es vor allem die künstlich tiefgehaltenen Zinsen sind, welche die Wirtschaftsakteure zu Projekten und Investitionen verleitet haben. Sind die Zinsen und damit die Refinanzierungskosten tief, ist es lukrativ, ein Start-up zu gründen. Genauso wird es für Banken und andere etablierte Unternehmen attraktiv bis unumgänglich, solche Projekte finanziell zu unterstützen, da die Renditen der herkömmlichen Anlagen eher tief sind.

Nur kein falscher Übermut

Gemäss Milosz Matuschek ist diese Argumentation alles andere als absurd. Matuschek ist Jurist, Publizist und Gründer des Krypto-Start-ups Eternitas, das mittels Blockchain die Testamentsvollstreckung vereinfachen und in die Hände des Individuums legen will. Er schliesst nicht aus, dass hinter der auf-strebenden Startup-Entwicklung der vergangenen Jahre tatsächlich auch teilweise billiges Geld steckt. Das Geld werde den Start-ups viel-leicht nicht gerade nachgeworfen, doch in Zeiten der Geldmengenausweitung sei es leichter, an Finanzmittel zu gelangen. Das Credo, gemäss dem den Jungen heute alle Möglichkeiten offenstehen, sieht Matuschek daher kritisch. Was gegenwärtig selbstverständlich erscheine, könne schon morgen nicht mehr funktionieren, warnt er. Matuschek verweist dabei auf das berühmte Beispiel des Truthahns, der sich jeden Tag über den ihn seit Jahren fütternden Bauern freut. Und dann, pünktlich zum Erntedank-fest, wird er getötet.

Der Start-up-Euphorie einen Dämpfer erteilt hat eine Studie aus dem Jahr 2016, als MIT-Forscher die Wirtschaftlichkeit von Start-ups aus dem Bereich CleanTech überprüften. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Zwischen 2006 und 2011 verloren die Investoren über 50 Prozent ihres eingesetzten Kapitals von 25 Milliarden Dollar. Kein einziges Unternehmen konnte eine positive Kapitalrendite erwirtschaften. Andere Sektoren wie zum Beispiel der Fintech-Sektor wurden nicht im Detail untersucht, sondern nur als Vergleich herangezogen. Selbst hier waren die Renditen minimal. Immerhin konnte bei Fintech-Jungunternehmen der Kapitalverlust durch erfolgreiche Exits im Durchschnitt verhindert werden. Die Frage jedoch bleibt: Wenn selbst in einer Phase nahezu grenzenloser Zentralbankenliquidität kaum je positive Kapitalrenditen erzielt werden, was passiert, wenn diese Liquidität zurückgeht?

Von Jeff Bezos stammt das Zitat: «Eure Margen sind meine Opportunität.» Diesem Geschäftsmodell scheinen auch viele Start-ups nachzugehen. Wie der Techgigant früher sind auch die meisten Start-ups heute kaum profitabel. Dass nur eines von zehn Start-ups überlebt, ist, sofern man den Statistiken Glauben schenken will, ein Mythos. Der Grund, weshalb gegenwärtig die Überlebensraten von Jungunternehmen höher und länger ist als erwartet, dürfte auch Folge des Nullzinses sein.

Risiko Systemwechsel?

Die Nullzins-Ökonomie habe die wirtschaft-lichen Verhältnisse stark verzerrt, argumentiert Matuschek, und die seien letztlich eine inhärente Folge unseres Finanzsystems. Ohne fundamentalen Wandel, glaubt er, werden wir den Kollaps kaum verhindern können – auch die jüngere Generation nicht. Bei systembedingten Problemen seien alle Anstrengungen, das System stückweise besser zu machen, vergebens. Für Matuschek ist dieser Ansatz verantwortungslos, weil riskant – ein fundamentaler Wandel daher unumgänglich.

Für Jeremy Cohen von Simplewealth birgt ein Systemwechsel jedoch ein zu grosses Risiko. Und Doktorand Sharifi glaubt nicht, dass ein Wandel in einem derart hochkomplexen System überhaupt möglich ist. «Es mag stimmen, dass unser System inhärente Fehler hat. Doch uns bleibt wohl oder übel nur die Möglichkeit, das System Stück für Stück zu verbessern. Hier etwas weniger Gebühren, da ein et-was besserer Kundenservice. Das Resultat ist dann hoffentlich ein effizienteres und robusteres System.» Als Fürsprecher der Blockchain-Entwicklung sieht Pascal Caversaccio das Hauptproblem darin, dass das Finanzsystem Vertrauensbeziehungen braucht, um stabil zu bleiben. Doch genau die würden immer öfters erschüttert. Es gelte, mit den heute zur Verfügung stehenden Technologien Wege zu finden, die Sicherheit und Partizipation ermöglichen, ohne dass zwischenmenschliches Vertrauen nötig ist. Sogenannte antifragile, «trustless» Lösungen würden hier die grössten Chancen bieten, so seine Schlussfolgerung.

In der Tat dürfte die Welt für junge Menschen heute also so vielfältig, damit aber auch so fragil wie nie zuvor sein. Dass die Millennials im Gegensatz zu ihrer homogenen Benennung dennoch heterogen denken, verleiht Zuversicht.


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