Dass die Jahresanfangsrallye ein Ende haben würde, war absehbar. Mit dem Wonnemonat Mai beginnt für die Börse oft eine schwierige Zeit, so auch in diesem Jahr. Müssen sich nun Anleger auf eine längere Durststrecke einstellen?
Der anhaltende Handelsstreit zwischen den USA und China, aber auch die in ihrer Dynamik gebremste Weltwirtschaft verunsichern die Anleger. Dennoch verloren die Aktienmärkte im Berichtsmonat im Schnitt nur fünf Prozent – was nichts anderes heisst, als dass der Ausverkauf an den Börsen trotz des eingetrübten Horizonts ausblieb.
Die Investoren erwarten, dass die US-Notenbank den Aktienmärkten einmal mehr mit ihrer expansiven Zinspolitik, dem sogenannten «Fed-Put», zur Seite stehen wird. Dies dürfte denn auch der Hauptgrund sein, weshalb die Kurskorrektur moderat ausgefallen ist. Dies wird aber voraussichtlich nicht ausreichen, um die Börsen über den ganzen Sommer hinweg zu stützen. Eine ausschlaggebende Rolle wird deshalb einmal mehr dem US-Konsum zukommen. Angesichts dieser Ausgangslage raten wir zu einer defensiven und abwartenden Haltung. Es könnte nämlich durchaus sein, dass sich die Anleger auf eine längere Durststrecke einstellen müssen.
Staatsanleihen gehörten im Berichtsmonat zu den Gewinnern. Die Sorge um die abnehmende Dynamik der Weltwirtschaft beflügelte in den letzten Wochen deren Kurse. Die Renditen von Schweizer und deutschen Staatsobligationen sind inzwischen bereits wieder deutlich negativ. Deshalb können wir von Anlagen in dieser Vermögensklasse nur abraten.
Der Schweizer Franken und der Greenback profitierten von ihrer Funktion als «sichere Häfen». Der US-Dollar dürfte aber wegen des enormen Handelsdefizits und der wachsenden Staatsverschuldung unter Druck bleiben, während die Schweizer Valuta in den kommenden Wochen anhaltend Stärke an den Tag legen wird.
Goldliebhaber kamen bisher nicht auf ihre Kosten. Die «Versicherungsfunktion» des gelben Edelmetalls schien keine grosse Nachfrage zu zeitigen. Das schliesst aber nicht aus, dass der Goldpreis durch den Zollstreit zwischen den USA und China doch noch beflügelt werden könnte.
Der Handelsstreit hat auch die Ölmärkte auf dem falschen Fuss erwischt. Die Rohölnotierungen sind so schwach wie letztmals im Dezember 2018; dies weil Wachstumsängste die zuvor befürchteten Produktionsengpässe überlagerten. Wie geht es nun weiter? Alle Blicke sind auf den anstehenden Opec-Gipfel in Wien am 25. Juni gerichtet, von dem aber auch keine Entlastung erwartet werden kann. Selbst wenn am Gipfel beschlossen werden sollte, die Fördermenge weiterhin niedrig zu halten, dürften die Preise unter Druck bleiben – weil der Handelsstreit auch hier nachhaltig die Entwicklung überschattet.
*Der Ökonom Adriano B. Lucatelli ist Co-Founder und CEO von Descartes Finance, einem führenden Robo-Advisor in der Schweiz. Zudem hält er verschiedene Verwaltungsratsmandate.
Disclaimer: Die gemachten Prognosen und Aussagen über die Finanzmärkte widerspiegeln die persönliche Meinung von Adriano B. Lucatelli zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und können sich jederzeit verändern. Verweise auf bestimmte Wertpapiere, Vermögensklassen oder Finanzmärkte dienen nur zu Illustrationszwecken und sollten nicht als Beratung oder Empfehlung in Bezug auf den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren verstanden werden.