Im Zinstal der Tränen

Negativzinsen stellen private und institutionelle Anleger vor Herausforderungen. Welche Möglichkeiten und Alternativen es gibt, verrät Christian Kopf, Leiter Fixed Income bei Union Investment.

Text: Pascal Hügli

Christian Kopf

Japan, Deutschland, Schweiz: Negativzinsen sind auf dem Vormarsch. Sollten Anleihen dieser Länder gemieden werden?

Japan, die Schweiz, der Euroraum aber auch Schweden und Dänemark weisen allesamt deutliche Leistungsbilanzüberschüsse auf. Die Währungen dieser Wirtschaftsräume stehen unter Aufwertungsdruck.

Intervenieren deshalb die jeweiligen Zentralbanken derart stark?

Die betroffenen Notenbanken setzen auf Negativzinsen, um eine Aufwertung zu verhindern. Damit beabsichtigen sie, die Vermögensanlage in diesen Ländern weniger attraktiv zu machen. Für Investoren bedeuten diese Zinsmanipulationen tatsächlich, dass sich der Blick ins Ausland zunehmend lohnt, auch wenn sich die Heimatwährung nicht einfach meiden lässt.

Gibt es Gründe, die dafür sprechen, in negativ rentierende Anleihen zu investieren?

Wer langfristig in der Schweiz oder im Euroraum leben möchte, wird auch bei Negativzinsen Wege finden müssen, das eigene Vermögen in Franken oder Euro zu erhalten. Dabei ist die Kernfrage: Wie rentieren Anleihen relativ zu Bankeinlagen, die ja zunehmend auch negativ verzinst werden?

Wie sieht dieser Trade-off gegenwärtig aus?

Langlaufende Anleihen können durchaus attraktiv sein, wenn sie eine höhere Rendite liefern als das Bankkonto und es zudem Aussichten auf einen Rollertrag gibt, also auf Kursgewinne durch das Herabrollen entlang der Zinskurve. Hinzu kommt, dass Anleihen in der Regel gerade dann Gewinne abwerfen, wenn die Aktienmärkte unter Druck stehen – das gilt auch bei negativen Renditen. In einem ausgewogenen Portfolio sollte daher ein Obligationenfonds zu Sicherungszwecken nie fehlen.

Welche konkreten Alternativen gibt es zu Staatsanleihen mit negativer Verzinsung?

Zum einen Unternehmensanleihen und Hartwährungsanleihen von Schwellenländern. In diesen Marktsektoren sind die Renditen zwar auch stark gesunken, aber die Risikoaufschläge erscheinen weiterhin angemessen, zumal bei derart niedrigen Zinsen auch weniger Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten kommen sollten.

Und zum anderen?

Anleger können auch auf Fremdwährungsobligationen setzen. Sie haben in der Regel höhere Renditen als Inlandsanleihen, aufgrund der Währungsschwankungen aber auch ein höheres Risiko.

Sind Staatsanleihen aus Schwellenländern eine Option?

Bei in Dollar oder Euro denominierten Staatsanleihen aus Schwellenländern muss man genau auf die Zahlungsfähigkeit der Emittenten schauen. Dies gilt besonders für spekulativere Emittenten wie beispielsweise die Ukraine. Meine Empfehlungen sind hier: Es braucht ein breit diversifiziertes Portfolio an Emittenten, einen längeren Anlagehorizont und den Mut, sich nach einer Krise auch den Staaten zuzuwenden, die sich langsam wieder erholen.

Ist die Ukraine ein konkretes Beispiel für einen solchen Aufschwung?

Das Land erholt sich von Krieg und Wirtschaftskrise, Umschuldung und Neuwahlen und bereitet ambitionierte Reformen wie etwa eine Bodenreform vor, wodurch die Produktivität der ukrainischen Landwirtschaft deutlich gesteigert werden könnte.

Auf der Suche nach Rendite muss man heute mehr Risiken eingehen, nicht wahr?

Meines Erachtens gibt es derzeit einige Anlageklassen, die gegenüber den sicheren und negativ verzinsten Staatsanleihen der Kernländer einen deutlichen Mehrertrag bieten – ohne dass Anleger übergrosse Ausfallrisiken eingehen müssen. Dazu würde ich europäische Unternehmensanleihen, Verbriefungen von Unternehmenskrediten und auch Staatsanleihen aus Schwellenländern zählen.

Warum Unternehmensanleihen?

Auf den ersten Blick erscheinen europäische Unternehmensanleihen mit einer durchschnittlichen Rendite von 0,43 Prozent nicht sehr interessant. Der Risikoaufschlag von Unternehmensanleihen guter Bonität beträgt jedoch 1,10 Prozent. Das ist durchaus attraktiv – zumal die Ausfallraten im betroffenen Unternehmenssektor aufgrund der günstigen Finanzierungssituation der Unternehmen so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr sind.

Gleichwohl bestehen Risiken.

Nebst den zweifelsohne vorhandenen Ausfallrisiken gehen die Anleger in diesen Marktsektoren auch Liquiditätsrisiken ein. Die Erfahrung vergangener Finanzkrisen hat gezeigt, dass auch die Kurse von sehr soliden Obligationen stark unter Druck geraten können. Wir beurteilen die Liquiditätsrisiken der verschiedenen Sektoren im Obligationenmarkt sehr feinmaschig und verfolgen dabei zwei Ziele.

Die da wären?

Für das Eingehen von Liquiditätsrisiken sollte man fair entlohnt werden. Zudem gilt es sicherzustellen, dass man Anlegern für den Zugang zu diesen Marktsegmenten geeignete Vehikel bietet. So haben wir beispielsweise bei einzelnen Fonds Rücknahmeabschläge eingeführt. Wenn Anleger ihre Positionen in weniger liquiden Marktsegmenten ohne Vorankündigung liquidieren wollen, dann können sie dies tun, müssen aber zum Schutz der verbleibenden Anleger einen vorab definierten Abschlag in Kauf nehmen.

Muss man als Anleger in einem Negativzinsumfeld die Ansprüche generell zurückschrauben?

Ja, das ist sicher der Fall. Der risikolose Zins ist die Grundlage aller anderen Renditen im Markt, auch im Aktienmarkt. Wird der risikolose Zins negativ, dann sollte dies auf lange Frist den Ertrag aller Anlageklassen senken. Auf dem Weg zu sehr niedrigen Zinsen fallen jedoch Kursgewinne an. Die sollte man sich nicht entgehen lassen.

Werden auch Vorsorgekassen ihre angestrebten Ziele nach unten korrigieren müssen? Sprich: Müssen sich Rentner und Vorsorgebezieher der Zukunft mit weniger zufrieden geben?

Ja, davon gehe ich aus.

Wird die Welt der Anleihen das Tal der Tränen jemals wieder verlassen können?

Ich denke, dass die Fixed-Income-Welt insgesamt bunter werden wird – vormals exotische Anlageklassen werden eine immer grössere Rolle spielen. Für mich als institutioneller Anleger ist dies sehr spannend. Aus dem Zinstal werden wir meines Erachtens vorerst nicht herauskommen.

Warum nicht?

Anstelle des gegenwärtigen Zinssenkungswettbewerbs, in dem jede Zentralbank für sich alleine kämpft, bräuchte es koordinierte Zinserhöhungen der grossen Zentralbanken dieser Welt. Eine solche Koordination ist derzeit nicht in Sicht.

Wie weit können die Zinsen denn noch sinken?

So wenig wie die Zinsen steigen werden, so wenig werden sie noch weiter fallen. Ich glaube, dass die Untergrenze bei den Negativzinsen erreicht ist, wenn die Wirtschaftsakteure anfangen, Bargeld zu horten, anstatt es weiterhin als Giralgeld zu negativen Zinsen anzulegen. Bei den gegenwärtigen Negativzinsen von -0,5 Prozent lässt sich im Euroraum schon beobachten, dass Anleger eine Vermögensumschichtung «aus dem Markt in den Tresor» vornehmen.

Auch in der Schweiz sind wir also ganz unten angekommen?

Wo das Zinsniveau erreicht ist, bei dem Substitution in Bargeld im grösseren Umfang stattfindet, das wird von Wirtschaftsraum zu Wirtschaftsraum verschiedenen sein. Ich glaube, dass die SNB bei den Negativzinsen etwas mehr Spielraum hat als die EZB, weil die SNB eine bessere Kontrolle über das schweizerische Finanzsystem hat, als es die EZB über den Euroraum hat.

*Christian Kopf ist Leiter des Portfoliomanagements im Bereich der Anleihen bei Union Investment


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