Die Vielfalt der Indizes wächst kontinuierlich. Konrad Sippel von Stoxx gibt einen Einblick in die Konstruktion der Barometer.
Text: Barbara KalhammerIndizes sind der Grundstein für ETF. Wie entstehen solche Barometer?
Zum einen entwickeln wir intern eigene Konzepte und Ideen für Indizes, die wir dann lancieren. Zum anderen werden im Dialog mit den Marktteilnehmern Problemstellungen und Ideen an uns herangetragen und diskutiert, die wir dann mit einem Indexkonzept aufzugreifen versuchen. Wenn die entsprechende Nachfrage existiert, wird der Index lanciert.
Was sind die Voraussetzungen?
Prinzipiell gibt es einige Grundsatzkriterien, damit Indizes in der Industrie einen Mehrwert darstellen. Das Barometer muss transparent und regelbasiert sein. Das bedeutet, das Konzept sollte auf quantitativen Kriterien basieren. Ebenfalls nötig sind gute Preisquellen. Zudem darf er nicht manipulierbar sein. Innerhalb dieser Voraussetzungen stellt sich in der zweiten Stufe die Frage, wofür der Index verwendet wird. Als Grundlage für einen ETF muss die Handelbarkeit sichergestellt sein. Sie ermöglicht eine kostengünstige Nachbildung.
Welche Kriterien müssen Unternehmen erfüllen, um aufgenommen zu werden?
Das hängt stark vom Indexkonzept ab. Bei den Standardindizes sind in der Regel die grössten und umsatzstärksten Unternehmen enthalten. So sind im Eurostoxx 50 vereinfacht gesagt die 50 grössten Unternehmen der Eurozone zu finden. Im Detail gibt es ein strenges Regelwerk, nach dem die Auswahl erfolgt. Alles basierend auf der Kerngrösse free-float Marktkapitalisierung, also jenem Teil, der frei handelbar ist.
Wie sieht es bei neuen Länderindizes aus?
Wir sehen uns das Land – die Grösse des Marktes und die Zahl der Firmen – individuell an. Dann stellt man sich die Frage, wie viele Unternehmen im Index zu finden sein sollen. Gesucht wird das Optimum zwischen einfacher Replizierbarkeit – je weniger Titel, desto einfacher ist die Replikation – und guter Abbildung des Gesamtmarktes. Um zu sehen, welche Auswahl die grösste Korrelation zum Gesamtmarkt aufweist, wird im Entwicklungsprozess mit verschiedenen Grössen und Varianten experimentiert. Ein solcher Auswahlindex deckt in der Regel etwa 60 Prozent der Marktkapitalisierung des Landes ab.
Welche Rolle spielt die Liquidität?
Eine sehr grosse. Die Titel müssen eine gewisse Mindestliquidität aufweisen. Nur so kann die Abbildbarkeit des Index sichergestellt werden. Als Mindestgrösse geht man – je nach Markt – von mindestens einer Million Dollar Handelsvolumen pro Tag über einen gewissen Zeitraum aus. Entscheidend ist, dass die Aktie nicht nur gross ist, sondern auch gehandelt werden kann.
Die Länderkategorisierungen werden oft bemängelt. So gibt es bei den Emerging-Market-Indizes teils grosse Abweichungen.
Das ist ein valider Kritikpunkt. Besonders die Trennung zwischen Industrie- und Schwellenländern ist sehr umstritten. Vielfach werden die Auswahlkriterien von den Indexanbietern veröffentlicht. Selten findet sich aber das ausschlaggebende Kriterium, warum ein Land aufgenommen oder ausgeschlossen wurde, weshalb wir uns auf fünf nachvollziehbare Kriterien beschränken.
Nach welchen Kriterien nimmt Stoxx die Auswahl vor?
Ein Land wird in die Betrachtung aufgenommen, wenn der Markt und die Liquidität eine gewisse Grösse aufweisen. Nebst der Marktkapitalisierung und dem Börsenumsatz zählt der Status des Landes bei der Weltbank, die eine Aufteilung in Entwicklungs- und Industrieländer vornimmt. Es gibt aber noch weitere Kriterien wie beispielsweise eine konvertible Währung.
Für ein Land hat die Aufnahme oder der Ausschluss grosse Auswirkungen.
Ja, sie sind allerdings schwer messbar. Der Effekt sieht wie folgt aus: Es gibt zahlreiche Derivate auf Indizes wie den Eurostoxx 50. Wenn nun ein neuer Titel aufgenommen wird, müssen passive Investoren ihre Positionen anpassen. Diese Verschiebung führt typischerweise zu einem positiven Kurseffekt. Das wirkt sich auf die Länder nur indirekt aus. Anders war dies, als der Vanguard EM ETF kürzlich die Benchmark wechselte: Südkorea aus dem Portfolio, was zu einem signifikanten Mittelabfluss führte.
Was heisst die Indexaufnahme für ein Land?
Indizes nehmen eine Schaufensterfunktion wahr. Das bedeutet, dass die Unternehmen sich gerne mit der Mitgliedschaft rühmen. Natürlich ist es für ein Land auch ein gewisses Qualitätsstatement, wenn die Kriterien der Indexanbieter erfüllt werden. Es wird diskutiert, ob die Berechnung der Indizes an unabhängige Provider abgegeben werden sollte.
Befürworten Sie das?
Durchaus, da wir ein solcher Provider sind. Es ist aus unserer Sicht sehr wichtig, die Berechnung und Zusammenstellung des Index vom Investmentprodukt zu trennen. Die Entscheidung über die Aufnahme eines Unternehmens sollte unabgängig von Firmen und Banken getroffen werden. Wenn ETF-Anbieter Indizes selber konstruieren, bedeutet das für uns Wettbewerb. Doch für den Anleger bedeutet es möglicherweise einen Verlust von Transparenz und Unabhängigkeit des Index.
Die Zahl der Indizes wächst kontinuierlich. Wie kann ein Anleger die richtige Benchmark auswählen?
Das ist in der Tat ein guter Punkt. Der Auswahlprozess ist sehr unterschiedlich. Jemand, der beispielsweise einfach ein Land abbilden möchte, ohne Strategie und zusätzliche Komponenten, ist mit den Standardindizes am besten beraten. In der Welt der Themen- und Strategieindizes ist es entscheidend, sich intensiv mit dem Regelwerk auseinanderzusetzen. Besonders wichtig für die Auswahl ist die Transparenz.
Sie haben die Strategieindizes angesprochen. Was ist deren Vorteil?
Die alternativen Indexkonzepte erfreuen sich grosser Beliebtheit, vor allem vor dem Hintergrund der schwierigen Finanzmärkte in den letzten Jahren. Im Vordergrund steht die Risikooptimierung. Rund um die Standardindizes entsteht ein neues Universum Dieses Feld wird weiter wachsen. Zudem entwickelt auch die akademische Forschung immer neue Ansätze, die anschliessend mit Indizes aufgegriffen werden können.
Welche anderen aktuellen Themen greifen Indizes auf?
Die Entwicklungen gehen in viele verschiedene Richtungen. Wir haben einen Index für die 3D-Druckerindustrie aufgelegt, aber auch den GC Pooling Index. Dieser stellt eine Alternative zu den in die Kritik geratenen Zinssätzen Eonia und Libor dar. Das ist ein grosser Trend, der in letzter Zeit entstanden ist: die Auseinandersetzung mit Benchmarks, die möglicherweise nicht mehr den Standards und Ansprüchen der Investoren genügen.
Kann es bei kurzfristigen Trendthemen passieren, dass Indizes wegen zu geringem Interesse wieder aufgelöst werden?
Das passiert relativ selten. Dazu müsste schon die Grundlage für den Index komplett entfallen. Wenn man das Thema 3D-Drucker nimmt und in zehn Jahren kein Unternehmen mehr aus dem Index existiert, dann müsste man die Konsequenz ziehen. Vieles ist aber zyklisch und wir richten uns nicht nach den Favorisierungen der Anleger, sondern setzen auf Kontinuität. Wir greifen Markttrends auf und geben ihnen genug Raum für Entwicklung.
Konrad Sippel ist Global Head of Business Development bei Stoxx Limited.