«Inflation ist der schlafende Riese»

Nach einem Rekordstart mussten Anleger im Februar einen herben Rückschlag einstecken. im März hat sich die Lage etwas erholt. Der Anlagestratege Salman Ahmed bleibt optimistisch, sieht aber einige Gefahrenherde.

Text: Rino Borini

Im ersten Quartal haben sich Bullen und Bären an den Aktienmärkten ein Seilziehen geliefert. Sind die unruhigen Phasen Vorboten einer längeren Aktienkorrektur?

2017 war ein aussergewöhnliches Jahr mit niedriger Inflation und starkem Wachstum. Das makroökonomische Umfeld im laufenden Jahr ist weiterhin durch starkes Wachstum geprägt. Was sich geändert hat, ist die Inflation, die etwas höher ausfällt. Historisch gesehen war dies stets mit einer höheren Volatilität verbunden. Insgesamt sind wir gegenüber Aktien positiv eingestellt, gehen aber davon aus, dass die Volatilität hoch bleibt.

Wir sehen derzeit einen Aufschwung der Weltwirtschaft, doch dieser wird überschattet von zunehmenden Protektionismus. Wie beurteilen Sie die Gefahr von Handelskriegen und was hätte diese für einen Einfluss auf die Finanzmärkte?

Wir erwarten, dass sich das Geplänkel um Handelsfragen fortsetzt, denken aber, dass die Ängste vor einem regelrechten Handelskrieg übertrieben sind. Von letzterem würden wir sprechen, wenn die Chinesen ihre Währung beziehungsweise ihre Währungsreserven einsetzten und die USA einen massiven Anstieg der Sanktionen verkünden. Danach sieht es derzeit nicht aus. Kurzfristig ist damit zu rechnen, dass der Handelskonflikt zwischen den USA und China durch bilaterale Massnahmen zwischen den Parteien entschärft wird.

Die Volatilität bleibe hoch, haben Sie gesagt. Wie sieht es um die Inflationsrisiken aus? Sind sie in den Hintergrund geraten?

Inflation ist der schlafende Riese. Das gebremste Lohnwachstum im März-Bericht hilft vielleicht, die Inflationssorgen zu mindern. Dennoch halten wir an unserer seit langem bestehenden Auffassung fest, dass die Teuerung dieses Jahr zunehmen wird. Und wir sind auch weiterhin der Ansicht, dass sich der Inflationsdruck ab Mitte des Jahres wahrscheinlich verstärken wird. Sollten wir einen signifikanten Anstieg sehen, werden alle Anlageklassen unter Druck geraten. Angesichts des derzeitigen Zinsniveaus und der Risiken, die mit einer steigenden Inflation verbunden sind, erachten wir ein umfassendes Risiko-Management als sinnvoll.

Die Rückkehr der Inflation würde die Märkte – sowohl die Aktien- wie auch Obligationenmärkte – strapazieren. Was genau würde geschehen?

Es kommt darauf an, ob der Markt von der Inflationsentwicklung überrascht wird. Wenn die Inflation schneller ansteigt als erwartet, würde der Markt durch eine schnellere oder umfassendere Verknappung reagieren. Bislang sind die Märkte und die Fed auf dem gleichen Weg, aber die Inflationsdynamik ist nach wie vor das Hauptrisiko. Sollten die Zentralbanken in Europa oder Japan derjenigen der USA folgen und ebenfalls an der Zinsschraube drehen? Europa liegt zwei bis drei Jahre hinter dem US-Zyklus zurück. Wir gehen aber davon aus, dass die EZB das Quantitative Easing bis zum vierten Quartal zurückfahren wird. In Japan dürfte dies bis Anfang des nächsten Jahres der Fall sein.

Was bedeutet das für die Anleger? Sollten sie den Aktien weiterhin treubleiben?

Das makroökonomische Umfeld mit einem weiterhin robusten globalen Wachstum unterstützt trotz der seit Jahresbeginn gestiegenen Volatilität nach wie vor risikoreiche Anlagen, einschliesslich Aktien. Wir sind unverändert positiv eingestellt gegenüber Europa und den Schwellenländern. Wir bevorzugen diese Regionen gegenüber dem US-Markt, wo die Bewertungskennzahlen stärker aufgebläht sind.

Technologiewerte kamen in den letzten Wochen stark unter Druck. Ist das langfristige Potenzial der FAANG (Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google) ausgeschöpft?

Wir glauben, dass diese Bedenken sowohl mit den aktuell hohen Bewertungen als auch mit dem bisherigen Momentum verknüpft sind. Das heisst, der Technologiesektor war in jüngster Zeit der Gewinner in Sachen Performance. Eine der treibenden Kräfte für die Kursbewegungen bei den marktführenden Tech-Titeln ist die Gefahr einer verstärkten regulatorischen Überprüfung.

Was bedeutet die Gefahr einer zunehmenden Regulierung?

Regulierung ist ein neues Thema für die FAANG-Werte. Es ist aber eine grundsätzliche Thematik, da die grossen Tech-Unternehmen sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle haben. Nach unserem Dafürhalten stellen die aktuellen und möglicherweise anhaltenden Schwankungen an sich keine makroökonomische Gefahr dar, besonders weil die verschiedenen Tech-Unternehmen ganz unterschiedlich aufgestellt sind und sich regulatorische Änderungen – die mit Blick auf Umfang und Terminierung noch unsicher sind – wahrscheinlich auf einzelne Gesellschaften konzentrieren werden.

Blicken wir auf die Anleihen. Die Bonitätsspreads von Unternehmens- und Hochzinsobligationen notieren unter dem historischen Mittel. Sind sie trotzdem noch attraktiv?

Generell sind die Credit Spreads immer noch eng. Wir sehen vor allem im Segment BBB bis BB attraktive Möglichkeiten für Anleger.

Wie sieht es aus mit Staatsanleihen?

Wir würden davon abraten. Seit Mitte des letzten Jahres sind wir untergewichtet in Staatsanleihen.

Und was ist mit Schwellenländer-Anlagen? Könnten diese Firmen die Gewinner der Weltwachstumsbeschleunigung sein?

Die Schwellenländer sind in der Tat gut aufgestellt, um sich im aktuellen Umfeld zu behaupten. Auf der einen Seite können die Schwellenländer vom robusten globalen Wachstum über den Export profitieren. Darüber hinaus wird der mit dem globalen Wachstum verbundene Anstieg der Rohstoffpreise auch den Rohstoffexporteuren zugutekommen. Auf der anderen Seite haben die Schwellenländer auch ihre Abhängigkeit vom Export zugunsten der Binnennachfrage verringert, was sie weniger abhängig macht von der Entwicklung in den entwickelten Märkten. Die angespannten Handelsbeziehungen zwischen den USA und China stellen jedoch ein kurzfristiges Risiko dar.

*Salman Ahmed ist Chief Investment Strategist bei Lombard Odier Investment Managers.


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