Ist die Kryptowährung Bitcoin wirklich aus dem Winterschlaf erwacht?
Text: Pascal Hügli2018 war für Anleger ein Jahr zum Vergessen: Beinahe 90 Prozent aller globalen Vermögenswerte (in Dollar gerechnet) verzeichneten aufs Jahr gesehen eine negative Rendite, stellte die Deutsche Bank ernüchternd fest. Umso erfreulichere Nachrichten verkündete das Finanzinstitut nach den ersten vier Monaten im neuen Jahr: Dieses Mal notierten nahezu 90 Prozent aller globalen Vermögensklassen (in Dollar gerechnet) im Plus. Zuoberst rangiert wie schon 2017 der Bitcoin mit einer Jahresrendite von bislang 115 Prozent (Stand 12.05.19).
Von ihrem Tief nahe der 3000-Dollar-Marke hat sich die Kryptowährung wieder erholt, nun hat sie zwischenzeitlich bereits wieder die 8000-Dollar-Schwelle überschritten. Für hoffnungsvolle Krypto-Enthusiasten ein Zeichen, dass der Bitcoin aus seinem Winterschlaf aufgewacht sein könnte. Auch die Kassen- und Handelsvolumen haben über die vergangenen Wochen wieder zugenommen, der Derivate-Markt für Krypto-Assets ist förmlich explodiert. Ob Futures, Swaps, ETP: Die Zahl der Finanzprodukte nimmt stetig zu.
Das Start-up Amun hat bereits mehrere Indexprodukte an der SIX gelistet. Die Optionen-Plattform Deribit hat jüngst verschiedene Ethereum-Derivate lanciert. Im Verlauf dieses Jahres sollen zudem weitere Krypto-Handelsbörsen an den Start gehen. Ab wann mit ErisX, Bakkt oder SeedCX zu rechnen ist, kann niemand genau sagen, nicht einmal die Verantwortlichen. So musste beispielsweise die Lancierung von Bakkt durch den Börsenbetreiber Intercontinental Exchange bereits mehrmals vertagt werden. Da man im Marketing-Wettlauf jeweils zu den Ersten gehören will, werden Neuigkeiten schnell publik gemacht. Erst hinterher merkt man, dass es vorab regulatorische Aspekte zu klären gilt – und die Lancierung verzögert sich um mehrere Monate.
Achtung vor den Eisheiligen
Die gestiegenen Handelsvolumen sowie die guten Aussichten auf eine immer stärkere Integration von Krypto-Assets in die traditionelle Finanzwelt könnten darauf hindeuten, dass sich der Krypto-Winter tatsächlich seinem Ende zuneigen könnte. Sicher kann man sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht sein. Gemäss Kennern könnten die Preise erneut purzeln: Eine erste Schranke liegt bei 4850 Dollar. Sie gilt als Warnsignal und könnte dazu führen, dass erste Long-Positionen geschlossen werden. Bei der 4200-Marke wären die Hoffnungen auf einen bullenartigen Trend zu beerdigen, was den Kurs erst recht in den Keller treiben würde.
Ob die Marktteilnehmer den Bärenmarkt von 2018 tatsächlich ganz ausgestanden haben und wirklich endgültig kapituliert haben, ist nicht eindeutig erkennbar. Ein letzte Auswaschung des Marktes wäre daher vielleicht sogar wünschenswert. Dass der Bitcoin gegenwärtig vielleicht doch überverkauft sein könnte, zeigen ein paar Ereignisse der letzten Wochen, auf die der Anleger eigentlich hätte negativ reagieren müssen, wäre da nicht die sich derzeitig abzeichnende bullische Trendwende. So hat sich herausgestellt, dass der grösste Stablecoin, Tether, nicht vollumfänglich mit Dollars gedeckt ist.
Eine Nachricht, die insbesondere in der Krypto-Community, wo der Vollreservegedanke durchaus Popularität geniesst, eigentlich schlecht ankommen müsste. Dennoch wurde der Bitcoin-Preis kaum nachhaltig erschüttert. Selbst der Kurs von Tether ist nicht gefallen. Er konnte sich bei 99,5 Cent halten. Unbeeindruckt zeigte sich der Bitcoin-Kurs auch vom Hackerangriff auf die weltweit grösste Krypto-Handelsbörse Binance. Dieser wurden 7000 Bitcoin im Wert von etwas über 40 Millionen Dollar entwendet.
Solche Ereignisse erhöhen nicht unbedingt das Vertrauen – dennoch sind die Investoren positiv gestimmt. 47 Prozent der 441 institutionellen Investoren würden in ihrem Portfolio einen Platz für Krypto-Assets sehen, ergab eine Befragung von Fidelity Digital Assets. Und vier von zehn Befragten planen, über die nächsten fünf Jahre ein Investment in diesem neuen Bereich zu tätigen.
Die Angst, etwas zu verpassen
Unterstützt durch eine bereits zehn Jahre anhaltende Infrastrukturentwicklung werden die Investitionsmöglichkeiten für institutionelle Anleger immer mehr. Es könnte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Krypto-Assets den Weg in die Portfolios von institutionellen Anlegern finden. Im Zuge institutionell getriebener Fomo (Fear of Missing out) könnte der Bitcoin-Preis erneut überschiessen, zumal die Marktkapitalisierung immer noch vergleichsweise klein ist. Noch immer sind grosse Kursbewegungen leicht zu provozieren. Sollte beispielsweise eine Pensionskasse auch nur ein Prozent ihres Vermögens in Bitcoin anlegen, dürfte man dies im Preis bereits spüren.
Im Zusammenhang mit einer möglichen Hausse wird auch immer wieder das Bitcoin-Halvening angesprochen. Dabei handelt es sich um einen im Programmcode festgelegten Zeitpunkt, an dem die Zahl neu geschaffener Bitcoin-Einheiten pro Block halbiert wird. Das geschieht alle vier Jahre. Im Mai 2020 wird die Inflation von 12,5 auf 6,25 Bitcoin-Einheiten pro Block reduziert, was die Inflationsrate zum Zeitpunkt des Wechsels von momentan 3,8 auf ungefähr 1,8 Prozent senken wird. Wird das Angebot neu geschaffener Bitcoin-Einheiten um die Hälfte reduziert, dürfte eine positive Preisreaktion nicht ausgeschlossen sein. Nach den bisherigen zwei Halvenings hat der Preis jeweils angezogen. Gleichwohl werden Angebot und Nachfrage zur Bestimmung des Preises immer irrelevanter. In dieser Beziehung verhält sich der Bitcoin ähnlich wie ein Rohstoff wie Gold. Daher dürften aktuelle Lagerbestände (stock) ausschlaggebender sein als Angebot und Nachfrage (flow).