Ueli Mettler geht der Frage noch, ob die Schweizerische Nationalbank die aufgeblasene Bilanzsumme bereits stillschweigend in einen renditeorientierten Staatsfonds übergeführt hat.
Vor einem Jahr durfte ich an dieser Stelle die Frage erörtern, ob die aufgeblasene Bilanzsumme der Schweizerischen Nationalbank in einen renditeorientierten Staatsfonds überführt werden soll. Bei genauerer Analyse der aktuellen Bilanzzusammensetzung stellt sich die Frage, ob diese Idee nicht bereits stillschweigend Tatsache geworden ist.
Alles begann am 15. Januar 2015: Über Nacht wurde der Euro-Franken-Mindestkurs von 1,20 aufgehoben, was eine Franken-Aufwertung von rund 20 Prozent zur Folge hatte. Seither wird darüber orakelt, warum die Entscheidungsträger einen solch massiven Kurswechsel vollzogen haben. Auf jeden Fall kann der Schritt nicht mit dem Leistungsauftrag der SNB im engeren Sinn – wie in Artikel 5 des Nationalbankgesetzes verankert – begründet werden: Der Entscheid hat nämlich weder die Preisstabilität gefördert (die Konsumentenpreise sind per letztem Messdatum Juli 2015 gegenüber Vorjahr um 1,28 Prozent zurückgegangen), noch wurde dem subsidiären Ziel der ausgewogenen konjunkturellen Entwicklung angemessen Rechnung getragen. Übrig bleibt damit nur der Verdacht, dass der SNB die schiere Grösse der eigenen Bilanzsumme sprichwörtlich über den Kopf gewachsen ist.
Schon vor einem Jahr habe ich einen Vorschlag skizziert, dass die SNB-Bilanz erheblich «erleichtert» werden könnte, wenn ein wesentlicher Teil der Bilanzsumme in einen Staatsfonds ausgelagert würde. Die Eckwerte des Vorschlags seien kurz rekapituliert: Bei der SNB verbleibt ein Ziel-/Dotationskapital von 150 Milliarden Franken, der Rest – aktuell immerhin fast 500 Milliarden – wird in den Staatsfonds überführt. Bei Verlassen des Toleranzintervalls von 100 bis 200 Milliarden Franken greift ein regelbasierter Transfermechanismus zwischen SNB und Staatsfonds. Der Staatsfonds ist auf Kapitalerhalt und nicht auf Kapitalverzehr auszurichten und unabhängig zu konstituieren.
Was ist in der Zwischenzeit passiert? Zum einen ist die Bilanzsumme zwischen Ende Februar 2015 und Februar 2016 um 13 Prozent von 569 auf 642 Milliarden Franken gewachsen. Zum anderen lohnt es sich, die Zusammensetzung der Devisenanlagen im Zeitverlauf näher zu betrachten. Definiert man «risikolose» Anlagen als Anleihen mit der bestverfügbaren Kreditqualität (AAA), so sank ihr Anteil zwischen Ende 2010 und Ende 2015 von 73 Prozent auf 50 Prozent. Bei den verbleibenden «risikobehafteten» Anlagen handelt es sich um Aktien (aktuell 18 Prozent) und Anleihen mit einer Kreditqualität unter AAA. Man darf schlussfolgern, dass sich auf der SNB-Bilanz im Stillen bereits ein «Staatsfonds» eingenistet hat.
Vor diesem Hintergrund ist bei den Entscheidungsträgern der SNB ein bemerkenswerter Gesinnungswandel auszumachen: Erstens scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass die eigene Bilanzsumme keine Zielgrösse für die Festlegung der Geld- und Währungspolitik sein muss beziehungsweise darf. Zweitens wird offensichtlich die Notwendigkeit erkannt, dass zumindest ein Teil dieses wachsenden Geldbergs einer produktiven, sprich renditeorientierten Verwendung zugeführt werden sollte. Ich teile diese Ansicht, erachte aber das Potenzial als nicht ausgeschöpft. Dieses lässt sich nur realisieren, wenn die Kapitalanlage an eine von der SNB unabhängige Organisation ausgegliedert wird. Das hätte auch den Vorteil, dass sich die SNB in der Folge wieder uneingeschränkt der Wahrnehmung des in Art. 5 NBG konstituierten Leistungsauftrags widmen könnte.
Ueli Mettler ist Partner beim Beratungsunternehmen c-alm