Peter Bänziger, Anlagechef bei Swisscanto, zeigt die Folgen des SNB-Entscheids auf und erklärt warum Europa nun Chancen hat.
Text: Barbara KalhammerHerr Bänziger, die Schweizer Nationalbank hat den Euro-Mindestkurs überraschend aufgehoben. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Das war eine richtige und notwendige Massnahme. Das bereits im Vorfeld angekündigte Programm der Europäischen Zentralbank hätte dazu geführt, dass die SNB Euro in einem Ausmass hätte kaufen müssen, das nicht mehr zu verantworten gewesen wäre.
Was sind die Risiken und Nebenwirkungen der Entscheidung?
Davon gibt es zahlreiche. So ist unter anderem das Zinsniveau in der Schweiz weiter gesunken. Eidgenossen-Obligationen bis 15 Jahre weisen eine negative Rendite auf. Das deutet darauf hin, dass die Zinsen noch länger tief bleiben werden. Für Anleger könnte dies zur Folge haben, dass sie auf ihren Sparguthaben negative Zinsen haben werden.
Welche anderen Folgen gibt es?
Die Zinssenkungen sind zusammen mit tiefem Euro und dem tiefen Ölpreis für den Euroraum ein richtiggehender Wachstumscocktail. Umgekehrt wirkt sich die Aufwertung des Frankens in der Schweiz negativ aus auf den Export und den Tourismus. Zudem sind die bereits hohen Lohnkosten für den Schweizer Arbeitsplatz im internationalen Vergleich nochmals stark angestiegen. Das alles kann durch die günstigeren Importe nicht kompensiert werden und wird einen deutlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums in der Schweiz zur Folge haben.
Auch die EZB hat weitere Hebel in Bewegung gesetzt. Kann damit das Schreckgespenst Deflation abgewendet werden?
Ja, es ist wahrscheinlich, dass die Inflation leicht steigen wird. Durch das Programm der EZB wird eine zusätzliche Inflation von 0,4 Prozent für das laufende Jahr erwartet. Das ist nicht viel, es bräuchte eben noch zusätzliche Massnahmen.
An welche Schritte denken Sie?
Geldpolitik allein löst die strukturellen Probleme nicht. Es braucht daher Reformen zur Flexibilisierung des europäischen Arbeitsmarktes. Zudem sind steuerliche Massnahmen notwendig, damit der gesamte europäische Raum konkurrenzfähiger und dynamischer wird. Zudem haben die Staatsverschuldungen weiter zugenommen. Dieser Trend muss gedreht werden. Ein Konsolidierungskurs und ein mittelfristiger Abbau der Staatsschulden sind zwingend.
Ganz anders ist die Lage in den USA, wo immer häufiger von einer Zinswende die Rede ist. Wie ist hier der Fahrplan?
Das ist richtig, die Zinswende ist konkreter geworden. Fed-Chefin Janet Yellen hat angekündigt, dass es im ersten und zweiten Quartal keine Schritte geben wird. Somit dürfte sich erst in der zweiten Jahreshälfte etwas bewegen. Die Fed ist aber nicht unter Druck, weil die Liquiditätsschwemme der EZB und der Bank of Japan zu einer Aufwertung des Dollars geführt haben. Gleichzeitig ist der Inflationsdruck in den USA gesunken. Mein persönlicher Tipp lautet: 2015 erhöht das Fed die Zinsen gar nicht.
Welche Auswirkungen haben die geldpolitischen Massnahmen auf die Aktienmärkte?
Grundsätzlich liegt das Programm der Europäischen Zentralbank über den Erwartungen, das ist positiv für die Aktienmärkte, dasselbe gilt für die weiter gesunkenen Zinsen. Es ist jedoch nicht nur das Zinsprogramm, sondern eben auch der schwache Euro und der tiefe Ölpreis, die Europa und auch Japan Flügel verleihen dürften. Ich bin zuversichtlich, dass diese Aktienmärkte die Favoriten für die nächsten ein bis drei Jahre werden.
Und wie reagierten Schweizer Aktien?
Der Markt ist eingebrochen, woraufhin sich viele Anleger fragen, ob sie nun kaufen sollen, weil der Markt billig geworden ist. Doch das ist ein Trugschluss, Schweizer Aktien sind genau gleich teuer wie vorher.
Warum macht der Einbruch die Aktien nicht billiger?
Weil durch die schwächeren Fremdwährungen auch die Gewinne der Unternehmen um etwa 10 bis 20 Prozent tiefer liegen werden. Aber es gibt auch positive Neuigkeiten: Durch die Negativzinsen stieg das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Schweizer Aktienmarktes, das zuvor bei 16 lag. Ich erwarte also zunächst eine Stabilisierung und im Verlauf des Jahres eine Verbesserung der Aktienmärkte.
Die Märkte sind bereits deutlich volatiler geworden. Wie können sich Anleger gegen die höheren Schwankungen wappnen?
Wir hatten eine wunderbare Zeit, in der die Märkte nur eine Richtung kannten, nämlich nach oben. Nun müssen wir uns wieder an mehr Volatilität gewöhnen. Wappnen kann sich der Anleger eigentlich nur dadurch, dass er zwischendurch Gewinne realisiert, wenn die Märkte nach oben übertreiben sollten. Und dann geben Korrekturen wieder die Chance zurückzukaufen.
Ihre Favoriten für 2015 sind Europa und Japan. Wie sieht es für den Überflieger von 2015 aus, die USA?
Die Wirtschaftsentwicklung ist stark, wird jedoch durch den stark gestiegenen Dollar etwas gebremst. Dennoch übertreffen die Unternehmensgewinne die Erwartungen. Der Aufwärtstrend der US-Börsen ist intakt und ich würde weiter auf steigende Märkte setzen. Allerdings wird die Geschwindigkeit etwas abnehmen.
Die Renditen für Anleihen befinden sich immer noch auf historischen Tiefstständen. Wird dies weiterhin so bleiben?
Auch wenn man das nicht gerne hat, aber die tiefen Niveaus werden sich so schnell nicht ändern. Das Programm der EZB hat jedoch schon gewirkt, obwohl es noch gar nicht angelaufen ist. Zwischen März 2015 und Herbst 2016 werden 1,1 Billionen Euro gedruckt. Das bedeutet zwangsläufig, dass die Zinsen tief bleiben werden. Das einzige Risiko dabei ist ein Zinsanstieg in den USA, der auch einen Effekt auf die anderen Kapitalmärkte hätte.
Welche Auswirkungen haben die geldpolitischen Massnahmen auf die Obligationenmärkte?
Aufgrund der konjunkturellen Entwicklung werden die US-Zinsen tendenziell früher steigen als die europäischen. Aber eigentlich bewegen wir uns durch die globale Liquiditätsschwemme an den Obligationenmärkten fast synchron in die gleiche Richtung. Eine Abkoppelung ist dann denkbar, wenn die Diskussionen um eine Zinserhöhung in den USA erneut entflammen oder sogar konkret werden.
Der starke Einbruch des Ölpreises hat viele überrascht. Wird sich der Rückgang weiter fortsetzen?
Der grösste Teil des Rückgangs dürfte bereits hinter uns liegen. Kurzfristig sind aufgrund des Überangebotes weitere Kursrückgänge bis rund 40 Dollar möglich. Die Dreijahres-Futures sind allerdings deutlich höher und liegen bei rund 66 Dollar, was eine gute Indikation ist. Ich denke, der Preis könnte sich bei rund 50 Dollar stabilisieren.
Wer ausser Autofahrern profitiert vom billigen Öl?
Primär jene Staaten und Regionen, die netto Öl importieren, also vor allem Japan und Europa. Aber es gibt auch ganze Sektoren, die von den tiefen Preisen profitieren, beispielsweise die Luftfahrt. Verlierer sind dagegen sämtliche alternativen Energien, die durch den Ölpreiseinbruch nun stärker unter Druck kommen.
Das komplette Interview ist als Video auch hier verfügbar (Wirtschaftsmagazin PUNKT).