«Jetzt muss ein Aktieninvestor durchhalten»

Die Aktienmärkte haben im April die durch Covid-19 entstandenen Verluste teilweise wettgemacht. Für eine Entwarnung ist es jedoch noch zu früh. Davon ist Peter Bänziger, Partner des Vermögensverwalters Belvalor, überzeugt. Was Anleger nun tun müssen, erzählt der Vermögensverwalter im Gespräch.

Text: Rino Borini
Peter Bänziger

Peter Bänziger, Sie sind über drei Jahrzehnte im Finanzbereich tätig. Haben Sie in dieser Zeit etwas mit der Corona-Krise Vergleichbares erlebt?

Peter Bänziger: Heftige Kursstürze an den Börsen habe ich schon einige gesehen. Doch die Geschwindigkeit, mit der die Aktienkurse ab dem 19. Februar regelrecht in den Keller gerast sind, war schon sehr heftig. Die Situation – inklusive der darauffolgenden volatilen Bodenbildung – erinnert mich an den Crash von 1987.

Die Aktienmärkte haben sich tatsächlich ziemlich schnell wieder erholt.

Ja. Der US-Aktienmarkt liegt seit Jahresbeginn (Stand 28. April; die Red.) rund zehn Prozent im Minus, der breite SPI-Index hat bis heute rund sechs Prozent eingebüsst. Dies entspricht einer «normalen» Korrektur. Was die Anleger verängstigt, ist die Angst vor einer zweiten Infektionswelle und einem erneuten Rückschlag. Aus heutiger Sicht sehen wir eine volatile Bodenbildung an den Aktienmärkten. Wenn es, wie beispielsweise in Südkorea, zu keiner zweiten Welle und damit zu keiner Verlängerung des Lockdowns kommt, wird die Bodenbildung auf einem stabileren Fundament stattfinden.

Ist das Schlimmste also vorbei?

Die weiterhin hohe Volatilität zeigt nach wie vor, dass im Markt eine grosse Unsicherheit herrscht. Sie notiert immer noch fast doppelt so hoch wie der langfristige Durchschnitt von rund 20. Wir rechnen mit einem stufenweisen Rückgang.

Werden wir bei den Volatilitäten neue Rekordwerte erleben?

Das glaube ich nicht. Die Rekordmarke beim US-Volatilitätsindex VIX von über 80 werden wir vermutlich nicht mehr sehen. Die generelle Stimmung unter den Anlegern ist immer noch pessimistisch.

Aktienanleger fragen sich, ob man auf der Seitenlinie verharren oder zukaufen soll.

Vorweg ein Satz zum Markttiming: den idealen Zeitpunkt für Ein- oder Ausstieg zu finden, ist enorm schwierig, wenn nicht unmöglich. Bezogen auf ihre Frage bedeutet das: Man muss in Aktien investiert bleiben. Jetzt muss ein Aktieninvestor durchhalten, das ist das Wichtigste in Krisenphasen. In einer zweiten Phase geht es darum, die Qualität des Portfolios zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Der Konsens unter den Anlegern scheint recht hoch zu sein, dass es eine zweite Abwärtsbewegung und damit noch günstigere Kaufgelegenheiten geben wird. Dies beinhaltet die Gefahr, dann doch zu lange abzuwarten – und letztlich zu höheren Kursen kaufen zu müssen.

Was heisst das konkret?

Man muss die Aktienquote aufrechterhalten. Aber mit Titeln, die von der Krise weniger stark betroffen sind. Zudem sollen Anleger auf Firmen setzen, die nach der Krise aufgrund ihrer Marktposition rasch wieder wachsen können. Natürlich werden viele Firmen Ertragsrückgänge verzeichnen. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen: Einige werden temporär Einbussen verkraften müssen, andere werden länger leiden. Letztere gilt es derzeit zu meiden.

Welche Firmen oder Branchen sollte man genauer unter die Lupe nehmen?

Nehmen wir eine Nestlé oder Roche, beides erstklassige Unternehmen. Beide Konzerne sind viel weniger stark von Covid-19 betroffen als beispielsweise eine Lufthansa. Die ganze Reise- aber auch die Luxusbranche sollte man vorerst meiden. Diese Beispiele zeigen, dass in der ersten Phase Unternehmen aus Food, Pharma und vor allem Technologie attraktiv sind. Darunter sind einige Firmen, die von der Krise sogar profitieren wie Amazon oder Chiphersteller wie Intel und Samsung. Erst in einer späteren Phase – bei wieder steigenden Gewinnen – werden die Zykliker auf Touren kommen.

Bei welchen Titeln sagen Sie «Hände weg»?

Wie erwähnt die internationale Reisebranche inklusive Reiseplattformen. Auch die Autobauer und deren Zulieferer würde ich noch meiden. Dazu gehören trotz der tiefen Bewertung Daimler, BMW, VW et cetera. Airlines wie Boeing gehören klar nicht auf die Shoppingliste, auch die Luxusgüterindustrie sollte man vorläufig meiden. Die europäischen und die Schweizer Grossbanken gehören ebenfalls nicht zu den Favoriten.

Sie sind ein Fan von Dividenden, doch hier wird es vermutlich zu einigen Kürzungen kommen. Ist die Dividende nicht ein wichtiger Bestandteil der Gesamtrendite?

Doch, das ist sie. Dabei gilt es, nicht einfach auf die höchsten Dividendenrenditen zu setzen, sondern auf die sichersten. Dazu zählen grosse Pharmaunternehmen wie Roche und Novartis oder Konsumgüterhersteller wie Danone oder Nestlé. Für mich gehören auch Zürich und Swiss Re in diese Gruppe.

Die zahlreichen Massnahmen der Regierungen und Zentralbanken lassen das Inflationsgespenst wieder erwachen. Kommt es zu einer Inflation?

Sowohl gemäss Logik wie auch Theorie müsste es so sein. Aber kurzfristig erleben wir durch den Crash der Ölpreise einen deflationären Schock. Die Inflation wird dieses und nächstes Jahr deshalb sehr tief bleiben, zumal wegen der angestiegenen Arbeitslosigkeit auch von der Lohnseite kein Inflationsdruck kommen kann. Das bedeutet gleichzeitig, dass uns das Tiefzinsumfeld erhalten bleibt. Ob das viele Geld, das Zentralbanken und Regierungen zur Bewältigung der Krise ins System pumpen, mittelfristig eine Inflation bewirkt, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass die Verschuldung der Staaten und teilweise der Unternehmen deutlich ansteigen wird. Deshalb bleiben Realwerte wie Aktien, Immobilien und auch Gold generell attraktiver als Anleihen.

Der Konsum ist ein wichtiger volkswirtschaftlicher Treiber. Der flacht nun ab.

Die Massnahmen der Regierungen drücken sehr stark auf das Konsumverhalten, und der Konsum ist letztlich ein elementarer Teil des Bruttoinlandsprodukts. Viele hoffen auf eine V-förmige Erholung der Wirtschaft, also eine rasche Erholung vom Tiefpunkt. Ich glaube nicht an eine solche Entwicklung, vielmehr wird es zu einem zähen, stufenweisen Hochfahren der Volkswirtschaften kommen. Es wird einige Zeit dauern, bis wir das Vorkrisenniveau erreichen werden. Selbstverständlich würde die Erholung rascher, stärker und nachhaltiger ausfallen, wenn in absehbarer Zeit eine wirksame Therapie zur Behandlung und/oder ein Impfstoff gefunden würde. Angesichts des globalen Wettrennens der Pharma- und Biotechbranche ist dies ein durchaus realistisches Szenario.

Von Obligationen raten Sie, gilt das auch für High Yield Bonds?

Nach einem starken Anstieg der Kreditprämien folgen normalerweise sehr gute Renditen für High Yield Bonds. Derzeit implizieren die High-Yield-Märkte über fünf Jahre kumulierte Kreditausfälle von rund 50 Prozent, was wahrscheinlich zu hoch ist. Man kann sich eine simple Frage stellen: Soll der risikobereite Anleger in solchen Zahlen lieber in Aktien investieren oder in High-Yield-Anleihen? Für mich ist es klar: Ich bevorzuge Qualitätsaktien.

Noch kurz zur Lage in Europa, wo sich das Ungleichgewicht zwischen den Nord- und den Südländern weiter vergrössert. Könnte die Covid-19-Krise zum Ende der EU oder des Euro führen?

Mit der Flüchtlingskrise ist die EU schon einmal fast zusammengebrochen. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass die ganze EU sozusagen in zu wenig dicken Nestern hängt. Sie hat es versäumt, wichtige Massnahmen umzusetzen, um als starke Union zu funktionieren. Dazu zählen eine gemeinsame Aussenpolitik gegenüber den USA und China, eine klare europäische Wirtschaftspolitik und auch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das führt letztlich dazu, dass in Krisen, der aktuellen aber auch zukünftigen, alles an einem dünnen Faden hängt, dem Euro.

Letzte Frage: Werden wir bei Insolvenzen einen neuen Negativrekord sehen?

Das wird dann passieren, wenn all die staatlichen Eingriffe nicht wirken. Sicher ist, dass wir nicht so schnell wieder zur Normalität zurückkehren werden. Das sieht man beispielsweise in der Flugbranche: Die Flieger sind am Boden, erste Airlines bereits pleite und andere brauchen Milliarden an Kapital. Ich erwarte aber, dass die Rettungspakete greifen und ein bleibender wirtschaftlicher Grossschaden somit vermieden werden kann.

*Peter Bänziger ist Partner und Chief Investment Officer des unabhängigen Vermögensverwalter Belvalor AG. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Verwaltung von privaten und institutionellen Vermögen. Vor seinem Wechsel zu Belvalor war Bänziger als Anlagechef der Swisscanto verantwortlich für verwaltete Vermögen von 53 Milliarden Franken.


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