Kursziel 18 oder 9 Franken?

Analysen und Kursziele sind keine exakte Wissenschaft, wie Peter Bänziger von Belvalor eindrücklich zeigt. Darum sollten Investoren keinen «Tipps» hinterherlaufen, sondern auf ausreichende Diversifikation setzen.

Text: Peter Bänziger

Sowohl professionelle Anleger als auch private Investoren und Kleinanleger ziehen bei ihren Anlageentscheiden oft Studien von Banken, Brokern oder spezialisierten Research-Anbietern als Entscheidungshilfen bei. Leider sind jedoch auch sehr professionell angefertigte Analysen nicht immer das Gelbe vom Ei – sie können sogar zu extrem unterschiedlichen Beurteilungen und Empfehlungen kommen. Ich will mit meiner Kolumne niemanden in die Pfanne hauen geschweige denn hochleben lassen, sondern nur aufzeigen, dass das erste Gebot für Investoren nicht «Tipps» sein sollten, sondern eine ausreichende Diversifikation.

Seit dem 19. Mai 2016 bewahre ich auf meinem Pult zwei Analysen zu Credit Suisse auf – nur um zu sehen, welche Extremprognose auch wirklich eintrifft:

Das erste Papier stammt von Berenberg. Am 18. Mai – die CS-Aktie stand bei 13,32 Franken – lautete die Empfehlung «Sell», mit einem Kursziel von 9 Franken. Für mich der Hauptgrund für diese negative Beurteilung war, dass Berenberg die Ertragsschätzungen massiv kürzte und die «nachhaltigen Erträge pro Aktie» mit einem Franken bezifferte. Der Analyst gab zu, dass er das Ertragspotenzial der Investmentbank überschätzt hatte.

Die zweite Analyse stammt von UBS Schweiz/Capital Markets. Am 19. Mai stufte sie die Credit Suisse Group Aktie hoch auf «Buy», mit einem 12-Monats-Kursziel von 18 Franken (Kurs am 19.5.: 13,68). Die Argumentationslinie mit der Überschrift «An einem Wendepunkt» stützte sich auf vier Hauptaspekte: gute Fortschritte an vielen Fronten unter schwierigen operativen Bedingungen, das Schliessen der Kapitallücke von 5 Milliarden Franken, positive Impulse in den kommenden zwölf Monaten und die Bewertung von 0,7 (Anmerkung: in der Studie nicht näher spezifiziert, gemeint war wahrscheinlich das Preis/Buchwert-Verhältnis).

Als Anleger, der für sein Portfolio eine Entscheidung treffen muss, fragen Sie sich: Ja, was denn jetzt?

Inzwischen wissen wir mehr. Nach dem Brexit notiert die Aktie der Credit Suisse noch knapp über 10 Franken. Also hat Berenberg die Richtung des Aktienkurses vorerst korrekt vorausgesagt (wir schauen dann am 18.5.2017 noch einmal nach) – dem Analysten ist zu gratulieren. Aber hier muss auch eine gewisse Bescheidenheit bei unserer Beurteilung einsetzen. Natürlich hat im Mai niemand den Austritt Grossbritanniens und den damit verbundenen Kurseinbruch voraussehen können.

Die Grossbanken haben in den letzten Jahren ihre Kapitalkosten nicht mehr verdient und keinen Mehrwert für die Aktionäre geschaffen. Die Credit Suisse hat für 2015 einen Verlust von rund 2,9 Milliarden Franken ausgewiesen, nach Bonuszahlungen von ebenfalls rund 2.9 Milliarden Franken. Und sie hat wiederum eine Dividende ausgeschüttet – zu Lasten der Substanz der Aktionäre. Dass so etwas auf die Dauer nicht gut gehen kann, muss jedem Anleger klar sein.

Solange kein Umdenken in dieser Beziehung stattfindet, sollte man die Finger von diesen Aktien lassen. Es gibt genügend erstklassig geführte, rentable Schweizer Unternehmen. Das erste Gebot des Anlegers heisst Diversifikation. Übermässiges Vertrauen in die eigenen Prognosefähigkeiten und unkritisches Vertrauen in Analysen von Profis können ins Auge gehen.

 

Peter Bänziger verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Verwaltung von privaten und institutionellen Vermögen. Vor seinem Wechsel zu Belvalor war er mehr als 10 Jahre als Anlagechef (Chief Investment Officer) und Mitglied der Geschäftsleitung der Swisscanto verantwortlich für verwaltete Vermögen von 53 Milliarden Franken in allen Anlagekategorien. Peter Bänziger ist bei Belvalor als Chief Investment Officer und Partner tätig.


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