Macht das dezentrale Finanzwesen die Banken obsolet?

Per Smartphone oder E-Mail kann man heute mit jeder Person auf der Welt in Kontakt treten. Warum kann man nicht genauso einfach einen Kredit gewähren oder eine Fremdwährung tauschen? Um diese und ähnliche Fragen geht es bei Decentralized Finance, einem dezentralen und auf der Blockchain basierten Finanzsystem.

Text: Désirée Velleuer und Reto Stiffler
DeFi Dezentrales Finanzwesen

Die Idee eines dezentralen Finanzsystems, auch als DeFi bekannt, hat 2020 stark an Aufwind gewonnen. Dabei geht es um Finanzdienstleistungen, die auf der Blockchain-Technologie basieren und ohne Banken, Zahlungsverkehrsdienstleister, Börsen oder andere Intermediäre auskommen.

Bisher gab es drei Zyklen der Krypto-Adoption. Im ersten Zyklus von 2013 bis 2014 entwickelte sich Bitcoin von einem kaum genutzten Zahlungsmittel zu einem Wertaufbewahrungsmittel. Grund war, dass in Zypern 15 Prozent der Bankdepositen beschlagnahmt wurden, um das Bankensystem zu retten. Nach der Finanzkrise von 2008 wurde in der EU beschlossen, dass bei einer zukünftigen Krise die Kunden – und nicht der Staat – zur Banksanierung beitragen sollten. Aufgrund der Zypernkrise flüchteten Anleger in anderen südeuropäischen Ländern in Bitcoin.

Der zweite Zyklus war einerseits getrieben durch die Einführung des blockchainbasierten Betriebssystems Ethereum für dezentrale Applikationen, den sogenannten Dapps (Decentralized applications). Der andere Treiber waren potenzielle globale Zahlungsnetzwerke wie das Open-Source-Protokoll Ripple. Die Kryptowährungen Ether (ETH) und Ripple (XRP) befinden sich, bezüglich Marktkapitalisierung, auch heute noch auf Platz zwei beziehungsweise vier.

Der jetzige Zyklus steht bisher ganz im Zeichen des dezentralen Finanzwesens. Seit Sommer 2020 sind über 14 Milliarden Dollar in dezentrale Finanzapplikationen geflossen, und der Trend scheint sich weiter zu beschleunigen.

Was ist DeFi?

Grundsätzlich geht es bei DeFi darum, bekannte Finanzdienstleistungen auf die Distributed-Ledger-Technologie und Kryptowährungen zu übertragen. DeFi ist letztlich der Sammelbegriff für Finanzapplikationen, die voll automatisiert auf der Blockchain ablaufen. Diese dezentralen Apps (Dapps) laufen auf Tausenden von Computern weltweit und werden nach jedem Block im Netzwerk synchronisiert. Sie können daher nicht gestoppt, sondern höchstens verboten werden. Einziger Angriffspunkt bleiben die Software-Entwickler oder Gründer, doch selbst sie sind oft anonym.

Dezentrale Kredite

Nachfolgend soll die Funktionsweise von DeFi-Applikationen anhand von drei Beispielen erklärt werden. Etwa das Kreditgeschäft, das auf einer Blockchain und ohne Mittelsmänner umgesetzt werden kann. Hier kommt MAKER ins Spiel. Das ist eine Art Bank, die im Unterschied zu herkömmlichen Geldinstituten jedoch nur durch Software gesteuert wird. Es gibt keine Firma, keine Büros, keine Mitarbeiter, keine Geschäftsführung und keine Geschäftsadresse. Kunden können Krypto-Depositen in der Software halten, die wiederum Dollar-Kredite – genauer: Krypto-Dollar-Kredite – an Kreditnehmer im Netzwerk verleihen. Diese Kredite können jederzeit in «echte» Dollars, also Fiatgeld, umgetauscht werden.

Der Kredit wird sofort und ohne Prüfung der Kreditwürdigkeit gewährt, dafür müssen mindestens 150 Prozent vom investierten Betrag als Sicherheit hinterlegt werden. Sinken die Depositen aufgrund von Kursverlusten unter die Marke von 150 Prozent, werden sie in Krypto-Dollar getauscht, um die Gefahr einer Kreditunterdeckung abzuwehren. Maker verfügt über eine eigene Kryptowährung, den MKR. Mit dem Gewinn aus dem Zinsdifferenzgeschäft zwischen Krediten und Depositen werden MKR Token über den Markt zurückgekauft, was zu einer Verknappung des Angebots führt.

Dezentrale Börse

UNISWAP ist eine Börsen-Software, auf welcher der Handel ohne Mittelsmann möglich ist. Es sind sogenannte Smart Contracts (intelligente Verträge, die auf Computerprotokollen basieren), die als Gegenspieler für einen Tausch fungieren und so den Kurs vorgeben. Inzwischen werden über dieses Protokoll im Durchschnitt täglich 300 Millionen Dollar gehandelt, wobei eine Million Dollar an Gebühren generiert wird. Obwohl die meisten Anleger noch nie von Uniswap gehört haben, erzielt die Plattform fast gleich hohe Gewinne wie die US-Technologiebörse Nasdaq. Da es bei Uniswap keine Erlaubnis für eine Quotierung benötigt, können auch Krypto-Wertschriften gehandelt werden. Auf anderen zentralisierten Krypto-Börsen wie Binance ist dies aufgrund regulatorischer Hindernisse noch nicht möglich.

Dezentraler Devisenhandel

Eine dritte beliebte Anwendung ist die Devisenhandels-Software WAVES. Auf dieser Plattform werden traditionelle Währungen, darunter der Euro, synthetisch hergestellt, indem die Waves Krypto-Währung hinterlegt wird. Jedes Jahr werden fünf Prozent neue Waves «gedruckt» und pro rata auf die hinterlegten Waves verteilt. Der Krypto-Euro wird daher momentan mit stolzen 10 Prozent verzinst, obwohl er jederzeit in «echte» Euros umgetauscht werden kann. Dass die Zinsen hauptsächlich mit der «virtuellen Druckerpresse» finanziert werden, scheint im ersten Moment unseriös. Doch bei einem Vergleich mit dem «echten» Euro, dessen Geldmenge pro Jahr momentan um über 10 Prozent steigt und Negativzinsen verlangt, wirkt der Krypto-Euro auf einmal sehr attraktiv. Sollte dieser unter die Parität zum echten Euro fallen, tritt ein Mechanismus in Kraft, der das Angebot an Waves automatisch reduziert.

Risiken

Bei diesen DeFi Projekten wird das Gegenparteirisiko der Banken und Börsen in Softwarerisiko getauscht. Die Software ist in der Regel als als Open-Source-Protokolle entwickelt und kann damit von jedem eingesehen werden. Trotzdem treten vor allem bei jüngeren Projekten Softwarefehler auf, die fatale Folgen haben können. Deshalb sollen neugierige Investoren auf die etablierteren Projektesetzen und bei Investitionen diversifizieren. Weitere Risiken sind Software Upgrades. Meistens entscheiden die Besitzer der Kryptowährungen demokratisch über neue Entwicklungsschritte. Ob diese dezentrale Entscheidungsfindung längerfristig effizient ist, wird sich zeigen.

Rolle der Banken

DeFi läuft fast ohne Kosten, nachdem die Software einmal im Internet verfügbar ist. Es wird immer schwieriger für etablierte Banken, damit zu konkurrieren. Implementieren sie selber solche vollautomatisierten Lösungen, kannibalisieren sie sich selbst.
Ein grosser Kritikpunkt bei vielen Dapps die geringe kundenfreundliche Benutzeroberfläche und der meist fehlende Kundenservice. Und falls einer vorhanden ist, lässt er oft zu wünschen übrig.

Zugang einer neuen Anlageklasse

Eine Rolle der Banken dürfte daher in Zukunft sein, den Zugriff zu vereinfachen und den Kundenservice möglichst kundenfreundlich zu gestalten. Die besten Chancen sehen wir für FinTech-Banken wie Revolut oder KryptoBanken wie Sygnum oder auf Vermögensverwaltung und Beratung fokussierte Banken.

Wie bei traditionellen Start-ups werden auch bei Krypto-Projekten nur rund 20 Prozent erfolgreich sein, weshalb Diversifikation wichtig ist. Anleger, die sich nicht selber um die Analyse, das Timing und die sichere Lagerung der verschiedenen Kryptowährungen kümmern möchte, kann über einen Anlagefonds in diese revolutionäre Technologie investieren.

Désirée Velleuer und Reto Stiffler sind Gründungspartner der Crypto Consulting AG


sentifi.com

Top 10 meistdiskutierte Werte



Kommentar schreiben

  • (will not be published)