Die mRNA-Technologie hat im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 breite Aufmerksamkeit erlangt. Wird die mRNA-Technologie den Kampf gegen Krankheiten revolutionieren? Wir haben bei Daniel Koller von BB Biotech nachgefragt.
Herr Koller, wir stehen in der Schweiz wahrscheinlich kurz vor der Zulassung eines Impfstoffs gegen Covid-19. Sind Sie über das schnelle Entwicklungstempo überrascht?
Dr. Daniel Koller* Überrascht bin ich nicht, doch es gab in der Vergangenheit ja auch keine vergleichbare Situation. Wir sehen gegenwärtig einen enormen Kraftakt, der zu einer bislang beispiellosen Kooperation von Gesundheitsindustrie, regulatorischen Behörden und politischen Entscheidungsträgern geführt hat. Weltweit befinden sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 225 Impfstoffprojekte in der Entwicklung, darunter 137 klinische Studien. Die Zeitspanne von weniger als einem Jahr von der Identifizierung eines Virus bis zur Zulassung eines Impfstoffs ist historisch einzigartig.
Die mRNA-Technologie hat im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Vakzins gegen Covid-19 breite Aufmerksamkeit erlangt. Was unterscheidet diese Technologie und damit den Impfstoff von herkömmlichen Lösungen?
Die mRNA-Technologie ist ein völlig neuartiges Verfahren ohne bislang zugelassene Medikamente. Während klassische Vakzinen aus inaktivierten Erregern oder aus industriell hergestellten Virusproteinen bestehen, arbeiten die mRNA-Impfstoffe mit dem Bauplan für Bestandteile des Virus. Diese werden dem Körper durch eine Injektion in Form von Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) zugeführt. Die einsträngige RNA ist Trägerin der genetischen Information, im spezifischen Kontext vom Spike Protein von SARS-CoV-2. Nach der Injektion nehmen körpereigene Zellen diese mRNA auf und stellen dieses Virusprotein gemäss Anleitung selbst her. Das Immunsystem erkennt dieses Virusprotein und löst eine gezielte Antikörperreaktion aus.
Gibt es weitere Unterschiede?
Ein gewichtiger Vorteil gegenüber herkömmlichen Impfstoffen ist, dass die komplexe Herstellung von Virusproteinen umgangen werden kann und nur geringe Dosen von mRNA benötigt werden. Dies ist gerade bei der Entwicklung eines Covid-19 Impfstoffes, wo unter Zeitdruck grosse Mengen weltweit an Impfdosen benötigt werden, ein sehr wichtiger Aspekt.
Werden mRNA-Impfstoffe im Fall einer erfolgreichen Bewältigung der Pandemie zur neuen Impfstoff-Technologie des 21. Jahrhunderts?
Das Potenzial dieser Plattform ist in der Tat enorm und die Vorzeichen stimmen sehr optimistisch. Doch wir müssen, was die Impfstoffentwicklung angeht, gar nicht zu weit in die Ferne schauen. Der mRNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech wurde in Grossbritannien bereits zugelassen und es wurde mit Impfungen bereits begonnen, Moderna hat in den USA und in Europa eine Notfallzulassung beantragt. Somit stehen diese Vakzine kurz vor der globalen Bewährungsprobe. Modernas Pipeline an prophylaktischen Impfstoffen zielt seit einigen Jahren auf CMV, RSV und weitere Viren, als auch – wie kürzlich angekündigt – mit einem neuen Projekt auf das saisonale Influenza-Virus. Unserer Einschätzung nach besteht bei diesen Impfstoffkandidaten eine hohe Vergleichbarkeit zum SARS-CoV2-Projekt, was unsere Zuversicht in die mRNA-Technologie zusätzlich untermauert. Als Biotechnologie-Investoren sehen wir neben Infektionskrankheiten auch in anderen Krankheitsgebieten Potenzial für auf mRNA-basierende Medikamente.
An welche Indikationen denken Sie da genau?
Mit dem Durchbruch der RNA-Therapien zur Marktreife ist es möglich, in die genetischen Ursachen unterschiedlichster Krankheitsfelder einzugreifen. Allen RNA-Technologien gemein ist, dass sie auf unterschiedliche Weise die Synthese von bestimmten krankheitsauslösenden Proteinen blockieren (Antisense und RNAi) oder mit dem Einsatz von mRNA die Synthese eines gewünschten Proteins ermöglichen, das Patienten aufgrund genetischer Defekte im Erbgut nicht selber herstellen können. Im Bereich der mRNA besitzt Moderna eine breit aufgestellte Entwicklungspipeline. Das am weitesten entwickelte Projekt im Bereich der Onkologie ist ein personalisierter Impfstoff bei Krebspatienten, der in Kombination mit Keytruda interessante Anti-Tumor-Aktivität bei Patienten mit HPV Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinom aufzeigte. Weitere klinische Kandidaten von Moderna durchlaufen Studien als mRNA-Therapien im Bereich der intratumoralen Immunonkologie.
Weshalb hat sich die Biotechbranche als Protagonist der mRNA-Technologie etabliert?
Viele Biotech-Unternehmen entstehen aus Spin-offs führender Universitäten und Forschungseinrichtungen. Zu Beginn handelt es sich um kleine Organisationen, die hoch innovativ und agil sind. Dies ist auch unabdingbar, da sie sich doch in einem hoch komplexen und kompetitiven Umfeld bewegen. Immer mehr der neuen hoch wirksamen Medikamente kommen von Biotechfirmen, denen es aufgrund ihres technologischen Wissens zunehmend gelingt, erfolgreich Innovationsfelder zu besetzen.
*Dr. Daniel Koller ist seit 2010 Head Investment Management Team der BB Biotech AG