Über das nachhaltige Investieren bei ETF, dessen Tücken und Vorteile.
Wie stellen Sie sich einen nachhaltigen Anleger vor? Ich denke dabei an jemanden, der Entwicklungen an den Märkten kritisch verfolgt, sich über die soziale und ökologische Performance von einzelnen Unternehmen informiert, seine Stimmrechte als Aktionär ausübt und bereit ist, einen Titel zu verkaufen, wenn er seinen ethischen Ansprüchen nicht genügt. Kurz: Vor meinen Augen entsteht das Bild eines aktiven und engagierten Menschen.
Derzeit boomen nachhaltige Anlagen über fast alle Asset-Klassen hinweg. Es ist nicht überraschend, dass auch Anbieter von passiven Anlagestrategien auf den Sustainability-Zug aufspringen. Doch wie lässt sich oben beschriebenes Verhalten mit passivem Anlegen in Einklang bringen? Bedeutet Passivität nicht im Kern die Delegation von Verantwortung? Ist eine passive Anlegerin nicht jemand, der sich am liebsten zurücklehnt?
Kritiker werfen passiven Anlagen, die als nachhaltig ausgewiesen sind, gar Greenwashing vor: Für die Aufnahme in einen Index genüge die Erfüllung rudimentärster Kriterien, und Fonds böten zu wenig Transparenz, um sich seriös über die Nachhaltigkeit der enthaltenen Titel zu informieren. Negative Presse erhielten ETF, die sich mit Nachhaltigkeitskriterien brüsten, bei denen sich allerdings nach dem Amoklauf in einer Schule in den USA herausstellte, dass einige der Produkte in Waffenproduzenten investieren. Dass ein Waffenhersteller nichts in einer nachhaltigen Anlage zu suchen hat, gebietet der Menschenverstand.
Und trotzdem sollte man nachhaltige ETF nicht vorschnell verteufeln: So erlaubt der ESG-Selektionsprozess durchaus eine aktive Abweichung zum kapitalgewichteten Index, zumindest die Auswahl der Titel erfolgt also aktiv. Zudem können auch passive Investoren ihre Stimmrechte ausüben, zumindest dann, wenn sie die Aktien wirklich halten. Und schliesslich überzeugen passive Strategien auch im Nachhaltigkeitsbereich durch ihre niedrigen Kosten.
Wie Verantwortung wahrgenommen wird, ist immer auch eine Frage von Zeit und Ressourcen. Gerade bei kleinen Anlegern sind diese beschränkt. So wie der aktive, engagierte Kleinanleger bei konventionellen Anlagen bestenfalls eine Randerscheinung ist, so wird er dies auch im Bereich Nachhaltigkeit sein. Trotzdem macht sich die verantwortungsbewusste nachhaltige Anlegerin, die passiv investiert, gründliche Gedanken. Sie kennt ihre persönlichen Überzeugungen, sucht sich ein passendes Produkt und prüft dieses auf Herz und Nieren. Wenn alle ihre Fragen zufriedenstellend beantwortet sind, investiert sie, und erst dann lehnt sie sich zurück. Aber nicht allzu lange, denn das Thema nachhaltige Anlagen ist dynamisch und bietet immer wieder neue, spannende Chancen.
Der Hauptteil der Verantwortung liegt hingegen bei den Anbietern passiver nachhaltiger Anlagen: Es ist an ihnen, glaubwürdig darzulegen, dass ihre Produkte dem Label Nachhaltigkeit wirklich gerecht werden. Im Unterschied zu den Anlegern dürfen sie sich nie zurücklehnen.
*Dorothea Baur ist Gründerin und Inhaberin von Baur Consulting in Zürich