Jede Bank lässt es sich zum Jahreswechsel nicht nehmen, den Anlegern zu diktieren, welche Investments in den nächsten zwölf Monaten am besten performen werden. Wer den Börsenprognosen folgt, tappt – möglicherweise – in eine Anlegerfalle.
Und jährlich grüsst das Murmeltier: Ein Chief Investment Officer, der etwas auf sich hält, gibt zum Jahreswechsel seine «House View» zum Besten. Prognosen zu der wirtschaftlichen Entwicklung in den einzelnen Regionen, Prognosen zu den Währungen und Prognosen zu jeder Anlageklasse.
Der Prognoseflut zu entgehen, ist für informationsbedürftige Anleger praktisch unmöglich. Denn seit einiger Zeit sind die Anlageexperten auch dazu übergegangen, nach jedem Ereignis mit Nachrichtenwert ebenfalls eine Prognose zum Einfluss auf die Märkte von sich zu geben: Seien es Präsidentschaftswahlen, Brexit oder die Aussicht auf einen Corona-Impfstoff.
Prognosen sind oftmals von gleich zwei marktpsychologischen Fehlverhalten begleitet. Einmal vom Experten-Bias und einmal vom Interpretations-Bias. Der Experten-Bias beschreibt die Hürden, welche sich Experten stellen, ihre eigene Meinung frei von Interessenkonflikten zu äussern und aufgrund neuer Erkenntnisse zu korrigieren.
Unabhängige Börsenprognosen?
Als Anleger sollte man sich immer bewusst sein: Entgegen aller Beteuerungen und Bekenntnisse zu einem «kundenzentrierten» Geschäftsmodell leben Banken vom Verkauf ihrer Produkte. Wie frei ein Anlagekomitee einer Bank von diesem Interessenkonflikt wirklich ist, lässt sich kaum feststellen.
Der Interpretions-Bias ist hingegen ein klassisches Anleger-Fehlverhalten. Die Psychofalle stellt die Prognose, die ja aus berufenem Expertenmund kommt. Erweist sich eine Prognose als falsch, wird man durch den Interpretations-Bias dazu verleitet, dennoch an ihr festzuhalten. Sie könnte sich ja schliesslich doch noch als richtig erweisen.
Fritz Berg, ein legendärer Fabrikant von Matratzenfedern und erster Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, sagte einst: «Ich bin jetzt 40 Jahre Fabrikant, aber ich habe es noch nicht fertiggebracht, Prognosen für vier Monate zu machen. Andere, die nichts von der Industrie verstehen, machen Voraussagen für fünf Jahre.»
Praktiker-Tipp
Der kluge Unternehmer wie auch der vorausschauende Anleger bezieht darum immer Alternativen bei seiner Entscheidungsfindung mit ein. Das gilt insbesondere in der momentanen Situation, in welcher die Corona-Pandemie die Psychologie an den Finanzmärkten diktiert. Prognosen sind darum mit zusätzlicher Vorsicht zu geniessen.
Unser Rat bei AGFIF International an Anleger ist darum, das Bewährte zu pflegen und die neuen Realitäten zu akzeptieren: Aktien haben als Anlageklasse Weltkriege überdauert. Starke Dividenden-Papiere haben im Zeitlalter der Negativzinsen den Zinscoupon von Anleihen ersetzt.
Das sind keine Prognosen, sondern Fakten. John Lennon, der berühmteste der Beatles, wuchs in einfachen Verhältnissen bei seiner Tante auf. Nachdem er zu Ruhm und Reichtum gekommen war, schenkte er ihr eine goldene Plakette. Darauf eingraviert stand die Prognose, mit der seine Tante ihm die Musikerkarriere ausreden wollte: «Vom Gitarrespielen, mein Junge, kannst du nicht leben!»
*Mojmir Hlinka ist Direktor von AGFIF International in Zürich, dem einzigen Schweizer Vermögensverwalter, der seine Anlagestrategie konsequent auf der Behavioral-Finance-Theorie abstützt. Hlinka ist Eidg. dipl. Finanz- und Anlageexperte AZEK und Mitglied der Swiss Financial Analysts Association.
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