Regulierung für Kundenschutz

Die Finanzkrise 2008 hat eine regelrechte Regulierungswelle ausgelöst. Neben dem Kundenschutz steht auch die Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund. Was die Massnahmen für den Anleger bedeuten und wo die Aufsichtsbehörden noch Nachholbedarf haben, erklärt Alain Röthlisberger im Interview.

Text: Barbara Kalhammer

Seit der Finanzkrise wurden zahlreiche Regulierungen eingeführt. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Die globale Finanzkrise von 2008 löste weltweit eine eigentliche Regulierungswelle aus. Im Nachgang zur Finanzkrise liegt der Fokus nun vorwiegend auf der nationalen Ausgestaltung und Handhabung der neuen Regulierungen. Die wichtigsten Themen sind Finanzstabilität und Kapitalanforderungen, Anlegerschutz und Steuerthemen. Aber auch die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU spielen eine Rolle, vor allem was den Marktzugang von schweizerischen Finanzdienstleistern anbelangt.

Welche neuen Gesetze traten in Kraft?

Mit Jahresbeginn unter anderen das FinfraG, das die Organisation und den Betrieb von Finanzmarktinfrastrukturen sowie den Effekten- und Derivatehandel regelt. Im November 2015 wurde die Botschaft zum Fidleg, dem Finanzdienstleistungsgesetz, und zum Finanzinstitutsgesetz, kurz Finig, veröffentlicht. Das geplante Regelwerk stellt einen wichtigen Schritt zur Sicherstellung des Marktzugangs in Europa dar. Beide Gesetze bezwecken den Schutz der Kunden, der Funktionsfähigkeit des Finanzmarkts und der Stabilität des Finanzsystems.

Welche Veränderungen stehen noch an?

Die Schwerpunktbereiche der regulatorischen Entwicklung sind heute weitgehend bekannt und damit für die Marktteilnehmer berechenbarer geworden. Zur Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und des Erfolgs des Finanzplatzes Schweiz ist aber eine einfache und pragmatische Umsetzung der internationalen Standards unabdingbar.

Wie sieht es mit einer pragmatischen Umsetzung bislang aus?

Bis anhin wurde mit dem «Swiss Finish», mithin mit strengeren nationalen Anforderungen im Vergleich zum Ausland, eher das Gegenteil gemacht. Hier scheint in der Verwaltung und im Parlament langsam ein Umdenken stattzufinden. Im Vergleich zu den Vorentwürfen sind die Entwürfe des Fidleg und des Finig denn auch schlanker geworden. Und im Rahmen der parlamentarischen Beratung zeichnet sich eine weitere Vereinfachung der beiden Gesetze ab.

Was bedeuten die Regulierungen für die Schweizer Fonds- und ETF-Branche?

Gemäss Fidleg sind neu unter anderem sämtliche Kunden einem der folgenden Segmente zuzuordnen: Privatkunden, professionelle oder institutionelle Kunden. Abhängig von der Qualifikation sind weiter oder weniger weitergehende Aufklärungs- und Verhaltenspflichten zu beachten. In der Schweiz besteht für den Fondsbereich mit dem Kollektivanlagengesetz bereits seit 2013 eine Segmentierungspflicht. Problematisch ist, dass die Segmentierungskriterien der Regulierungen zurzeit nicht einheitlich sind.

Welche Änderungen haben Fidleg und Finig konkret zur Folge?

Hauptziele des Fidleg sind neben der Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen für alle schweizerischen Finanzdienstleister die Verbesserung des Kundenschutzes. Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen wird durch die Schaffung von einheitlichen Verhaltensregeln für alle Finanzdienstleister in Bezug auf die Erbringung von Finanzdienstleistungen erreicht. Zudem werden mit dem Finig neu die unabhängigen Vermögensverwalter unter eine prudentielle Aufsicht gestellt. Damit der Kundenschutz gestärkt wird, sieht das Fidleg eine Reihe von neuen Verhaltensregeln in Bezug auf die Erbringung von Finanzdienstleistungen vor.

Welche genau?

Das Fidleg enthält insbesondere Bestimmungen zu Informations-, Erkundigungs- und Dokumentationspflichten. Kunden müssen demnach ausreichende Informationen über die Finanzdienstleistungen und Finanzinstrumente erhalten. Zudem müssen die Finanzdienstleister, welche die Kunden beraten oder deren Vermögen verwalten, deren Kenntnisse, Erfahrungen, finanzielle Verhältnisse und Anlageziele berücksichtigen. Neben einer sogenannten Angemessenheits- und Eignungsprüfung sollen auch die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche von Kunden verbessert werden.

Wie sieht es bezüglich Retrozessionen aus?

Im Gegensatz zu den Vorgaben der MiFID II (Kernstück der Wertpapier- und Kapitalmarktregulierung in der EU; die Red.), welche die Annahme von Retrozessionen für die unabhängige Anlageberatung und die Vermögensverwaltung verbietet, gehen die Vorschriften des Fidleg weniger weit. Die Annahme von sogenannten «Entschädigungen» von Dritten soll nach wie vor erlaubt sein, und es werden lediglich gewisse aufsichtsrechtliche Vorgaben an die Transparenz gemacht. Diese gehen aber nicht über die Praxis des Bundesgerichts hinaus. Im Gegensatz zur MiFID II ist im Fidleg zudem keine Unterscheidung zwischen abhängiger und unabhängiger Anlageberatung vorgesehen.

Sind so viele Regulierungen wirklich notwendig?

Das ist eine sehr gute Frage. Mit Sicherheit muss vom überkommenen «Swiss Finish» abgekommen werden, Regulierung darf nicht zum Selbstzweck verkommen. Leider gilt aber auch in diesem Bereich die normative Kraft des Faktischen, insbesondere was die Regulierung durch die Aufsichtsbehörden anbelangt. Hier scheint aber langsam ein Umdenken stattzufinden, sicherlich auch durch den grösser werdenden Druck des Parlaments und der Verwaltung.

Wird durch die Regulierungswelle erreicht, dass es künftig weniger unzufriedene Kunden gibt?

Eine gesetzliche Regulierung am «Point of Sale» für alle Produkte und Finanzdienstleistungen vereinfacht für den Kunden die Vergleichbarkeit und Transparenz der Produkte unterschiedlicher Finanzdienstleister. Zudem schafft sie für diese Anbieter unabhängig von ihrem Aufsichtsstatus gleiche Bedingungen. Am Ende des Tages ist aber von einem mündigen Anleger auszugehen, dem letztlich die Verantwortung nicht abgenommen werden kann und soll. Dieses Prinzip liegt auch unserer Wirtschaftsordnung zugrunde.

Welche Hausaufgaben hat die Finma noch?

Dem regulatorischen Aktionismus stand bis vor kurzem eine Passivität den Entwicklungen im Bereich neuer Finanztechnologien gegenüber. Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden befassen sich hauptsächlich mit Regulierungsfragen statt mit Innovation. Hier kündigt sich jedoch bei der Finma ein Umdenken an. Die Aufsichtsbehörde anerkennt die Innovation auf ihrer neu geschaffenen FinTech-Informationsseite als wichtigen Faktor für einen wettbewerbsfähigen Finanzplatz. Zudem sollen sämtliche Verordnungen und Rundschreiben überprüft werden, um diese künftig zumindest technologieneutral auszugestalten.

Diese erwähnten Fintechs buhlen um Anleger, sei es im Bereich Vermögensverwaltung oder Lendingbereich. Was heisst das aus Sicht der Kunden?

Die Gewinner einer stärkeren Digitalisierung des Schweizer Finanzplatzes sind die Kunden. Das Angebot unter den Anbietern wird heterogener, es wird mehr Transparenz und eine stärkere Preisdifferenzierung bei den Angeboten geben, was insgesamt auch zu Preissenkungen führen wird. Eigenständige Fintech-Unternehmen werden mit Angeboten in Nischen vordringen, beispielsweise im Personal-Finance-Bereich oder bei der Kreditvergabe.

Dr. Alain Röthlisberger ist Partner bei Röthlisberger-Fischer Rechtsanwälte, Zürich, und Managing Director bei Legal Excellence LLC, Zug.


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