Seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist eine regelrechte Regulierungswut ausgebrochen. Dabei besteht das Risiko, dass die Regulierung zu Lasten der Anleger erfolgt und nicht zu ihren Gunsten.
Text: Barbara KalhammerHerr Pedergnana, Regulierungen sind seit dem Ausbruch der Finanzkrise das grosse Thema. Was ist seither passiert?
Man muss verstehen, dass Regulierungen stets Massnahmen der Politik sind, um auf ein allfälliges Fehlverhalten zu reagieren. Den meisten Vorhaben liegt keine vertiefte Ursachenanalyse zugrunde. Nach jeder Krise eröffnet sich ein Zeitfenster für Regulierung, das sich danach langsam wieder schliesst. Der Zustand danach verbessert sich in der Regel nicht wesentlich, ausser dass zusätzlich hohe Regulierungskosten zu tragen sind. Eine Studie vom Wissenschafter Roger Rissi hat ergeben, dass weniger Regulierung zu einer höheren Finanzmarktstabilität führen würde. Doch der Regulator erstellt Regeln, beaufsichtigt diese – und selbst wenn es zur erneuten Krise kommt, fragt niemand die zentrale Frage: Wer reguliert den Regulator?
Wie sieht es für die ETF-Branche aus?
Sie hat, wie viele andere Banken, in den letzten Jahren zahlreiche Spezialprodukte kreiert, um Gelder anzuziehen. Die operative Umsetzung ist allerdings sehr anspruchsvoll. Wenn Sie beispielsweise einenGold-ETF mit «Papiergold» haben und bei einem Finanzplatz-A udit feststellen, dass noch andere Gold-ETF den Anspruch auf Goldbarren mit derselben Nummer erheben, dann stimmt doch etwas nicht. Bei der ZKB liess ich einmal jeden einzelnen Barren zählen und wiegen; nach Wochen kam die Bestätigung: perfekt. In London herrscht dagegen eine unglaubliche Vielfalt von Handarbeit in der Behandlung von modernen Kapitalmarktinstrumenten und deren Schnittstellen in Depots. Kommt dazu, dass ich noch nie eine überzeugende Kostenträgerrechnung im Banking gesehen habe. Unter Vollkosten sind viele ETF nicht rentabel. Früher oder später lässt sich das nicht mehr verstecken, weshalb ich davon ausgehe, dass eine Marktbereinigung stattfinden wird. Das ist der bessere Weg, als die Branche weiter zu regulieren.
Was sind die weiteren Herausforderungen?
Es werden durch Kostentransparenz unter anderem die Preise von ETF steigen müssen. In Zukunft werden sie auf der Gebührenebene nicht mehr wesentlich unterscheidbar sein von günstigen aktiv gemanagten Fonds. Die grössten Investoren in ETF sind Pensionskassen. Diese müssen mit dem Eintreten neuer Transparenzvorschriften der OAK Berufliche Vorsorge ab 1. Januar 2013 die Gesamtkosten ausweisen. Pensionskassenmanager werden dann sehen, dass passive Immobilien-ETF nicht nur 0,5 Prozent TER kostet, sondern plötzlich vielleicht 1,6 Prozent. Solche Massnahmen, die zu einer Steigerung der Markttransparenz beitragen, heisse ich durchaus gut. Nur so können Entscheide nach ökonomischen Grundlagen getroffen werden. Bei der Finma hingegen schafft manche Regulierung nur Verwirrung und zementiert neuartige Wettbewerbsverzerrungen.
Wie sieht die Lage in Europa aus?
In Europa gibt es Bestrebungen, die Banken- und Versicherungsaufsicht zu zentralisieren. Das bedeutet, es soll eine supranationale Regulierung geben, jedoch spezifisch für die einzelnen Branchen. Die Schweiz hingegen wird zu einer Regulierungsinsel. Der bisherige Spezialzug der Schweizer Regulierung wirkt aber nicht wettbewerbsfördernd. Die Fondsindustrie ist unter anderem nach Luxemburg abgewandert, weil dort eine effizientere, praxisnähere und marktorientiertere Aufsicht vorhanden ist. Der hiesige Finanzplatz leidet unter einer dienstleistungsfeindlichen Behörde, welche einen konstruktiven, lösungsorientierten Austausch mit allen Marktteilnehmern, nicht nur den Grossbanken, weder sucht und noch pflegt.
Wie ist die Rolle der Finma?
Die Finma ist seit 2008 durch die Rettung der UBS «stark» geworden. Sie spielte aber in der Gutheissung aller UBS-R isikomodelle eine undurchsichtige Rolle und ist auch nicht der entscheidende Regulator gewesen, um die Krise zu bewältigen. Wir müssen der Nationalbank dankbar sein, dass sie sich schon frühzeitig mit Bedrohungsszenarien auseinandergesetzt hat. Generell haben weltweit die Zentralbanken eine grössere Tradition, sie verfügen über ein besseres Know-how, sind besser vernetzt, glaubwürdiger und deshalb oftmals auch wirkungsvoller und durchsetzungsfähiger. Das hat sich auch bei der jüngsten Rekapitalisierung der Credit Suisse gezeigt.
Ziel der Finma ist der Schutz des Anlegers. Kann sie diesen wirklich sicherstellen?
Der Kundenschutz ist mir sehr wichtig, aber dieser muss einen positiven Nutzen erzeugen und nicht nur Mehrkosten zu Lasten des Anlegers generieren. Aus einem empathischen abgerundeten Beratungsgespräch eine bevormundende Erfüllungserörterungs-Checkliste im Stundenlohn abzuarbeiten, kann doch nicht das Ziel sein. Nun hat die Finma den Anspruch,
die Anlageberatung zu verbessern. Doch die regulatorische Aufklärung der Kleinanleger, die erheblichem Wertverlustpotenzial ausgesetzt sind, wird derart teuer sein, dass es manchen Banken zu kostspielig werden dürfte. Wer sich keine teure Honorarberatung leisten kann, wird keine Dienstleistungen mehr erhalten.
Das bedeutet, die Kunden bleiben auf der Strecke?
Ja, diese Gefahr besteht, denn ihre Bereitschaft, für eine professionelle Beratung zu bezahlen, ist gering. Bislang hat die Finma unter Kundenschutz Kernthemen wie die strategische Asset Allokation und die Festlegung, worin das Anlagerisiko wirklich besteht, ausgeklammert. Der Regulator muss sich mit seinen Vorstellungen noch erläutern. Ansonsten geht die Regulierung deutlich zu Lasten und nicht zu Gunsten der Anleger. Es besteht zudem die Gefahr, dass eine Vielzahl von attraktiven Produkten dem Publikumsanleger gar nicht mehr zur Verfügung stehen, sondern nur noch von qualifizierten Anlegern bezogen werden können, deren Qualifikation aber derzeit nicht auf fachlichen, sondern nur auf finanziellen Kriterien beruht.
Wie kann man sich in der heutigen Informationsflut noch zurechtfinden?
Labor- und praxisgestützt zeigt sich, dass Informationsflut nicht zu besseren Entscheidungen führt. Man kann einen Anleger auch mit hochtransparenten Pflichtinformationen überladen. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung bei den Prospekten und bei Kennzahlen und Daten auf den Factsheets der jeweiligen Produkte. Das mangelnde Verständnis der zentralen Punkte, die in der Flut untergehen, führt oft zu einem schlechten Entscheid. Eine Beratung ist somit empfehlenswert. Am besten wäre eine Bündelung des Leistungsangebots in einem Vermögensverwaltungsmandat. Der Anleger benötigt eine Grundsatzberatung, aber jede damit verbundene Detailinformation sollte ihm nicht zugemutet werden.
Was bleibt, sind verunsicherte Anleger. Was kann dagegen getan werden?
Der mündige Kunde braucht einen einfachen Beratungsprozess mit Hilfe eines Leistungspakets, der zum Schluss in einen Anlageentscheid mündet. Und für diesensollte bezahlt werden. In diesem Paket sollte der Kunde auch über alle Kosten informiert werden. Jedoch nicht zwingend auf Ebene jedes einzelnen Produktes. Wir erleben heute in Grossbritannien, wo eine entsprechende Regulierung schon eingeführt wurde, dass einige Banken aufgehört haben, eine Wertpapierberatung oder eine Finanzplanung für kleinere Vermögen durchzuführen. Ist das wirklich, was wir in der Schweiz übernehmen wollen?
Maurice Pedergnana, Professor an der Hochschule Luzern und Chefökonom der Zugerberg Finanz AG.