Retrozessionen waren lange Zeit Usus, doch immer mehr Urteile fordern die Herausgabe der Rückvergütungen. Anleger können sich die Provisionen bereits zurückholen.
Text: Barbara KalhammerRetrozessionen sind derzeit in aller Munde. Was ist darunter zu verstehen?
Retrozessionen, kurz Retros sind im weitesten Sinne Rückvergütungen, welche Banken, Unabhängigen Vermögensverwaltern oder Anbietern von Finanzprodukten von Dritten zufliessen. Die Bezeichnungen dafür sind vielfältig: Kickbacks, Provisionen, Vertriebsentschädigung, Rabatte, Discounts, Bestandspflegekommission oder auch Abschlussprämie.
Welche Probleme können Kickbacks mit sich bringen?
Das Hauptproblem solcher Rückvergütungen sind die damit verbundenen potenziellen Interessenkonflikte und die finanziellen Fehlanreize. Finanzdienstleister sind in erster Linie am Verkauf von Produkten interessiert, die Beratung ist dabei oft nur ein Mittel zum Zweck. Das bedeutet, dass beim Produktverkauf möglicherweise nicht die Bedürfnisse der Kunden im Mittelpunkt stehen, sondern die Verkaufs- und Ertragsziele von Vertriebsabteilungen. Retros sind nämlich eine wichtige Ertragsquelle. Besser wären deshalb retrofreie Produkte, oder wenigstens die konsequente Offenlegung sämtlicher Rückvergütungen.
Wo fallen Kickbacks an?
Retros fallen in erster Linie auf Produktebene an, bei Kollektivanlagen (Fonds) und strukturierten Produkten. Keine Rückvergütungen gibt es beispielsweise bei Direktanlagen wie einzelnen Aktien oder Obligationen.
Welche Rechtsverhältnisse herrschen zwischen Kunde und Finanzdienstleister?
Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen dem Anlageberatungsvertrag, bei dem der Kunde selber entscheidet, und dem Vermögensverwaltungsmandat, bei dem der Kunde die Entscheide delegiert. Der Finanzdienstleister steht jedoch sowohl zum Anlageberatungskunden als auch zum Mandatskunden in einem Auftragsverhältnis nach OR 394 ff. Kernstück des Auftragsrechts ist die Treuepflicht. Diese besteht darin, dass der Auftragnehmer (Finanzdienstleister) dem Auftraggeber (Kunde) eine «umfassend interessenswahrende Tätigkeit» schuldet.
Was bedeutet das genau?
Der Finanzdienstleister muss die zur korrekten Ausführung notwendigen Eigenschaften besitzen. Dazu zählen nebst fachlichen Qualifikationen auch Unabhängigkeit beziehungsweise das Fehlen von Interessenkonflikten. Ausserdem besteht für den Finanzdienstleister eine Herausgabepflicht, die besagt, dass er gegenüber dem Kunden alles herausgeben muss, was ihm infolge der Auftragsausführung «aus irgendeinem Grunde» zugekommen ist, einschliesslich indirekter Vorteile und Zuwendungen Dritter.
Retrozessionen waren lange Zeit Usus. Was hat sich geändert?
Wegweisende Urteile des Bundesgerichts aus den Jahren 2006 und 2011 verpflichten nur die unabhängigen Vermögensverwalter, nicht jedoch Banken, erhaltene Retros den Kunden herauszugeben. Grundsätzlich ist zulässig, dass der Kunde auf diese Herausgabe verzichtet, allerdings nur, wenn er über die Höhe der Rückvergütungen «vollständig und wahrheitsgetreu» informiert wird. Die Höhe der Retros muss zwar nicht absolut, aber wenigstens in einer prozentualen Bandbreite bekanntgegeben werden. Dabei darf die Bandbreite nicht zu breit formuliert sein. Das Grundsatzurteil des Bundesgerichts von 2012 verpflichtet Banken nun auch bei Mandatskunden zur Herausgabe von Retros. Vorderhand ist umstritten ob dies für die letzten zehn oder fünf Jahre gelten soll.
Inwieweit hat sich die Finma zu diesem Thema geäussert?
Die Finma ist im Grunde nicht zuständig für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche von Kunden. Sie verlangt allerdings von Banken aufsichtsrechtlich angemessene Vorkehrungen, um das Urteil von 2012 umzusetzen. Betroffene Kunden müssen von den Banken proaktiv über den Entscheid und auf Anfrage auch über den Umfang der Retros informiert werden.
Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Bis jetzt ist bei den Banken kein Gesinnungswandel feststellbar. Sie beharren weiterhin darauf, dass nur bei Mandatskunden, nicht jedoch bei Anlageberatungskunden eine Herausgabepflicht für Retros besteht. Ich erachte dieses Vorgehen der Banken lediglich als Spiel auf Zeit. Retrozessionen sind meiner Meinung nach ein Auslaufmodell. Darauf deuten sowohl erstinstanzliche Gerichtsentscheide wie auch geplante Regulierungen hin.
Wie kann sich der Anleger die Provisionen zurückholen?
Wenn ein Herausgabeanspruch besteht, sollte der Kunde das Gespräch mit seiner Bank suchen. Es existieren Musterbriefe verschiedener Organisationen wie beispielsweise des Beobachters oder der Stiftung für Konsumentenschutz. Kommt es zu keiner Lösung, kann der Schweizerische Bankenombudsmann als neutrale Vermittlungsstelle eingeschaltet werden. Die letzte Möglichkeit ist der Gang vor Gericht, dabei besteht aber ein nicht unerhebliches finanzielles Prozessrisiko. Durch das Urteil drohen den Banken Ertragsausfälle.
Wie reagieren die Institute darauf?
Es gibt keine verlässlichen Schätzungen, aber Retros sind im Anlagegeschäft auf jeden Fall eine wichtige Ertragsquelle. Beobachtungen aus meinem Beratungsalltag deuten darauf hin, dass die meisten Banken versuchen, die Ertragsausfälle zu kompensieren. Ein häufiges Vorgehen ist dabei die Erhöhung bestehender Gebühren wie beispielsweise der Depotgebühren. Neue Gebühren werden vermieden, wahrscheinlich aus Angst, Kunden zu verlieren. Anlageberatung seitens der Banken ist heute zwar unentgeltlich, aber bestimmt nicht gratis.
Wie könnte eine Alternative aussehen?
Ein transparenteres Vorgehen wäre die Einführung von Beratungsgebühren. Man darf nicht vergessen, dass beispielsweise Beratungsdienstleistungen von Anwälten und Treuhändern ebenfalls kostenpflichtig sind. Trotzdem ist die sogenannte Honorarberatung in der Schweiz noch wenig bekannt und verbreitet. Die Einführung von Beratungsgebühren würde allerdings auch beim Kunden ein Umdenken verlangen.
Gibt es andere Reaktionen?
Ja, Banken passen ihre Basisverträge beziehungsweise Depotreglemente an, um die Problematik der Interessenkonflikte sowie den Verzicht auf den Herausgabeanspruch für Retros zu regeln. Ich erachte ein solches Vorgehen als wenig kundenfreundlich. Theoretisch besteht für den Kunden zwar ein Widerrufsrecht, in der Praxis wird das aber von der Bank nicht akzeptiert. Das bedeutet, dass der Kunde die Bank wechseln muss, falls er mit diesen Vertragsänderungen nicht einverstanden ist.
Bekommen passive Produkte wie ETF durch das Verbot von Kickbacks einen zusätzlichen Auftrieb?
Noch sind Retros in der Schweiz nicht verboten, anders als etwa in Grossbritannien. Zudem sind ETF nicht per Definition retrofrei. Die Höhe der Retros hängt in der Regel mit der Höhe der Produktgebühren zusammen. Bei hochmargigen Produkten wie aktiven Fonds und strukturierten Produkten sind die Gebühren tendenziell höher als bei passiven Produkten wie ETF. Meiner Meinung nach spielen Retros für die zunehmende Beliebtheit und Verbreitung von ETF, auch bei Privatanlegern, keine entscheidende Rolle. Wichtiger ist, dass diese passiven Instrumente kostengünstig, transparent und liquide sind.
Anita Rüegsegger ist unabhängige Honorarberaterin und Inhaberin von Rüegsegger Vermoegensarchitektur.