Die etablierten Märkte hatten in den letzten Monaten klar die Nase gegenüber den Schwellenländern vorne. Doch noch sollte man die Emerging Markets nicht aus Abstellgleis schieben.
Text: Barbara KalhammerIndustriestaaten Top, Schwellenländer Flop – so lässt sich die Börsenentwicklung der letzten Monate zusammenfassen. Wo sehen Sie die Gründe dafür?
Es gibt nicht eine Hauptursache, sondern mehrere Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Die Industriemärkte, allen voran die USA und Japan, konnten sich gegenüber den Schwellenländern Ende 2012 und auch 2013 in den Vordergrund stellen. Während sich die US-Firmengewinne stark erholt haben, konnten die Emerging Markets kein entsprechend grosses Einkommenswachstum aufweisen. Dementsprechend verhielten sich die Investoren: Sie agierten sehr rational und investierten dort, wo – zumindest kurzfristig – die Aussichten auf Gewinne am höchsten waren.
Wie ist die Situation in Japan?
Hier wurde nach dem Grundsatz der «Abenomics » gehandelt. Es handelt sich dabei um eine nach dem neuen japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe benannte Mischung aus aggressiver Geld- und lockerer Fiskalpolitik. Der Schritt bedeutet, dass grosse politische Veränderungen im Gang sind, die dazu beitragen, die Schwellenländer in den Hintergrund zu rücken.
Gab es einzelne Schwellenländer, die aus dem Rahmen fielen und positive Entwicklungen zeigten?
Durchaus. Bereits 2012 konnten sich die kleinen Märkte behaupten und schnitten besser ab. Gute Beispiele dafür sind die Philippinen, Indonesien und die Türkei. Aber auch Thailand entwickelte sich sehr gut, die Wirtschaft blühte förmlich auf. Für viele Anleger bleiben diese Märkte aber reine Nischenspiele. Sie haben sich von den Entwicklungen in China abschrecken lassen, wo sich das Wachstum abzuflachen scheint. Unserer Ansicht nach greift diese Sichtweise aber zu kurz. China befindet sich viel mehr im Wandel, hin zu einer höheren Qualität und nachhaltigerem Wachstum. Diese Entwicklungen werden auch der globalen Wirtschaft zugute kommen.
Rechnen Sie mit einer baldigen Erholung der Aktienmärkte?
Die Schwellenländer haben 2013 im Vergleich zu den industrialisierten Märkten generell schlechter abgeschnitten. Es fehlt bislang ein Auslöser, damit sich die Anleger wieder den Emerging Markets zuwenden und diese Entwicklung ins Gegenteil kehren.
Wie sieht Ihre Prognose für die weitere konjunkturelle Entwicklung aus?
Hier herrscht ein allgemeines Missverständnis vor: Die Schwellenländer wachsen weiterhin, nur nicht mehr so schnell. Darüber hinaus sind ihre Fundamentaldaten, im Speziellen die Staatsverschuldungen, mit denen der reifen Wirtschaften, vor allem in Europa, vergleichbar. Asien wird an der Spitze bleiben. China wird in den nächsten zwei Jahren ein Wachstum von mindestens sieben Prozent aufweisen und Indonesien sollte mit einem Mindestwachstum von sechs Prozent ebenfalls gut abschneiden. In Lateinamerika hingegen sind die Wachstumsraten tiefer. Das Hauptproblem ist die Inflation, vor allem in Brasilien. Doch die Zentralbanken haben nun endlich Schritte unternommen, um diese mit aggressiveren Massnahmen anzugehen.
Welche Massnahmen wurden ergriffen?
Die Schwellenländer haben auf die Inflation im Allgemeinen mit einer Aufwertung der Währung reagiert. Das ist ein Bruch gegenüber der Vergangenheit. Jedoch war dies nicht überall der Fall. So haben beispielsweise in Brasilien die Zentralbanken die Zinssätze eher zögerlich erhöht, trotz der anhaltenden Kerninflation. Vor kurzem hat sich dies geändert. Nach Ansicht von Beobachtern erfolgte die Zinssatzanhebung jedoch ziemlich spät.
Wovon hängt der weitere Weg der EM ab?
Die grösste Schwierigkeit ist stets, Wachstum und Inflation zu handhaben. Das erfordert konstante Verbesserungen bei der Infrastruktur sowie im gesetzlichen und regulatorischen Umfeld. So kann das künftige Wachstum gefördert werden, ohne Engpässe zu schaffen, die zu Inflation führen können.
Welche Auswirkungen haben die geldpolitischen Massnahmen?
Die Schwellenländer haben von der monetären Lockerung profitiert. Dadurch gingen die Erträge zurück und die Investoren suchten nach anderen Renditequellen. Es muss aber betont werden, dass die Schwellenländer strukturelle Reformen durchgeführt und so eine enorme Verbesserung der Wirtschaftsprozesse erreicht haben. Viele Staaten wie beispielsweise die Philippinen erhielten ein besseres Rating. Es wäre folglich falsch, jedwede positive Entwicklung einzig den Auswirkungen der quantitativen Lockerung zuzuschreiben.
Welche Auswirkungen könnte das Zurückfahren der Programme haben?
Kurzfristig wird sich das Anziehen der monetären Zügel negativ auf die Schwellenländer auswirken, da die Investoren ihre Portfolios anpassen müssen. Mittelfristig wird das die Grundlagen der heimischen Nachfrage beeinträchtigen. Angesichts der Probleme, mit denen die reifen Märkte konfrontiert sind, werden Investoren zwangsläufig in Wachstum investieren und sich den Schwellenländern zuwenden.
Wer hat das grösste Potenzial?
Auf regionaler Ebene sind wir gegenüber Asien weiterhin sehr positiv eingestellt. Während sich die chinesische Wirtschaft derzeit in einer Phase des langsameren Wachstums befindet, ist Indien interessanter geworden. Grund ist der tiefere Goldpreis, der den Inflationsdruck schwächt und zugleich das Defizit reduziert.
Welche Sektoren profitieren davon?
Die Banken werden weiterhin eine gute Stellvertretung für die gesamte Wirtschaft darstellen, vor allem hinsichtlich der wichtigen Rolle, die sie ausüben – und auch ihr Bezug zu den Konsumenten. Denn in einer boomenden Wirtschaft wird der Konsum durch Kredite angetrieben. Davon profitieren natürlich die Banken. Darüber hinaus ist der Rohstoffbereich ein Schlüsselsektor, vor allem in Brasilien und Russland.
Welche Länderaktien sind zurzeit günstig ?
Chinesische Aktien sind im Allgemeinen attraktiv bewertet. Wir gehen davon aus, dass sich Anleger wieder dem chinesischen H-Markt zuwenden werden. Dies sind Aktien von chinesischen Unternehmen, die an der Börse in Hong Kong gehandelt werden. Ebenfalls günstig sind russische Wertpapiere. Die Entwicklung hängt allerdings stark mit den Energiepreisen zusammen. Hier erwarten wir keine weiteren Preissteigerungen. Dennoch behalten wir den russischen Markt im Auge.
Welche Risiken müssen betrachtet werden?
Innerhalb der Schwellenländer sind die Gefahren eher gering. Unklar ist im Moment jedoch, wie die Investoren die Rücknahme der geldpolitischen Massnahmen in den USA aufnehmen und ob es eventuell zu Marktzerrüttungen kommen wird. Dies würde sich auch auf die Schwellenländer auswirken. Die Zerrüttungen wären allerdings nur kurzfristiger Natur.
Wenn investieren: aktiv oder passiv?
Die Streuung der Erträge in den Schwellenländern ist sehr hoch. Es ist daher sinnvoll, gezielte Investitionen in individuelle Länderregionen wie beispielsweise die ASEAN-Staaten zu tätigen. Das spricht eher für aktive Anlagen.
Stefan Hofer ist Emerging Markets Economist, Bank Julius Bär.