Unsicherheit hält an – Anleger in Habachtstellung

Die Aktienmärkte werden von zahlreichen Unsicherheiten belastet. Auch in der zweiten Jahreshälfte wird das Umfeld für die beteiligten Akteure herausfordernd bleiben. Ein aktiveres taktisches Management ist daher gefragt.

Text: Barbara Kalhammer

Über die letzten Jahre haben die Anleger an den Aktienmärkten kräftig verdient, doch in den vergangenen Monaten hat sich das Bild deutlich gewandelt. 2016 liegt die Mehrzahl der Aktienmärkte im Minus. Der SMI wie auch der EuroStoxx 50 haben rund sieben Prozent verloren, der japanische Leitindex Nikkei 225 brach gar 14 Prozent ein. Ein Plus von knapp sechs Prozent erzielte hingegen das amerikanische Barometer S&P 500. «Neue Unsicherheiten beherrschen die Märkte. Niemand weiss, wie stark die Weltwirtschaft mittelfristig wirklich ist», erklärt Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin die Lage.

Ein grosser Unsicherheitsfaktor seien die Schwellenländer und China. Dort hätten die Befürchtungen einer konjunkturellen Abschwächung viele Anleger zu Jahresbeginn auf dem falschen Fuss erwischt und die Stimmung gedrückt. Das Reich der Mitte habe jedoch gezeigt, dass es in der Lage sei, die Märkte zu stimulieren, sagt Junius. So hat die Politik die Kreditvolumen erneut stark ausgeweitet: alleine im ersten Quartal um 700 Milliarden Dollar. Die Gesamtverbindlichkeiten von Staat, Unternehmen und privaten Haushalten lagen 2015 bei 247 Prozent des Brutto-inlandsprodukts.

Doch nicht nur die aufstrebenden Nationen und die Wachstumsängste haben die Märkte in Atem gehalten: Auch Zinsängste, Befürchtungen um die weitere Ölpreisentwicklung, geopolitische Ereignisse, der mögliche Brexit und die Lage Griechenland sorgen für Unsicherheit.

Populismus hemmt Wirtschaft

Trotz zahlreicher Sorgenkinder hat sich das Wachstum im ersten Quartal gut entwickelt. Die Eurozone erzielte dank einer starken Binnennachfrage und anziehender Investitionen ein Wachstum von 0,6 Prozent. Die Schweiz wuchs im selben Zeitraum um 0,1 Prozent. Doch solche Wachstumsraten sind kein Grund zur Euphorie, denn von einer wirklichen Dynamik kann keine Rede sein. Raiffeisen schreibt in der aktuellen Anlagepolitik: «Die meisten grossen Volkswirtschaften bleiben auf Wachstumskurs. Impulse für eine spürbare Belebung der Konjunktur fehlen allerdings.» Die Notenbanken sind darum immer noch in Hab-achtstellung und  bereit, bei Bedarf weitere Massnahmen zu ergreifen, um die Konjunktur auf Kurs zu bringen.

Gemäss Junius gibt es zwei Themen, die über all diesen Entwicklungen schweben und die wirtschaftliche Aktivität hemmen: einerseits der Rückgang des Produktionsfortschritts, andererseits der Populismus in der Politik. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass besonders nach Finanzkrisen und bei anhaltender Konjunkturschwäche oftmals politische Instabilität und ein Hang zu polarisierender und populistischer Politik entsteht. Ein Beispiel dafür ist der mögliche Brexit, aber auch die politischen Entwicklungen in Spanien, Portugal und den USA würden laut Junius stärker in den Fokus rücken.

Chart-Verfallsrenditen-2016-05

Suche nach Sicherheit

Somit ist klar: In den nächsten Monaten wird sich an dieser Konstellation wenig ändern. Kein Wunder also, dass Anleger vor allem Sicherheit suchen, während die Renditen weiter fallen. «Wir haben wenig Hoffnung, dass sich dies stark verändern wird», so der Chefökonom.

Bei Staatsobligationen werden Investoren durch die tiefen Zinsen nicht nur in schlechtere Kreditqualität gedrängt, sondern verlängern die Laufzeiten, was jedoch die Zinsänderungsrisiken erhöht. Einige Eurozonen-Länder wie Frankreich, Belgien, Spanien und Italien haben Obligationen mit 50-jähriger Laufzeit ausgegeben. Grossanleger greifen dennoch zu, da die Papiere Zinsen von über drei Prozent bieten. Nur so ist es ihnen möglich, die langfristigen Verpflichtungen aus den Vorsorge- und Versicherungsverträgen zu erfüllen.

Junius sieht mehr Potenzial bei Corporate Bonds. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Juni mit der Umsetzung des Unternehmensanleihen-Kaufprogramms begonnen. Die Käufe sind bereits zu einem grossen Teil eingepreist, dennoch wird der Markt dadurch weiter unterstützt.

US-Titel bleiben ein Kauf

Ebenfalls positiv zeigt sich der Experte bezüglich US-Aktien. Die Wirtschaft werde auch im zweiten Halbjahr weiter wachsen, somit seien auch die Aussichten für die Wertpapiere gut. Zudem sei der Markt gut unterstützt. «Auf schlechte Arbeitslosenzahlen sind die Reaktionen gering gewesen, während zurückgehende Zinsanhebungsphantasien für Bewegung gesorgt haben», erklärt Junius. Auch ein erneuter Fed-Zinsschritt im Herbst werde die Märkte nicht aus der Spur bringen.

Anleger sollten sich jedoch absichern und kurzfristiger positionieren. «Taktisches Verhalten ist sehr wichtig», betont er. Raiffeisen sieht die Aktienindizes in den kommenden Wochen in einer Seitwärtsbewegung gefangen. Für Anleger bleibt es weiterhin anspruchsvoll, denn die Generierung von Erträgen ist sehr schwierig geworden. Perlen, wie es sie in der Vergangenheit immer wieder gab, werden vergebens gesucht. Bei US-Dollar-Obligationen von Schwellenländern sieht Junius noch Chancen. Die Märkte seien attraktiv, doch die Risiken müssten bei jeder einzelnen Investition genau analysiert werden.

Chart-Sommermonate-2016-05

Raiffeisen sieht darüber hinaus Chancen für Gold. Seit Jahresbeginn hat das Edelmetall vom schwächelnden Dollar und höheren Unsicherheiten profitiert. Das sorgte für einen kräftigen Anstieg von mehr als 17 Prozent. Gold dürfte einerseits davon profitieren, dass die Anleger künftig eher risikoscheu agieren werden. Andererseits könnten Brexit oder eine weitere Hilfstranche für Griechenland für Unruhe an den Märkten sorgen. Als Krisenanlage dürfte Gold daher weiter Luft nach oben haben.

Insgesamt müssen Anleger auf der Hut bleiben und selektiv vorgehen. Dazu kommt, dass die Sommermonate statistisch gesehen verlustanfälliger sind. Aufgrund ihrer tiefen Gebühren sind ETF auch für den taktischen Einsatz geeignet. Der Vorteil ist, dass mit nur einem Kauf ein Marktexposure erreicht wird. Zudem ermöglichen ETF durch ihre gute Handelbarkeit ein schnelles Reagieren auf Marktveränderungen und das Wahrnehmen von kurzfristigen Renditechancen.


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