Die Aussichten für japanische Aktien sind für das 2022 durchaus günstig. Das Land befindet sich auf dem Weg zur sozialen und wirtschaftlichen Normalisierung und hat die Zeit der politischen Unsicherheiten hinter sich gelassen. Eine Analyse.
Text: Gastbeitrag von Archibald Ciganer, T. Rowe PriceMein Ausblick für Japan fällt in mehrerer Hinsicht optimistisch aus und lässt sich auf folgenden Nenner bringen: wiedergewonnene politische Stabilität, soziale und wirtschaftliche Normalisierung, Transformation durch Digitalagentur und starke exportorientierte Unternehmen.
Kontinuität unter Kishida erwartet
Anfang September erklärte Japans Premierminister Yoshihide Suga nach weniger als einem Jahr seinen Rücktritt als Ministerpräsident. Für viele Investoren war dies eine Überraschung, doch die weit verbreitete Unzufriedenheit mit der Bewältigung der Corona-Pandemie und Bedenken hinsichtlich der anstehenden Parlamentswahlen gaben wohl den Ausschlag für seine Entscheidung. Suga hat die wirtschaftsfreundliche Politik seines Vorgängers Shinzo Abe (bekannt als «Abenomics», die ein aggressives Programm zur Lockerung der Geldpolitik, fiskalische Anreize und Strukturreformen umfassen) weitgehend fortgesetzt.
Unter seinem Nachfolger Fumio Kishida erwarten wir Kontinuität. Erste Anzeichen deuteten zwar darauf hin, dass Kishida eine Umverteilungsagenda verfolgen würde, um die Vorteile des Wirtschaftswachstums gleichmässiger zu verteilen. So hatte er eine Erhöhung der japanischen Kapitalertragssteuer angekündigt. Schnell kamen aber Bedenken auf, dass dies den Bestrebungen Japan aktionärsfreundlicher zu machen, zuwiderläuft.
Nachdem er seinen Plan zurückziehen musste, erwarten wir nun unter Kishida eher politische Kontinuität und weniger einen bedeutenden Wandel. Der komfortable Wahlsieg der regierenden LDP am 31. Oktober, bei dem die Partei die Mehrheit im Unterhaus des Parlaments behielt, wurde von den Anlegern positiv aufgenommen, die dies als Zeichen für eine künftige grössere politische Stabilität werteten.
Wirtschaftsmotor springt wieder an
Japans COVID-19-Impfprogramm hinkte zu Beginn den anderen Industrieländern hinterher. Doch mittlerweile hat das Land aufgeholt und die Impfquote ist nun höher als in den USA und Europa. Folglich dürfte sich ein erneuter Anstieg der Fälle eher moderat auf die Gesellschaft und die Wirtschaft auswirken.
Im November verabschiedete die Regierung ein grösseres Konjunkturpaket als erwartet, mit einer Rekordhöhe von 55,7 Billionen JPY (rund 490 Milliarden USD). Kishida hofft, durch die dringende Umsetzung des Konjunkturpakets die von einer Pandemie heimgesuchte japanische Wirtschaft wieder aufzubauen und sie so schnell wie möglich auf einen Wachstumspfad zu bringen.
Neue Digitalagentur treibt Transformation voran
Japans neue Digitalagentur, die Anfang September 2021 gestartet ist, kann als das sichtbarste Vermächtnis des ex-Premiers Suga betrachtet werden. Sie sollte die digitale Transformation Japans als Teil der Verwaltungsreformagenda der Regierung vorantreiben. Wir gehen davon aus, dass die Digitalagentur auch unter Kishida weiterbestehen und eine Schlüsselrolle bei der Beseitigung der Defizite Japans im digitalen Bereich spielen wird.
Denn Japan ist effektiv ein Nachzügler bei der Nutzung digitaler Technologien innerhalb des Landes. Die langsamen Fortschritte sind zum Teil auf dezentralisierte Informationssysteme und Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes zurückzuführen.
Der verstärkte Einsatz von digitalen Technologien wird die Produktivität sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor steigern. Die Digitalagentur könnte ferner dazu beitragen, einen Standard für Innovation zu setzen. Unternehmen, die von der digitalen Reform-Agenda profitieren können, finden sich in Branchen wie der Telemedizin, dem Cloud Computing oder in der Online-Zahlungsabwicklung.
Erholung in Übersee beflügelt Japans Unternehmensgewinne
Japanische Unternehmen sind zu einem grossen Teil vom Zustand der Weltwirtschaft und der Exportnachfrage abhängig. Festigt sich der globale Aufschwung, werden japanische Aktien profitieren können. Trotz Widrigkeiten in den Lieferketten befindet sich beispielsweise der Fahrzeugbereich im Aufwärtstrend. Auch die Nachfrage in der Informationstechnologie, einschliesslich Smartphones, Personalcomputer und Teile für Rechenzentren sowie Halbleiterproduktionsanlagen, ist solide. Die Unternehmensgewinne haben sich infolgedessen erheblich verbessert.
In diesem Zusammenhang ist die Beziehung zu China ein wichtiger Aspekt. Im dritten Quartal haben die Behörden in Peking bedeutende politische Änderungen vorgenommen, die sich auf grosse Technologieunternehmen und andere massgebliche Branchen auswirken, um die soziale Stabilität und die nationale Sicherheit zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund stiegen die Lieferungen aus Japan nach China im Oktober um 9,5 % im Vergleich zum Vorjahr. Das bedeutet zwar eine leichte Abschwächung gegenüber dem Anstieg von 10,3 % im Vormonat, aber die chinesische Nachfrage nach japanischen Exporten bleibt robust.
Auf makroökonomischer Ebene gibt es gewisse Risikofaktoren, die man nicht aus den Augen lassen sollte – insbesondere steigende Zinserwartungen aufgrund einer globalen Reflation.
Fazit: Rückenwind für japanische Aktien im Jahr 2022
Die Aussichten für japanische Aktien sind durchaus günstig. Das Land befindet sich auf dem Weg zur sozialen und wirtschaftlichen Normalisierung und hat die Zeit der politischen Unsicherheiten hinter sich gelassen. Alles deutet auf Kontinuität unter Kishida hin, und die Aussicht auf weitere wirtschaftliche Anreize stossen auf viel Gegenliebe bei Investoren. Ein weiteres Argument sind die Reformbemühungen der Digitalagentur, wovon unserer Meinung nach viele der von uns favorisierten Unternehmen profitieren dürften. In der Zwischenzeit werden jene Unternehmen profitieren, deren Gewinne an die Auslandsnachfrage gekoppelt sind, vorausgesetzt der weltweite Wirtschaftsaufschwung verfestigt sich weiter.
*Archibald Ciganer, Portfoliomanager, T. Rowe Price Japan Equity Strategy