Coronakrise: Wenn sich die Welt überschlägt

Die Coronakrise schlägt um sich. Finanzmärkte stürzen ab und die Notenbanken müssen intervenieren. Die Geschehnisse zeigen: die Probleme sitzen tief. Was könnten Anleger in diesen extremem Zeiten tun?

Text: Pascal Hügli

Unsere Welt wirkt gerade äusserst surreal. Draussen zwitschern die Vögel und der Frühling kündigt sich an. Doch die Bars und Restaurants sind geschlossen, die Strassen leer, die Stille gespenstisch. Was wie eine friedvolle Apokalypse wirkt, ist einem Virus geschuldet: Unter dem Namen Covid-19 bekannt, treibt es derzeit sein Unwesen und hat mittlerweile auf der ganzen Welt Wirtschaftsräume zum Stillstand gebracht.

Spekulationen über die mittel- bis längerfristigen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft sind in vollem Gange. Noch ist schwierig abzuschätzen, wie schnell wir den Mikroorganismus auf globaler Ebene in den Griff bekommen, damit der Wirtschaftsmotor wieder angeworfen werden kann. Worüber sich kaum streiten lässt: 

Internationale Lieferketten dürften auf absehbare Zeit auf Sparflamme laufen und nur noch die nötigsten Güter umsetzen, was den weltweiten Handel beeinträchtigen wird. Juniper Research rechnet damit, dass im schlimmsten Fall allein bei Verkäufern von Smart Devices Umsatzlücken von rund 42 Milliarden Dollar entstehen könnten. 

Der internationale Tourismus dürften ebenfalls stark zurückgehen. Am eindrücklichsten widerspiegelt sich das im Aktienpreis von United Airlines. Dieser ist seit Anfang Jahr von knapp 90 Dollar pro Aktie auf etwas über 30 Dollar gefallen. Neben Fluggesellschaften werden auch zahlreiche andere Unternehmen aufgrund des Lockdowns Umsatzeinbussen verzeichnen, Firmen mit dünnen Reserven droht gar der Bankrott.

Gigantische Stützungsmassnahmen

Noch ist davon wenig zu spüren. Die erwartenden wirtschaftlichen Verwerfungen werden erst in Wochen oder Monate sichtbar werden. Mächtig in Angst und Panik versetzt hat das Virus Finanzmarktakteure dennoch  – allen voran die US-Notenbank. Nach ersten Kurseinbrüchen an den Finanzmärkten reagierte das Federal Reserve System am 3. März mit einer Zinssenkung um 50 Basispunkte, von 1,75 auf 1,25 Prozent. Doch kurz darauf eskalierte die Situation erneut. 

Federal Funds Target Range

In den folgenden Tagen versprach die US-Notenbank laufend, noch mehr Geld über sogenannte Repo-Geschäfte zur Verfügung zu stellen. Und am 12. März kündigte sie den Banken sogar ein 1,5 Billionen Dollar schweres Repo-Programm zur Refinanzierung an. Drei Tage später wurden die Zinsen um weitere 100 Basispunkte in den Bereich von 0 bis 0,25 Prozent gesenkt. Gleichzeitig wurde ein weiteres massives Quantitative-Easing-Programm von 700 Milliarden Dollar angekündigt. Mit jedem Tag weitete sich der Interventionskatalog aus – auch Unternehmensanleihen sollen in diesen Tagen durch die US-Notenbank gekauft werden. Auch die Geldmarktfonds über Zweckgesellschaften sollen liquide gehalten werden, damit sie die Liquidität an kleinere und mittelgrosse Unternehmen weiterreichen können.


Der Begriff der Repo-Geschäfte steht für Repurchase Agreements und beschreibt sogenannte Rückkaufvereinbarung. Auf diese Weise können Notenbanken den Banken benötigte Liquidität zur Verfügung stellen. Dass heisst: Eine Zentralbank kauft einer Geschäftsbank Wertpapiere ab und vereinbart bereits beim Kaufakt, dass die Geschäftsbank, die Wertpapiere zu einem vordefinierten Zeitpunkt wieder zurückkaufen muss. Es wird zwischen Term Repo-Geschäften und Overnight-Repo-Geschäften unterschieden. Während letztere Liquidität über Nacht, also für einen Tag, bereitstellen, haben erstere Laufzeiten von bis zu einem Jahr. Für den bereitgestellten Zins verlangen die Nationalbanken einen Zins, den Repo-Zins.


Was sich nach einer exorbitanten Geldschwemme anhört, umfasst längst nicht alle geldpolitischen Interventionen der US-Notenbank, die in Aussicht gestellt wurden. Und auch alle anderen Zentralbanken und Staaten meldeten umfangreiche Stützungs- und Finanzierungspakete an. Doch warum mussten die Notenbanken überhaupt derart stark intervenieren? Trägt das Coronavirus die alleinige Schuld?

Das Ende eines sagenhaften Booms

Experten spekulieren, Covid-19 sei nur die kleine Nadel, die die Alles-Blase zum Platzen gebracht habe. So sind die Finanzmärkte seit der letzten Finanzkrise 2008 in der Tat von Allzeithoch zu Allzeithoch geeilt. Durch die damals unter ähnlichen Vorzeichen zur Verfügung gestellte Liquidität von Zentralbanken und Staaten erlebten Aktien, Immobilien, aber auch Hochzinsanleihen, Private-Equity-Investitionen und gar alternative Anlagen wie Kunstgüter einen sagenhaften Boom. 

Aufgrund kontinuierlich steigender Nominalpreise von Anlagen auf breiter Front setzte der sogenannte Wealth Effect ein. Höhere Nominalpreise von Anlagen lassen das eigene Vermögen auf dem Papier ansteigen – man fühlt sich reicher. Das wiederum verleitet Investoren, Unternehmen und Konsumenten, höhere Risiken einzugehen, eigene Investitionen oder Ausgaben werden gehebelt. Solange die Haussephase anhält, lohnt es sich denn auch, mit zusätzlichem Leverage (Hebel) zu wirtschaften oder zu investieren.

Gewaltiger Margin Call

Dass sich die Welt über das vergangene Jahrzehnt weiter verschuldet hat, ist allerdings nur ein Teil der Geschichte. Ein entscheidendes Detail: Fast all haben ihre Schulden übermässig stark in Dollar gemacht. Gemäss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich beträgt die Auslandsverschuldung in Dollar zirka zwölf Billionen Dollar. Angesichts der Tatsache, dass der Greenback die unangefochtene Leit- und Reservewährung ist, verwundert dies kaum. Überwiegende Anteile des gesamten Ölhandels wie auch anderer Rohstoffe werden über den Dollar abgewickelt. Die US-Währung ist das Lebenselixier des internationalen Warenverkehrs, nur allzu verständlich, dass die ganze Welt in der einen oder anderen Form auf den Dollar angewiesen ist.

Der Dollar-Raum war in den vergangenen zehn Jahren jedoch auch aus anderen Gründen interessant. Während grosse Wirtschaftsregionen wie Japan oder Europa ausser Negativzinsen und Tiefzinsprodukten kaum interessante Anlagen zu bieten hatten, waren die USA mit ihren höheren Zinsen ein verhältnismässig attraktiver Investitionsstandort. Nicht zuletzt deshalb investierten private und institutionelle Anleger aus Europa, der Schweiz und der ganzen Welt in Produkte aus Nordamerika.

Dieser Überhang an Dollar-Exposure ist der internationalen Finanzwelt in den letzten Wochen zum Verhängnis geworden. Mit den Kurseinbrüchen an den Finanzmärkten sind zahlreiche Dollar-Long-Positionen unter Druck geraten – oder mussten sogar liquidiert werden. Anleger lechzen nach Dollar, sei es zur Abwendung von Liquidationen oder als Fluchtanlage. In den Entwicklungs- und Schwellenländern, die durch das vorübergehende Erliegen des globalen Handels und die einbrechende Nachfrage besonders stark getroffen werden, sehen Unternehmen ihre Dollar-Cashflows schwinden. Just in dem Moment, in dem sie die Liquidität zur Bedienung ihrer Dollar-Kredite am dringendsten brauchen. 

Zusätzlich Öl ins Feuer gegossen wird durch den russisch-saudischen Ölpreiskrieg. Dieser lähmt das Petrodollar-Wechselkurssystem aufgrund des tiefen Ölpreises noch stärker und verschärft damit den globalen Dollar-Finanzierungschock. Dass die unerbittliche Nachfrage nach Dollar den Kurs des Greenbacks zusätzlich in die Höhe treibt, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer.

Was können Anleger tun?

Die Zentralbanken sehen sich gegenwärtig also mit einem zwölf Billionen schweren Margin Call konfrontiert. Er ist der Hauptgrund, dass sie derart drastisch intervenieren müssen. Dem Anleger signalisiert dieser Umstand, dass sich die Dollar-Knappheit über die nächsten Wochen intensivieren dürfte. Es gilt also, Vermögenswerte wenn möglich in Dollar zu halten. Aufgrund der Unsicherheit auf den Finanzmärkten ist die Liquidität in Bar-Reserven und US-Staatspapieren zu halten. Vor allem die Wertschriften mit kurzer Laufzeit sind in dieser Phase fast so gut wie Cash. Selbst US-Staatspapiere dürften in nächster Zeit immer mal wieder abverkauft werden. Verschiedenste Marktteilnehmer sind schliesslich auf Cash angewiesen, um sich während des Wirtschaftsstillstands über Wasser zu halten. 

Aber aufgepasst: Anleger dürfen keineswegs den Zeitpunkt verpassen, an dem die Dollar-Knappheit überwunden ist. Dann gilt es, die eigene Liquidität in jene Vermögensanlagen umzuschichten, die von der vorangegangen Dollar-Ausweitung als erste profitieren werden. Neben soliden Aktien könnten auch knappe Güter wie Immobilien, Gold oder gar Bitcoin dann wieder interessant werden.


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