Kolumne
Erwin Heri  Professor Finanztheorie, Uni Basel

Wetterfrosch und Börsenguru

Wo liegen die Gemeinsamkeiten des ungleichen Paars und was hat es mit ihren Prognosen auf sich.

Wer kennt sie nicht, die alten Wetterregeln. Sie umspannen ein weites Feld: von Grossvaters «bösem Bein», über Onkel Fritz‘ «Wasser» bis zum 100-jährigen Kalender. Zum Teil werden diese Regeln sehr ernst genommen, obwohl die Meteorologie in den letzten Jahren ausserordentlich komplexe Prognosemethoden entwickelt hat, die nachgewiesenermassen zu einer Verringerung der Prognosefehler geführt haben. Die einschlägigen Wetterfrösche, von denen es ja ähnlich viele gibt  wie Börsengurus, können uns schon eine Woche im Voraus mit hoher Genauigkeit voraussagen, was wir von der Wetterfront zu erwarten haben.

Auch für die Börsenentwicklung gibt es alte «Bauernregeln». Auch sie umspannen ein weites Feld, von der Länge der Damenroben in der Haute Couture, dem Ausgang des Super Bowl im American Football bis hin zu den unzähligen Chart-Technik-Regeln. Wie in der Meteorologie werden auch in der empirischen Finanzmarktforschung immer komplexere mathematische und statistische Modelle verwendet, die die Prognose erleichtern sollen. Anders als bei den Wetterfröschen scheinen diese Bemühungen aber bei der Prognose der Finanzmarktentwicklungen kaum Früchte zu tragen.

Warum ist das so? Warum scheint man umso mehr Probleme bei der Voraussage der Märkte zu haben, je mehr man über sie zu wissen glaubt? So schwierig ist die Antwort nicht. Die meisten Märkte werden als weitestgehend effizient bezeichnet. Das heisst, die Preise der gehandelten Aktiva in jedem Moment alle öffentlich verfügbaren Informationen reflektieren. Neu eintreffende Informationen werden sofort in ihren Wirkungen analysiert und führen zu Preisänderungen.

Dabei ist der Überraschungscharakter der Informationen von wesentlicher Bedeutung, da (definitionsgemäss) erwartete Ereignisse bereits im Preis enthalten sind oder zumindest sein sollten. Dieser Preisbildungsmechanismus führt dazu, dass die kurzfristige Dynamik der Preisentwicklung an den Finanzmärkten fast ausschliesslich von Überraschungen getrieben wird. Somit sollte es nicht verwundern, dass die Preise selbst ebenfalls unerwartet schwanken. Das muss nicht unbedingt heissen, dass die Märkte bei der Preissetzung immer richtig liegen – die kurzfristige Dynamik kann durchaus die wildesten Blüten treiben. Es heisst aber, dass das Setzen auf kurzfristige Wetten sehr gefährlich sein kann.

Jeder, der selbst schon an diesen Märkten gearbeitet hat, weiss, wie unvorhersehbar sich Hochs und Tiefs an der Börse ablösen. Wenn gelegentlich der Eindruck entsteht, es würde sich ein systematisches Muster herausbilden, so ist dasselbe in der Regel am nächsten Tag bereits wieder zerstört.

So wird deutlich, dass eine Börsenprognose, die auch nur annähernd so erfolgreich sein möchte wie die oben erwähnten Wetterprognosen, bedingen würde, dass man unerwartete Ereignisse prognostizieren kann. Ein Widerspruch in sich selbst. Das zeigt aber auch, dass man den Wetterfrosch und den Börsenguru nicht auf die gleiche Ebene stellen kann. Denn während der eine versucht, mit statistischen Modellen physikalische Prozesse zu ergründen, muss der andere mit ähnlichen Modellen soziales Verhalten erfassen. Da aber die Marktteilnehmer auch auf die Prognose reagieren, kann sich diese relativ schnell selber zu Makulatur machen. In sozialen Systemen spielen endogene Rückkoppelungseffekte eine viel grössere Rolle, als man lange vermutet hat.


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