Viele nachhaltige Anlagestrategien schliessen auch Unternehmen aus, die letztlich grosse Beiträge zur künftigen CO2-Reduktion beisteuern. Der Nachhaltigkeitsspezialist Thomas Höhne-Sparborth erklärt im Gespräch, was das für Anleger bedeutet.
Herr Höhne-Sparborth, Sie raten Anlegern, bei der Kapitalallokation verstärkt Dekarbonisierung einzubeziehen. Warum sollten sie mit einer Dekarbonisierungsstrategie langfristig besser fahren?
Wir glauben, dass es Teil unserer Treuhänderpflicht ist, als Anleger zu verstehen, welche Faktoren das Risiko und die Rendite von Portfolios beeinflussen können. Angesichts der Tatsache, dass Regierungen, die fast 80 Prozent der Weltwirtschaft repräsentieren, Netto-Null-Ambitionen erklärt haben, stellt der Klimawandel eine grundlegende Umgestaltung unserer Wirtschaft dar.
Portfolios werden physischen und haftungsrechtlichen Risiken ausgesetzt sein, die mit den Auswirkungen des Klimawandels zusammenhängen, aber auch Übergangsrisiken, die mit Änderungen der Regulierung, des Verbraucherverhaltens und der Kohlenstoffpreise verbunden sind. Diese Umwälzungen betreffen jeden Sektor unserer Wirtschaft und jede Anlageklasse, sind aber oft noch ein blinder Fleck für Investoren, die die finanziellen Auswirkungen ihrer Dekarbonisierungsstrategie – oder deren Mangel – nicht berücksichtigt haben.
Die Klimawende lässt sich nicht auf eine einzelne Branche oder Anlageklasse verengen, sie ist ein branchenübergreifendes Thema. Der Ausschluss von kohlenstoffintensiven Industrien, wie das einige Anlagestrategien tun, greift aus ihrer Sicht zu kurz. Wie sieht Ihr Ansatz aus?
Sektoren wie Stahl, Zement oder Chemie sind Beispiele von Sektoren, die heute hohe Emissionen verursachen und daher klimarelevant sind. Diese Industrien werden aber auch weiterhin wirtschaftlich wichtig bleiben. Es sind genau diese Sektoren, in denen die bedeutendsten Reduktionen erreicht werden können. Klimaführer in diesen Branchen, die glaubwürdige Strategien zur Dekarbonisierung entwickeln, werden eine entscheidende Rolle beim Übergang spielen.
Angesichts der Relevanz der Emissionen in diesen Sektoren werden solche Vorreiter auch einen wachsenden Klimavorteil gegenüber ihren Konkurrenten entwickeln, der diese Unternehmen für den wirtschaftlichen Erfolg positioniert. Eine kohlenstoffarme Strategie hingegen konzentriert sich auf die am wenigsten relevanten Sektoren und verkennt die mit der Dekarbonisierung dieser Branchen verbundenen Klimachancen.
Viele Anlagelösungen verfolgen die Absicht, eine niedrige Emission zu erreichen. Führt das nicht auch zu neuen Anlagerisiken, sprich eine Verringerung der Diversifikation und eine Erhöhung des Konzentrationsrisikos?
Auf jeden Fall. Wir sind der Meinung, dass es nicht darum geht, Engagements in Sektoren zu vermeiden, in denen der Übergang eine wesentliche Herausforderung darstellt. Vielmehr geht es darum, innerhalb jedes Sektors diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die einen glaubwürdigen Weg gefunden haben, diese Herausforderung zu bewältigen – und diejenigen, die es nicht getan haben.
Sie haben mit «Feuer und Eis» – welche Unternehmen heizen den «Kamin» an und welche nicht –, ein einprägsames Modell entwickelt. Investieren Sie nun nur in Unternehmen, die zwar durchaus zu CO2-intensiven Branchen gehören, jedoch eine Netto-Null-Strategie verfolgen?
Wir bezeichnen Unternehmen mit hohen Emissionen, die sich heute auf dem falschen Weg befinden, als «brennende Holzscheite», da sie im Grunde genommen in Flammen stehen und ihre Zulassung verlieren werden. Umgekehrt bezeichnen wir Unternehmen in denselben klimarelevanten Sektoren, die sich zur Dekarbonisierung verpflichten, als «Eiswürfel», da sie zur Abkühlung der Wirtschaft und zur Begrenzung der globalen Erwärmung beitragen.
Wir sehen bereits viele solcher Eiswürfel entstehen. Doch wir glauben auch, dass viele andere Unternehmen das Potenzial für eine Umstellung haben. Stewardship und Engagement sind hier von zentraler Bedeutung, um den Unternehmen zu helfen, die finanzielle Notwendigkeit zu erkennen, angemessene und gut durchdachte Pläne für die Dekarbonisierung zu erstellen. Diese Diskussionen sind nicht einfach, aber mit ausreichender Unterstützung von Investoren, die das Ausmass und die Bedeutung des Übergangs erkennen, können sie den Unternehmen helfen, die Notwendigkeit des Wandels zu erkennen.
Feuer und Eis: Wer den Kamin anheizt und wer nicht
Quelle: LOIM-Analyse. Dient nur zur Veranschaulichung
Was ist mit Firmen, die keinen erheblichen Beitrag zur Erhöhung oder zur Senkung der Erderwärmung leisten? Bleiben diese weiterhin interessant?
Ja, natürlich. Unternehmen im Gesundheits- und Bildungswesen, Medien und vielen Dienstleistungsbranchen zum Beispiel sind vergleichsweise emissionsarm. Sie müssen zwar ebenfalls dekarbonisieren, haben es dabei aber weniger schwer. Natürlich sind auch diese Unternehmen ein wichtiger Bestandteil unserer Wirtschaft, tragen zur Diversifizierung und zu anderen Portfoliozielen bei und werden auch weiterhin Bestandteil vieler ausgewogener Strategien sein.
Was passiert mit Unternehmen, die keine Fortschritte in Richtung Netto-Null-Ausrichtung erzielen?
Sobald die Investoren besser beurteilen können, welche Unternehmen auf dem richtigen Weg sind und welche nicht, wird sich dies unweigerlich auf den Markt niederschlagen. Die Investoren werden die steigenden Risiken und Kapitalkosten erkennen, mit denen sich die Nachzügler konfrontiert sehen, und die Chancen, die sich den Vorreitern eröffnen. Wir konnten beobachten, dass in einigen Sektoren – beispielsweise der Automobilindustrie und dem Energiesektor – bereits eine neue Entwicklung stattfindet und solch zukunftsorientierte Überlegungen in Betracht gezogen werden. Andere Sektoren werden nicht lange auf sich warten lassen.
*Thomas Höhne-Sparborth ist Head of Sustainability Reserach bei Lombard Odier