Als Science-Fiction-Fan erkannte Johannes Schweifer das Potenzial von Bitcoin schon früh. Bereits 2013 hat er darum eine der ersten Kryptofirmen der Schweiz mitgegründet. Heute versucht er, die Blockchain im Alltag der Menschen zu verankern. Gespräch mit einem Krypto-Aficionado der ersten Stunde.
Text: Pascal HügliNur wenige wissen: Sie sind Mitbegründer der Bitcoin Suisse AG, die heute über 120 Mitarbeiter beschäftigt.
Ich habe mich nie gross in den Vordergrund gestellt. Mein Herz schlägt für Technik, nicht fürs Rampenlicht. Damals reizte mich einfach die Idee, eine Börsenplattform für Bitcoin zu entwickeln. Aber entwickeln ist eine Sache, betreiben eine andere. Wir mussten feststellen, dass man in der Schweiz für Kundeneinlagen eine Banklizenz braucht. Das setzte dem Plan ein schnelles Ende.
Das Projekt «Börse» wurde auf Eis gelegt, um einen gewöhnlichen Finanzintermediär zu starten.
Es gab genügend andere Tätigkeitsfelder, denen wir uns auch ohne Banklizenz widmen konnten. Die Leute wollten Bitcoin kaufen, und so wurde aus dem Börsenprojekt ein Finanzintermediär. Aber «gewöhnlich» würde ich nicht sagen. Wer 2013 mit Bitcoin gearbeitet hat, war in jedem Fall alles andere als gewöhnlich. Sogar das Produkt war ungewöhnlich. Von denen, die in den ersten paar Jahren Bitcoin gekauft haben, hatte kaum jemand wirklich eine Ahnung, wie das Ganze funktionierte.
Als Urgestein der Blockchain-Szene können Sie uns sicher die eine oder andere Anekdote aus den Anfangszeiten erzählen.
Erzählen könnte ich viel, aber ich tue es besser nicht. In Vorträgen ziehe ich oft den Vergleich zum Wilden Westen, denn ein solcher war das Crypto Valley zu dieser Zeit. Der Handel wurde oft auf unausgereiften Plattformen abgewickelt, von denen einige zudem schnell wieder vom Markt verschwanden. Es war viel Bargeld im Spiel, trotzdem reichten die Umsätze nicht für Gehälter. Ich habe meine ganzen privaten Ersparnisse ins Unternehmen gesteckt und nachts im Büro geschlafen. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich tagsüber als Berater. So sahen die Anfänge aus: hoher privater Einsatz, gewaltiges Risiko in jeder Hinsicht.
Wann haben Sie erstmals von Bitcoin gehört?
Zufall. Niklas Nikolajsen kam 2011 als Softwareentwickler in mein Projektteam. Wir sprachen auf der Fahrt zum Kunden immer über alles Mögliche. Gold, Finanzen, Sicherheit. Irgendwann erwähnte er Bitcoin. Ich fand das Whitepaper, las es. Es war eine Offenbarung. Ich verstand, welche grossartige neue Möglichkeit sich für uns auftut.
Jetzt bluffen Sie. Die wenigsten haben das Potenzial Bitcoin damals erkannt.
Doch. Es war die Antwort auf eine bohrende Frage. So, wie wenn Sie bei einem Puzzle das fehlende Teil finden.
Was war die bohrende Frage?
Ich lese gerne Fantasy- und Science-Fiction-Romane. In «Shadowrun», einer Serie aus den 1990er-Jahren, nutzen die Protagonisten sogenannte Credsticks, um zu bezahlen – eine elektronische Währung auf einer Art USB-Stick. Ich habe mich immer gefragt, was die Leute davon abhält, ihre «creds» mehrfach auszugeben. Ich hatte darauf keine Antwort, bis ich das Bitcoin Whitepaper las. Bitcoin löst genau dieses Problem. Das ist das ganze Geheimnis hinter all dem Brimborium. Das ist der Zweck einer Blockchain.
Also war es der Geld- und Zahlungsaspekt, der Sie überzeugte.
Anfangs, ja. Die Lösung ist in erster Linie für elektronisches Geld relevant. Aber auch für viele weitere Dinge, denen ein Wert zugeschrieben werden kann, die aber nicht Geld im eigentlichen Sinn sind. Die Blockchain ist ein dezentrales Register. Eine zwar langsame, dafür aber manipulationssichere Datenbank. Man kann mit ihr unglaublich viel mehr tun, als nur den Zahlungsverkehr abzuwickeln.
Für Sie war die Blockchain also seit Beginn mehr als «nur» eine neue Technologie für digitales Geld.
Der Handel mit Kryptowährungen hat mich nie sonderlich interessiert. Es ist eine Arbeit für einen Trader oder Kaufmann, aber nicht für einen Techniker. Und der Handel mit Kryptowährungen ist nicht ohne Risiko, da man vom Wohlwollen der Banken abhängt. Und wenn man seine Bankverbindung verliert, ist es aus. Ich musste das mehr als einmal mit allen Mitteln verhindern, sonst wären alle meine Ersparnisse mit einem Schlag vernichtet gewesen.
Dennoch blieben Sie Bitcoin Suisse treu.
Mein gesamtes Vermögen steckte in der Firma. Ich habe mich um das Dokumentieren der Handelsvorgänge, Buchhaltung und HR gekümmert. Zudem habe ich über 1000 Paperwallets ausgedruckt und geklebt. Alles neben meinem Job als Berater, nachts und an den Wochenenden. Es gab damals niemand anderen für diese Aufgaben.
Wann kam für Sie der Zeitpunkt, die Technologie in den Mittelpunkt zu stellen?
Als Ethereum, eine programmierbare Blockchain, live ging. Ethereum eröffnete unzählige neue Möglichkeiten.
Entstand damals auch die Idee für Ihr derzeitiges Unternehmen CoreLedger?
Das grosse Problem ist immer die Zentralisierung. Sprich: dass bei einem Transfer von Werten auch viele unproduktive Teilnehmer die Hand aufhalten und Gebühren verlangen. Die Blockchain kann das lösen. Aber nicht die Blockchain hinter Bitcoin, die ist zu unflexibel. Wir brauchen Lösungen, die den Transfer von Werten vereinfachen. Für den Kunden soll die Transaktion schneller, günstiger, effizienter und sicherer sein, aber dennoch die geltenden Gesetze und Regeln einhalten. In so einem Regelwerk sehe ich die Zukunft. Nicht im Geldwechsel.
Was macht CoreLedger genau?
Wir betreiben ein Betriebssystem für Blockchain-Anwendungen und die Tokenisierung.
Wie kann ich mir so ein Betriebssystem vorstellen? Das klingt kompliziert.
Auch ein Computer ist ein technisch hochkomplexes Ding. Aber damit umzugehen ist leicht. Warum sollten Sie als Anwender wissen müssen, wie die Blockchain funktioniert? Heute ist die Blockchain so kompliziert und technisch wie damals die Personal Computer in den 1980er Jahren. Der Durchbruch kam mit Betriebssystemen und grafischen Anwendungen. Genau das macht CoreLedger. Einen Bausatz für die sogenannte Tokenisierung auf verschiedenen Blockchains. Wir nennen es Token Economy Operating System. Das ist wie damals mit Windows. Das Unternehmen verhalf dem PC zum Durchbruch.
Wie verdienen Sie dabei Geld?
Durch Lizenzen. Im Prinzip so wie Microsoft Umsätze macht. Ein Unternehmen kann mit CoreLedger viel Geld und Zeit sparen.
CoreLedger ist somit auch die Software, die die Tokenisierung von realen Gütern erlaubt.
Das Token Economy Operating System, kurz TEOS, erlaubt die Dokumentation, Tokenisierung, die Erstellung von Regelwerken und schlussendlich den Handel von allem, das sich tokenisieren lässt. Also praktisch alles.
Warum braucht es für den Handel überhaupt eine Blockchain? Es geht doch auch ohne?
Wenn sich viele unbekannte Menschen gegenseitig vertrauen müssen, ist die Chance, dass einer sein Versprechen nicht einhält, viel grösser, als wenn ein Computer Tauschvorgänge verkettet. In einer Blockchain können Tausende von Teilnehmern an einer einzelnen Tauschkette teilhaben, und das Risiko ist nicht grösser als nur bei zwei Teilnehmern. Voraussetzung ist, dass Dinge digital vorliegen. Hier kommt die Blockchain zum zweiten Mal ins Spiel, da sie diese Digitalisierung in Form von Tokens überhaupt erst ermöglicht.
Also haben Sie das Ziel, möglichst viele Dinge zu tokenisieren, damit sie handelbar werden?
Ja, doch geht es nicht bloss um reale Güter. Ein sogenannter Access-Token gibt Zugang zu Gebäuden und Fahrzeugen oder Diensten. Ein Voting Token kann die Stimmabgabe bei Wahlen vereinfachen. Und genauso wichtig ist es, virtuelle Daten vollends verschlüsselt und lückenlos handelbar zu machen. Daten oder besser den Zugriff auf dieselben kann man ebenfalls tokenisieren.
Selbst bei Daten braucht es eine Blockchain?
Daten sind ziemlich speziell. Anders als ein Auto lassen sich Daten ohne weiteres unbegrenzt oft und ohne Materialeinsatz kopieren. Hier braucht es eine Art Kopierschutz. Ambitorio, ein Unternehmen, das unser Token Economy Operating System nutzt, arbeitet an diesem Thema.
Wie genau?
Ambitorio hat eine App, über die man ein beliebiges Dokument hochladen und verschlüsseln kann. Danach lassen sich Token auf diese Datei erstellen. Nur, wer über den entsprechenden Token verfügt, kann die Datei auch lesen. Das kann ein Mensch oder eine Maschine sein.
Können Sie uns einen konkreten Anwendungsfall schildern?
Wenn man etwas in einem 3D-Drucker drucken will, dann geht das nur, wenn man über eine entsprechende Druckmatrix verfügt. Diese Datei kann man kaufen und herunterladen. Aber wie oft kann man sie drucken? So oft, wie man will. Wenn das Dokument allerdings verschlüsselt und der Drucker zertifiziert ist, hat man plötzlich einen Kopierschutz. Pro Druck wird ein Token dieser Datei verbraucht. Ein wesentlich simplerer Anwendungsfall ist das sichere Versenden von Dokumenten zwischen Anwalt und Klient. Per Regelwerk kann man steuern, wer den Token erhalten kann.
Welche weiteren Unternehmen nutzen Ihr Token Economy Operating System?
Smartmo ist eines davon. Das Start-up betreibt eine innovative Lösung für Fahrradparkplätze und Helmaufbewahrung. Über eine App auf dem Mobiltelefon können Fahrradständer gesucht, reserviert, geöffnet und bezahlt werden. Einige bieten zudem Lademöglichkeiten, einen eigenen Platz für Helme oder anderes.
Warum nutzt Smartmo dazu die Blockchain?
Bei Micropayments sind die Gebühren überdurchschnittlich hoch, doch dafür gibt es verschiedene Lösungen. Bei Smartmo haben wir es mit Blockchain gelöst – die Transaktion kostet nichts. Das ist gut für den Nutzer, weil der Service insgesamt günstiger wird. Wir nutzen die Blockchain auch für ein sogenanntes Smart Lock, ein intelligentes Schloss. Diese Technologie wird künftig vielerorts zur Anwendung kommen, in Häusern oder Autos etwa. Doch derzeit ist Smartmo ein Prototyp.
Die Tokenisierung führe zu einer noch grösseren Kluft zwischen analoger und digitaler Welt, wird kritisiert. Was ist Ihre Lösung?
Die Frage, wie man reale Güter in der digitalen Welt repräsentiert, ist hochkomplex. Solange sie in einem Lagerhaus sind und der Token so etwas wie einen digitalisierten Lagerschein darstellt, ist es kein Problem. Man zertifiziert die Qualität, lässt den Bestand regelmässig prüfen, dokumentiert diese Überprüfungen – das war’s. Wenn sich die Ware aber bewegt – etwa bei einer Lieferung von Industriemetallen –, muss man die Fälschungssicherheit garantieren. Hierfür haben wir und unsere Partner Mechanismen entwickelt. All das ist wiederum ein Thema für die Dokumentation, die ist immens wichtig.
Wie entscheidend ist die Dokumentation?
Ohne rechtsverbindliche Information ist die tokenisierte Sache eine Katze im Sack. Dokumentation verleiht dem Token erst einen echten Wert: Worum handelt es sich bei dieser Sache, welche Rechte sind damit verknüpft und wo lagert sie? Die gesamte Dokumentation kann als PDF heruntergeladen werden und ist mit der Blockchain verknüpft, damit diese nicht nachträglich verändert werden kann.
Geld ist doch das perfekte indirekte Tauschmittel. Welchen Nutzen bringen Tokens?
Geld ist zwar praktischer als Waren direkt und physisch miteinander zu tauschen, doch es hat einige Nachteile.
Welche?
Zentrale Instrumente wie staatliche Währungen begünstigen Akteure, die sich entlang der Wertschöpfungskette einnisten und Gebühren verlangen. Die Nachfrage nach Währungen, um damit Güter und Dienstleistungen zu kaufen, schafft zudem Verzerrungen. Letztlich besteht die Nachfrage ja nach Gütern und Dienstleistungen, nicht nach Währungen.
Das in die Gegenpartei nötige Vertrauen eliminiert man mit Tokens aber nicht.
Nicht komplett, aber die Vertrauensgrundlage hat sich geändert. Mit der Blockchain-Technologie brauchen sich Transaktionspartner nicht gegenseitig zu vertrauen, auch eine den Handel beaufsichtigende Partei braucht es nicht. Vertrauen muss man nur der tokenisierten Sache und dem Emittenten des Tokens.
Was ist denn an diesem neuen Vertrauensmodell besser?
Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob ich den Launen eines Menschen beziehungsweise den zuständigen Gerichten vertrauen muss oder der Mathematik und somit einem Computersystem. Die Mathematik ist weder bestechlich noch emotional und schon gar keinen Launen unterworfen.
Zurück zu den Anfängen. Haben Sie heute noch häufig Kontakt mit Bitcoin Suisse?
Gelegentlich geschäftlich oder bei Anlässen. Wir arbeiten in unterschiedlichen Bereichen, die nur wenige Berührungspunkte aufweisen.
Wir sind zurück im Jahr 2013. Würden Sie alles nochmals gleich machen?
Gute Frage. Die Bitcoin, die ich damals hatte, wären heute eine ordentliche Summe wert. Genau genommen hätte ich nichts machen müssen, gar nichts. Einfach nur Bitcoin halten und abwarten. Aber Stillstand ist nicht meine Art, die Zahnräder müssen sich drehen. Ich kann nicht rumsitzen, nichts tun und das Leben geniessen. Also von daher: Ja. Vermutlich würde ich denselben Weg einschlagen. Vielleicht stärker meinem Bauchgefühl folgen und ein paar Schwierigkeiten aus dem Weg gehen.
Welchen Rat haben Sie für Start-ups im Crypto Valley?
Dass Kunden ein Produkt oder einen Service nur dann verwenden werden, wenn sie einen Vorteil davon haben. Weil es Spass macht oder weil es Vorgänge billiger oder einfacher macht. Sicher nicht der Blockchain zuliebe. Langfristig werden nur Lösungen am Markt bleiben, die einen echten Nutzen stiften.
Was empfehlen Sie Krypto-Investoren?
Ich gebe keine Investmentberatung. Als Techniker drücke ich es so aus: Auch im Crypto Valley gelten die Naturgesetze. Vor allem die Schwerkraft. Was im Hype hochgeschleudert wird und nicht aus eigenem Antrieb fliegt, das kommt wieder zu Boden. Hier im Crypto Valley wurde schon viel heisse Luft erzeugt, die dann für teures Geld an Ahnungslose verkauft wurde. Wer der Herde nachläuft, wird letztlich immer Geld verlieren. Es gibt nichts geschenkt, Glück ist nicht planbar. Wer investieren will, sollte in Menschen investieren. In gute Ideen und sinnvolle Projekte, nicht in Luft. Das ist zwar keine Garantie für Erfolg, erhöht aber die Chancen auf diesen.
Johannes Schweifer ist CEO und Co- Founder von CoreLedger AG. Er doktorierte am Institut für Theoretische Chemie der TU Wien im Bereich Distributed Computing und Quantenchemie. Als Mitbegründer der Bitcoin Suisse AG ist er eines der Urgesteine des Crypto Valley.