Zentralbanken rund um den Erdball kurblen die Konjunktur durch ihre Geldpolitik kräftig an. Besteht die Gefahr von einem Inflationsanstieg? Jacques-Etienne Doerr liefert auf diese Frage Antworten.
Jacques-Etienne Doerr, durch die massiven monetären fiskalpolitischen Stimulierungen konnten sich Wall Street und die Weltbörsen ungewöhnlich schnell von den Einbrüchen im Frühling erholen, der Dow Jones erreichte kürzlich sogar eine neue Höchstmarke. Nehmen die Märkte eine positive Konjunkturentwicklung für das 2021 vorweg oder wie sonst lassen sich die stark gestiegenen Aktiennotierungen erklären?
Jacques-Etienne Doerr Der Aufschwung spiegelt sowohl die Erholung der wirtschaftlichen Aktivitäten als auch die geld- und fiskalpolitischen Anreize wider. Ob die Bewertungen an den Märkten aktuell zu optimistisch sind, ist vor dem Hintergrund der jüngsten Korrektur der Aktienkurse eine der zentralen Fragen. In früheren Zyklen war eine ähnliche Divergenz zwischen Finanz- und Makroindikatoren häufig ein Frühindikator für eine Erholung. Unsere Basisprognose geht deshalb von einer allmählichen globalen Erholung im Verlauf des nächsten Jahres aus, mit einer Rückkehr des BIP auf das Niveau vor dem Ausbruch des Virus zwischen Ende 2021 und Ende 2022. Allerdings wird sich das Tempo der Erholung gegenüber dem aktuellen Niveau eher verlangsamen.
Staaten und Notenbanken rund um den Globus unterstützen ihre Volkswirtschaften mit viel Geld, die Schulden nehmen zu. Bedeutet das, dass wir noch länger im Tiefzinsumfeld verharren werden?
Ausserhalb der USA war die quantitative Lockerung seitens der wichtigsten Zentralbanken in den Industrieländern recht aggressiv, wodurch ihre jeweiligen langfristigen Zinssätze fixiert wurden. Wir denken, dass die Zinssätze aufgrund der Aussichten auf eine Fortsetzung des massiven Ankaufs von Anlagen weltweit niedrig bleiben werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass ein möglicher Anstieg der längerfristigen US-Zinsen begrenzt sein wird.
Ein Anstieg der Inflationserwartungen ist angesichts der Unsicherheit möglich. Wie sehen Sie das?
Die Zentralbanken rund um die Welt kurbeln die Konjunktur durch ihre Geldpolitik kräftig an, was nach der klassischen makroökonomischen Theorie erhebliche Inflationsrisiken birgt. Wir finden jedoch kaum Anhaltspunkte für solche Bedenken. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Inflation zunehmend vom Geldmengenwachstum abgekoppelt. Dies gilt für die Industrieländer und in geringerem Masse auch für die Schwellenländer. Wir sehen eher Anzeichen dafür, dass die steigende Geldmenge die Nachfrage nach Finanzanlagen und nicht die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und damit eine höhere Inflation angeheizt hat.
Viele Staatsanleihen bringen weder positive Renditen, noch kompensieren sie Verluste an den Aktienmärkten. Muss man im Obligationenmarkt neu denken?
Die Anleihenmärkte umfassen weit mehr als nur Staatsanleihen. Da sich die Spreads von beispielsweise High Yield-Bonds immer noch auf einem relativ attraktiven Niveau verglichen mit deren historischen Levels befinden, sind wir diesbezüglich zuversichtlich für Anleger mit längerfristigem Zeithorizont. Eine langsamere Erholung dürfte auch dazu führen, dass die Unternehmen Massnahmen zur Sanierung ihrer Bilanzen durch das einbehalten ihres freien Cash Flows ergreifen werden, während Regierungen sowie Zentralbanken die Wirtschaft weiterhin in einem noch nie dagewesenen Ausmass unterstützen. Dies stimmt uns nicht nur positiv bezüglich der globalen Leveraged Finance-Märkte, sondern auch bezüglich der Spreads in Schwellenländern als auch selektiver Möglichkeiten im Grenzbereich zwischen Investment Grade und High Yield.
Wie lässt sich mit Anleihen im globalen Niedrigzinsumfeld ein Ertrag erzielen?
Die Märkte verfügen über ein gewisses Sicherheitspolster. Die Risikoaufschläge bei Investment Grade- und Hochzinsanleihen sind nach wie vor 50 Prozent höher als zu Beginn des Jahres. So könnten Anlegern, die sich von Spread-Produkten trennen, möglicherweise nicht nur erhebliche zusätzliche Zinserträge entgehen, sondern auch die Chancen auf Kapitalgewinne in einem Szenario, in dem sich der Trend zur wirtschaftlichen Normalisierung in den kommenden 12 bis 24 Monaten fortsetzt.
Was erwarten Sie?
Wir gehen davon aus, dass – sobald etwas Ruhe eingekehrt ist – die Obligationenmärkte, insbesondere Unternehmensanleihen, eine wesentlich bessere Entwicklung zeigen werden als aktuell befürchtet. Denn die Kombination aus moderatem Wachstum und hohem Quantitative Easing hält aus unserer Sicht die Renditen von Staatsanleihen niedrig, gleichzeitig begünstigt sie die Suche nach Rendite, was die Credit Spreads weiter reduziert.
Für das Eingehen von Zinsrisiken wird man eher schlecht entschädigt. Bieten unternehmensspezifische Kreditrisiken bessere Rendite-Risiko-Perspektiven?
Zwar erwarten wir, dass Zahlungsausfälle und Herabstufungen erheblich zunehmen werden, auch wenn deren Ausmass zum jetzigen Zeitpunkt nicht vollständig absehbar ist. Dennoch glauben wir, dass die Renditeaufschläge den Anlegern eine mehr als angemessene Entschädigung für dieses Risiko bieten. Gleichwohl bleibt die Titelselektion zentral. Paradoxerweise sind die Renditen bei engen Spreads und niedrigen Zahlungsausfallraten niedriger als bei weiten Spreads und einer hohen Ausfallrate.
Wo sehen Sie, auf Regionen heruntergebrochen, attraktives Renditepotenzial?
Derzeit betrachten wir die Credit Spreads in den USA und Europa nach wie vor als attraktiv und suchen aktiv nach Möglichkeiten, Mehrwert zu erzielen. Trotz der politischen Unsicherheiten, die sich in den Industriestaaten abzeichnen, dürften die Renditeaufschläge in den Schwellenländern von attraktiven relativen Bewertungen profitieren. Wobei wir die Spreads den lokalen Zinssätzen und Währungen vorziehen.
*Jacques-Etienne Doerr, Leiter Institutional Sales Schweiz bei PGIM Fixed Income